HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 20.01.2010, 12 Sa 962/09

   
Schlagworte: Aufhebungsvertrag: Rücktritt, Abfindungsanspruch, Insolvenz des Arbeitgebers
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 12 Sa 962/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.01.2010
   
Leitsätze:

1. Das - wegen Nichtzahlung der vereinbarten Abfindung ausgeübte - gesetzliche Rücktrittsrecht des Arbeitnehmers von einem Aufhebungsvertrag wird im allgemeinen nicht durch Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers ausgeschlossen.

2. Parallelverfahren zu 12 Sa 206/10 (Kammerurteil vom 28.04.2010).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 21.08.2009, 4 Ca 911/09 lev
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.11.2011, 6 AZR 357/10
   

12 Sa 962/09

4 Ca 911/09 lev
Ar­beits­ge­richt So­lin­gen  

Verkündet

am 20. Ja­nu­ar 2010

Es­ser
Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT DÜSSEL­DORF

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

des Herrn B. B., N. weg 7 a, M.,

- Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte Dr. I. u. a.,
G.-L.-Str. 2, M.,

g e g e n

1. Rechts­an­walt Dr. G. L. als In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen der T. 2 GmbH, T. Str. 98,
51381 M.,

- Be­klag­ter und Be­ru­fungskläger zu 1) -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte L. u. a.,
L.-U.-Str. 1, E.,

2. die U. Fric­tion GmbH, ge­setz­lich ver­tre­ten durch ih­re Geschäftsführer S. E. und G. N., T. Str. 99, M.,

- Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin zu 2) -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: As­ses­so­ren Ý. u. a.
i/Che­mie Rhein­land e. V.,
Völklin­ger Str. 4, 40219 Düssel­dorf,

hat die 12. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 20.01.2010
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Plüm als Vor­sit­zen­den so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ha­gen und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter May­er

für R e c h t er­kannt:

Die Be­ru­fun­gen des Be­klag­ten zu 1) und der Be­klag­ten zu 2) ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts So­lin­gen vom 21.08.2009 wer­den zurück­ge­wie­sen.

 

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Die Kos­ten der Be­ru­fung tra­gen der Be­klag­te zu 1) zu 37,5 % und die Be­klag­te zu 2) zu 62,5 %.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

G R Ü N D E :

A. Der Kläger strei­tet mit dem Be­klag­ten zu 1) darüber, ob das Ar­beits­verhält­nis, das zwi­schen ihm und der Schuld­ne­rin be­stan­den hat, auf­grund ei­ner am 01.10.2007 ge­schlos­se­nen Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung zum 31.12.2008 ge­en­det oder ob er, der Kläger, un­ter dem 19.01.2009 den wirk­sa­men Rück­tritt von der Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung erklärt hat, weil die Schuld­ne­rin we­gen des zwi­schen­zeit­lich ein­ge­lei­te­ten In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­rens nicht die nach der Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung ge­schul­de­te Ab­fin­dung ge­zahlt hat­te. Der Kläger nimmt wei­ter­hin die Be­klag­te zu 2) als Be­triebs­er­wer­be­rin auf Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses und tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung in An­spruch; die­se hält – wie der Be­klag­te zu 1) – ent­ge­gen, dass der Kläger von der Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung nicht ha­be zurück­tre­ten können und da­her das Ar­beits­verhält­nis zum 31.12. 2008 be­en­det wor­den sei.

Der am 01.08.1950 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 23.10.1973 bei der Schuld­ne­rin bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin beschäftigt.

Im Jah­re 2007 führ­te die Schuld­ne­rin ei­ne – von ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan vom 31.08.2007 be­glei­te­te – Re­struk­tu­rie­rungs­maßnah­me durch. Der So­zi­al­plan ermöglich­te ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mern in ei­nem Le­bens­al­ter ab 50 Jah­ren das frei­wil­li­ge Aus­schei­den ge­gen Ab­fin­dungs­zah­lung. Dar­auf­hin verständig­ten sich der Kläger und die Schuld­ne­rin über die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.12.2008 ge­gen Ab­fin­dungs­zah­lung. Nach § 5 des Auf­he­bungs­ver­tra­ges vom 01.10.2007 soll­te der Kläger zum Zeit­punkt der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung ei­ne Ab­fin­dung in Höhe vom € 110.500,00 er­hal­ten.

 

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Am 08.12.2008 wur­de über das Vermögen der Schuld­ne­rin das vorläufi­ge In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Be­klag­te zu 1) zum vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 16.12.2008 er­in­ner­te der Kläger die Schuld­ne­rin an die pünkt­li­che Ab­rech­nung der ver­ein­bar­ten Ab­fin­dung. Die Schuld­ne­rin zahl­te nicht den Ab­fin­dungs­be­trag aus, weil der Be­klag­te zu 1) als vorläufi­ger In­sol­venz­ver­wal­ter un­ter Hin­weis auf die in­sol­venz­recht­li­che Mas­se­si­che­rungs­pflicht die Zu­stim­mung zur Aus­zah­lung ver­wei­ger­te.
Mit Schrei­ben vom 09.01.2009 for­der­te der Kläger die Schuld­ne­rin un­ter Frist­set­zung bis zum 16.01.2009 zur Ab­rech­nung und Aus­zah­lung der Ab­fin­dung auf und kündig­te gleich­zei­tig für den Fall des frucht­lo­sen Frist­ab­laufs den Rück­tritt von der Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung an. Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 19.01.2009 erklärte er den Rück­tritt. Am 01.03.2009 wur­de über das Vermögen der Schuld­ne­rin das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Be­klag­te zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt.

Der Kläger hat mit der am 05.02.2009 beim Ar­beits­ge­richt So­lin­gen ge­gen die Schuld­ne­rin ein­ge­reich­ten Kla­ge die Fest­stel­lung be­gehrt, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung vom 01.10.2007 zum 31.12.2008 be­en­det wor­den sei, son­dern fort­be­ste­he.

Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 18.03.2009 mel­de­te der Kläger un­ter Hin­weis auf die Rück­tritts­erklärung und das beim Ar­beits­ge­richt rechtshängi­ge Ver­fah­ren „höchst vor­sorg­lich und zur Wah­rung der in­so­weit gel­ten­den Frist“ den Ab­fin­dungs­an­spruch zur In­sol­venz­ta­bel­le an. Am 16.06.2009 er­kann­te der Be­klag­te zu 1) die For­de­rung zur In­sol­venz­ta­bel­le an.

Die Be­klag­te zu 2) über­nahm als Be­triebs­er­wer­bin nach § 613 a Abs. 1 BGB am 22.04.2009 den Be­trieb der Schuld­ne­rin und in­for­mier­te mit Schrei­ben vom 23.04.2009 hierüber al­le Mit­ar­bei­ter. Der Kläger, der dem Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht wi­der­spro­chen hat­te, hat mit Kla­ge­er­wei­te­rung vom 22.05.2009 von der Be­klag­ten zu 2) die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses und sei­ne tatsächli­che Wei­ter­beschäfti­gung ver­langt.

 

- 4 -

Das Ar­beits­ge­richt hat durch Ur­teil vom 21.08.2009 der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­ten und be­gründe­ten Be­ru­fung grei­fen die Be­klag­ten im Um­fang ih­res je­wei­li­gen Un­ter­lie­gens das Ur­teil, auf das hier­mit zur nähe­ren Dar­stel­lung des Sach- und Streit­stan­des ver­wie­sen wird, in tatsäch­li­cher und recht­li­cher Hin­sicht und un­ter Wie­der­ho­lung und Ergänzung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens an. Sie be­an­tra­gen die Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils und Ab­wei­sung der Kla­ge­anträge. Der Kläger ver­tei­digt das Ur­teil und be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze mit den hier­zu über­reich­ten An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

B. Die Be­ru­fung bei­der Be­klag­ten hat kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die Kam­mer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils zu ei­gen. Die sorgfälti­ge Be­gründung des Ar­beits­ge­richts hält den An­grif­fen der Be­ru­fung, mit der dem Ur­teil im We­sent­li­chen die be­reits erst­in­stanz­lich ver­tre­te­nen Rechts­mei­nun­gen ent­ge­gen­setzt wer­den, in je­der Hin­sicht stand. Die Kam­mer hat le­dig­lich das Fol­gen­de an­zufügen.

I. Das Rück­tritts­recht nach § 323 BGB gilt auch für ar­beits­recht­li­che Auf­he­bungs­verträge. Es wird durch kei­ne ge­setz­li­chen Son­der­re­ge­lun­gen ver­drängt. Der Auf­he­bungs­ver­trag vom 01.10.2007 ist ein „ge­gen­sei­ti­ger Ver­trag“ i.S.v. § 323 Abs. 1 Satz 1 BGB. Über das Vor­lie­gen der Ge­gen­sei­tig­keit ent­schei­det der Par­tei­wil­le (Pa­landt/Grüne­berg, 68. Aufl., BGB, Einf v § 320 Rn. 10). Wird – wie hier – ein langjähri­ges un­gekündig­tes Ar­beits­verhält­nis im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Be­triebsände­rung auf der Grund­la­ge ei­nes So­zi­al­plans ge­gen Zah­lung ei­nes ho­hen Ab­fin­dungs­be­tra­ges auf­gelöst, liegt auf der Hand, dass die Ab­fin­dungs­zah­lung die „Ge­gen­leis­tung“ des Ar­beit­ge­bers für den Ver­zicht des Ar­beit­neh­mers auf den ge­setz­lich, kol­lek­tiv- und/oder in­di­vi­du­al­ver­trag­lich geschütz­ten Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ist (vgl. LAG Düssel­dorf

 

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16.11.2001 – 14 Sa 1192/01 – NZA-RR 2002, 374 ff. = LA­GE § 326 BGB Nr. 1 = Ju­ris Rn. 27). An­ders mögen die Din­ge lie­gen, wenn die Ab­fin­dung ei­ne al­len­falls mar­gi­na­le Be­deu­tung hat und die „Ge­gen­leis­tung“ des Ar­beit­ge­bers in An­de­rem be­steht, z.B. ei­ner lan­gen be­zahl­ten Frei­stel­lung oder dem Ver­zicht auf ein Wett­be­werbs­ver­bot. All dies ist vor­lie­gend nicht der Fall. Der Kläger blieb nach dem Auf­he­bungs­ver­trag bis zu­letzt ver­pflich­tet, sei­ne Ar­beits­leis­tung der Schuld­ne­rin zur Verfügung zu stel­len. Er han­del­te sich – ab­ge­se­hen von der Ab­fin­dung – kei­ne ent­gelt­li­chen Vor­tei­le ein, hat­te viel­mehr nach dem 31.12.2008 Ar­beits­lo­sig­keit bis zur Ver­ren­tung und da­mit ver­bun­de­ne Ein­kom­mens­ein­bußen so­wie ren­ten­recht­li­che Nach­tei­le zu er­war­ten.

II. Die Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung vom 01.10.2007 schließt das ge­setz­li­che Rück­tritts­recht we­der aus­drück­lich noch kon­klu­dent aus. Da­her kann da­hin­ste­hen, ob der er­kenn­bar von der Schuld­ne­rin vor­for­mu­lier­te Ver­trag hin­sicht­lich des et­wai­gen Aus­schlus­ses des Rück­tritts­rechts der Kon­trol­le nach § 307 BGB stand hiel­te.

Die nach § 133, § 157 ge­bo­te­ne Aus­le­gung des Ver­tra­ges mit dem all­ge­mein an­er­kann­ten Er­for­der­nis ei­ner bei­der­seits in­ter­es­sen­ge­rech­ten Aus­le­gung (BGH 16.10.2009 – V ZR 203/08 – Ju­ris Rn. 10, Kam­mer 07.11.2007 – 12 Sa 1294/07 – NZA-RR 2008, 311 ff. = LA­GE § 4 TVG Nr. 7 = Ju­ris Rn. 31) führt zu dem Be­fund, dass das ge­setz­li­che Rück­tritts­recht nicht aus­ge­schlos­sen sein soll­te. Der Ar­beit­neh­mer, der mit der Zu­stim­mung zu der vom Ar­beit­ge­ber gewünsch­ten Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses sei­ne durch den im Auf­he­bungs­ver­trag be­zweck­te „Haupt­leis­tung“ be­reits er­bracht hat, ist dem Ri­si­ko aus­ge­setzt, dass der Ar­beit­ge­ber die zum Be­en­di­gungs­zeit­punkt zu­ge­sag­te Ab­fin­dungs­zah­lung er­bringt. Im Be­son­de­ren trägt der Ar­beit­neh­mer nach dem Ver­trags­schluss die Ge­fahr, dass der Ar­beit­ge­ber in­sol­vent wird und die Ab­fin­dungs­klau­sel ih­ren wirt­schaft­li­chen Wert ver­liert. Da die Par­tei­en im Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Auf­he­bungs­ver­tra­ges das Ri­si­ko der nach­fol­gen­den In­sol­venz des Ar­beit­ge­bers ein­zu­be­zie­hen ha­ben, spricht schon we­nig dafür, dass der Ar­beit­neh­mer auf das ge­setz­li­che Rück­tritts­recht ge­genüber ei­nem später zah­lungs­unfähi­gen oder –un­wil­li­gen Ar­beit­ge­ber ver­zich­ten will. Ein sol-

 

- 6 -

ches Verständ­nis lie­fe auf ei­ne von Par­tei­en er­sicht­lich nicht ge­woll­te und sach­lich nicht zu recht­fer­ti­gen­de ein­sei­ti­ge Begüns­ti­gung des Ar­beit­ge­bers hin­aus. Der Ar­beit­neh­mer, auf ei­ne In­sol­venz­for­de­rung an­ge­wie­sen, hätte prak­tisch kei­ne Möglich­keit, den ver­spro­che­nen Ab­fin­dungs­be­trag zu er­hal­ten. An­de­rer­seits müss­te er, wenn er nicht gemäß § 323 BGB von dem Auf­he­bungs­ver­trag zurück­tre­ten könn­te, den Ver­lust des Ar­beits­verhält­nis­ses, das re­gelmäßig Exis­tenz­grund­la­ge für sich und sei­ne Fa­mi­lie bil­det, hin­neh­men.
Im Ein­zel­fall mögen die Din­ge an­ders lie­gen, wenn der Ar­beit­neh­mer im Kon­tra­hie­rungs­zeit­punkt den Auf­he­bungs­ver­trag mit der Ab­fin­dungs­ver­ein­ba­rung in An­se­hung ei­nes er­kenn­ba­ren In­sol­venz­ri­si­kos des Ar­beit­ge­bers ein­geht und aus der Ver­trags­ur­kun­de bzw. den Be­gleit­umständen sich der Wil­le der Par­tei­en er­gibt, dass der Ver­trag auch im Fal­le der In­sol­venz des Ar­beit­ge­bers Be­stand ha­ben und das Rück­tritts­recht nach § 323 BGB aus­ge­schlos­sen sein sol­le.
Im vor­lie­gen­den Fall verhält es sich nicht so. Es be­ste­hen nicht ein­mal An­halts­punk­te für ei­ne der­ar­ti­ge Ri­si­koüber­nah­me. Die von der Schuld­ne­rin im Jah­re 2007 durch­geführ­te Re­struk­tu­rie­rungs­maßnah­me in­di­ziert zwar ei­ne be­triebs­wirt­schaft­li­che Be­dräng­nis. Dies wuchs sich, wie das im De­zem­ber 2008 eröff­ne­te vorläufi­ge In­sol­venz­ver­fah­ren be­legt, je­doch erst im Nach­hin­ein zur fi­nan­zi­el­len Not­la­ge aus. Vor die­sem Hin­ter­grund ist nicht fest­stell­bar, dass der Kläger am 01.10.2007 „se­hen­den Au­ges“ in den Auf­he­bungs­ver­trag mit ei­ner in­sol­ven­ten bzw. hoch in­sol­venz­gefähr­de­ten Schuld­ne­rin ein­wil­li­gen und hin­sicht­lich sei­nes Ab­fin­dungs­an­spruchs das In­sol­venz­ri­si­ko un­ter Ver­zicht auf ge­setz­li­che Not­be­hel­fe wie das Rück­tritts­recht nach § 323 BGB über­neh­men woll­te. Viel­mehr ging, in­dem die Ab­fin­dungs­sum­me der Aus­gleich für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes sein soll­te (§ 5 Satz 1 des Ver­tra­ges vom 01.10.2007), der bei­der­sei­ti­ge Ver­trags­wil­le da­hin, den Kläger für die Auf­ga­be des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31.12.2008 mit der Er­brin­gung der Ab­fin­dungs­zah­lung zu entschädi­gen. Wenn die Par­tei­en am 01.10.2007 ei­ner­seits im Licht des um 15 Mo­na­te hin­aus­ge­scho­be­nen Be­en­di­gungs­ter­mins ei­ne mögli­che In­sol­venz der Schuld­ne­rin nicht aus­sch­ließen konn­ten und an­de­rer­seits die Ab­fin­dungs­zah­lung die Haupt­pflicht der Schuld­ne­rin aus dem Auf­he­bungs­ver­trag war, stell­te der Um­stand, dass die ge­schul­de­te Ab­fin­dung nicht er­bracht wur­de,

 

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kei­ne „un­er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung“ dar (vgl. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB). Nach al­lem spricht nichts dafür, dass der Ver­trag vom 01.10.2007 die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei gleich­zei­ti­gem Aus­schluss des ge­setz­li­chen Rück­tritts­rechts im Fal­le der Nicht­zah­lung der Ab­fin­dung vor­sah. Die­ses un­ge­rech­te Er­geb­nis ha­ben die Par­tei­en mit dem Auf­he­bungs­ver­trag er­sicht­lich nicht an­ge­strebt.

III. Das Ar­beits­ge­richt hat des Wei­te­ren zu Recht er­kannt, dass die Eröff­nung des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­fah­rens kei­nen Aus­schluss des ge­setz­li­chen Rück­tritts­rechts der Gläubi­ger be­wirkt. Der Kläger hat in der Be­ru­fungs­be­ant­wor­tung (Sei­te 6 ff.) die erst­in­stanz­li­che Ar­gu­men­ta­ti­on wei­ter ver­tieft. Die im Be­ru­fungs­ver­fah­ren er­ho­be­nen Einwände der Be­klag­ten mit dem Hin­weis, dass im vorläufi­gen In­sol­venz­ver­fah­ren al­les zu si­chern sei, was mögli­cher­wei­se zur späte­ren In­sol­venz­mas­se gehöre, sind nicht zielführend. Wie aus den §§ 21 ff., 55, 103, 104 Abs. 1, 112 In­sO her­vor­geht, schränkt das vorläufi­ge In­sol­venz­ver­fah­ren das ge­setz­li­che Rück­tritts­recht des Ar­beit­neh­mers (Gläubi­gers) je­den­falls dann nicht ein, wenn der Ar­beit­ge­ber (Schuld­ner) vor In­sol­ven­zeröff­nung die aus ei­nem be­gründe­ten Fix­schuld­verhält­nis herrühren­de Ver­bind­lich­keit nicht erfüllt hat. Nach der kla­ren Ge­set­zes­re­ge­lung ist die Mas­se­si­che­rungs­pflicht des Schuld­ners bzw. des vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters nicht mit je­nen Rech­ten ver­bun­den, die dem In­sol­venz­ver­wal­ter mit der In­sol­ven­zeröff­nung zu­ste­hen. Über­le­gun­gen, dem Gläubi­ger nach dem An­trag auf Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens ei­ne Rück­tritts­sper­re auf­zu­er­le­gen, mögen in­sol­venz­recht­li­chen Charme ha­ben. Sie sind aber con­tra le­gem.
An­sons­ten geht es hier we­der dar­um, in­wie­weit die Geschäftsführung der Schuld­ne­rin oder der vorläufi­ge In­sol­venz­ver­wal­ter der persönli­chen de­lik­ti­schen Haf­tung aus § 823 Abs. 2 BGB ent­ge­hen, wenn sie der Mas­se­si­che­rungs­pflicht genügen wol­len, noch um Haf­tungs­fra­gen nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 60 Abs. 1 In­sO. Eben­so we­nig ist hier zu be­wer­ten, dass durch Nicht­aus­zah­lung der Ab­fin­dung die In­sol­venz­mas­se ge­schont wur­de, der Kläger nach dem mögli­chen und er­war­te­ten Rück­tritt von der Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung auf den Be­zug von In­sol­venz­geld ver­wie­sen wur­de und da­mit die Fol­gen aus

 

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dem Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 22.04.2009 im We­sent­li­chen auf die Be­klag­te zu 2) als Be­triebs­er­wer­be­rin überbürdet wur­den.

IV. Dem Kläger ist nicht da­durch, dass er un­ter dem 18.03.2009 die Ab­fin­dung „höchst vor­sorg­lich“ zur In­sol­venz­ta­bel­le an­mel­de­te, ver­wehrt, die Be­klag­ten an den Rechts­fol­gen des be­reits aus­geübten Rück­tritts­rechts fest­zu­hal­ten. Die Rechts­la­ge ist geklärt (BGH 20.01.2006 – V ZR 124/05 – Ju­ris Rn. 16). Der Kam­mer er­sch­ließt sich auch in die­sem Punkt nur zögernd der Ar­gu­men­ta­ti­ons­duk­tus der Be­ru­fun­gen.

V. Der Kläger war nach al­lem gemäß § 323 Abs. 1 BGB zum Rück­tritt be­rech­tigt, denn die Schuld­ne­rin hat­te die fälli­ge Ab­fin­dungs­zah­lung nicht ge­leis­tet, woll­te dies we­gen des ein­ge­lei­te­ten In­sol­ven­zeröff­nungs­ver­fah­rens de­fi­ni­tiv auch nicht tun, und der Kläger hat­te ihr er­folg­los ei­ne Frist zur Nach­erfüllung ge­setzt.

C. Die Kos­ten der Be­ru­fung ha­ben nach § 97 Abs. 1 ZPO der Be­klag­te zu 1) zu 37,5 % und die Be­klag­te zu 2) zu 62,5 % zu tra­gen.

Für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt be­steht kei­ne Ver­an­las­sung, da Zu­las­sungs­gründe i.S.v. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht er­sicht­lich sind.

Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wer­den die Be­klag­ten auf § 72 a ArbGG hin­ge­wie­sen.

 

Dr. Plüm 

Ha­gen 

May­er

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