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Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 06.03.2014, 6 Sa 676/13

   
Schlagworte: Befristung, Befristung des Arbeitsvertrags
   
Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 Sa 676/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 06.03.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgerichts Leipzig, Urteil vom 26.09.2013, 2 Ca 4572/12
   

Im Na­men des Vol­kes

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

...

hat das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt - Kam­mer 6 - durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­den und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn ... und Herrn ... auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 6. März 2014

für Recht er­kannt:

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Leip­zig vom 26.09.2013 – 2 Ca 4572/12 – auf Kos­ten des Be­klag­ten

a b g e ä n d e r t :

Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis nicht auf­grund der Be­fris­tungs­ab­re­de in dem Ar­beits­ver­trag vom 07./12.01.2009 mit Ab­lauf des 31.10.2011 be­en­det wor­den ist.

Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­tra­ges vom 07./12.01.2009 bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Ver­fah­rens wei­ter­zu­beschäfti­gen.

 

– Sei­te 2 –

Die Kos­ten des Rechts­streits hat der Be­klag­te zu tra­gen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten über die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses so­wie Pro­zess­beschäfti­gung.

Die Kläge­rin war un­un­ter­bro­chen vom 01.09.1989 bis zum 31.10.2011 bei der Be­klag­ten als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin/wis­sen­schaft­li­che As­sis­ten­tin beschäftigt, in dem Zeit­raum vom 01.03.1996 bis 24.04.2007 auf der Grund­la­ge ei­nes Be­am­ten­verhält­nis­ses auf Zeit. Auf zunächst fünf ar­beits­ver­trag­li­che Be­fris­tungs­ab­re­den vom 12.07.1988 (oh­ne Be­nen­nung ei­nes Sach­grunds), 12.08.1991 (oh­ne Be­nen­nung ei­nes Sach­grunds), 14.12.1992 (Verlänge­rung we­gen An­rech­nung von Mut­ter­schutz- und Er­zie­hungs­ur­laub oh­ne Be­nen­nung ei­nes Sach­grunds), 13.07.1994 (zum Ab­schluss der Pro­mo­ti­on) und 04.07.1995 (zum Er­werb der Ha­bi­li­ta­ti­on) folg­ten in dem Zeit­raum vom 01.03.1996 bis zum 24.04.2007 vier Zeit­ab­schnit­te, in de­nen die Kläge­rin als Be­am­tin auf Zeit zur wis­sen­schaft­li­chen As­sis­ten­tin er­nannt wur­de. Im Zeit­raum vom 25.04.2007 bis zum 31.10.2011 schlos­sen sich zwei be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se an, de­ren Grund mit Dritt­mit­tel­fi­nan­zie­rung an­ge­ge­ben wur­de. We­gen der Ein­zel­hei­ten wird in­so­weit auf Bl. 7 bis 22 d. A. zur Ergänzung des Tat­be­stan­des Be­zug ge­nom­men. Ab­wei­chend von dem im letz­ten Ar­beits­ver­trag vom 7./12.01.2009 an­ge­ge­be­nen Dritt­mit­tel­pro­jekt 977000-116 (des­sen Be­wil­li­gungs­zeit­raum sich auf den 01.11.2008 bis 31.10.2011 er­streck­te) war die Kläge­rin je­den­falls in dem Zeit­raum vom 01.07.2010 bis zum 30.05.2011 in dem Pro­jekt 977000-126 tätig.

Mit ih­rer am 22.11.2011 bei dem Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge setzt sich die Kläge­rin ge­gen das Aus­lau­fen des be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses zur Wehr.

 

– Sei­te 3 –

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags vom 7./12.01.2009 sei rechts­un­wirk­sam, da we­der die Vor­aus­set­zun­gen des Wiss­Zeit­VG noch des Tz­B­fG vorlägen. Die Kläge­rin sei mit Dau­er­auf­ga­ben beschäftigt ge­we­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht auf­grund der Be­fris­tungs­ab­re­de im Ar­beits­ver­trag vom 07./12.01.2009 zum 31.10.2011 ge­en­det hat.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­tra­ges vom 07./12.01.2009 als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Uni­ver­sität ... bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Ver­fah­rens wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin sei im Rah­men des von der EU ge­neh­mig­ten Pro­jekts be­fris­tet ein­ge­stellt und tätig ge­wor­den. Die For­schungs­ar­bei­ten bei der Ak­ti­vie­rung des ❂-Ca­ten­in-Si­gnal­we­ges, bei des­sen Er­for­schung die Kläge­rin un­strei­tig ein­ge­setzt wur­de, sei­en das Herzstück des "Can­cerSys-Pro­jekts" ge­we­sen. Der zwi­schen­zeit­li­che Ein­satz der Kläge­rin im Zu­sam­men­hang mit dem Pro­jekt "Vir­tu­el­le Le­ber" ste­he im un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang. Grundsätz­lich sei da­mit aber der Ein­satz der Kläge­rin in dem dritt­mit­tel­fi­nan­zier­ten Pro­jekt "Can­cerSys" für die Dau­er bis spätes­tens zum 31.10.2011 nicht zu be­an­stan­den. Bei­de Pro­jek­te sei­en sehr eng mit­ein­an­der ver­wandt, so dass die Er­geb­nis­se "Vir­tu­el­le Le­ber" nicht nur im un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang mit dem Pro­jekt "Can­cerSys" be­stan­den ha­ben, son­dern auch dort Ver­wen­dung fin­den konn­ten.

 

– Sei­te 4 –

Darüber hin­aus lie­ge auch kei­ne un­zulässi­ge Ket­ten­be­fris­tung vor. Die Kläge­rin sei für die Zeit von 2007 bis 2011 in zwei be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­sen, zu­vor je­doch in ver­schie­de­nen Be­am­ten­verhält­nis­sen, tätig ge­wor­den.

Hin­sicht­lich der Dar­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Streit­stan­des wird ergänzend auf den Tat­be­stand des Ur­teils vom 26.09.2013 Be­zug ge­nom­men.
Mit Ur­teil vom 26.09.2013, der Kläge­rin zu­ge­stellt am 18.10.2013, hat das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Kläge­rin ist am 18.11.2013 bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen und mit ei­nem am 17.12.2013 bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen Schrift­satz be­gründet wor­den.

Die Kläge­rin greift das Ur­teil un­ter Auf­recht­er­hal­tung und Ver­tie­fung ih­rer Rechts­an­sich­ten nach Maßga­be ih­rer Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift vom 17.12.2013 und ih­res Schrift­sat­zes vom 27.02.2014 voll­umfäng­lich an. Auf die ge­nann­ten Schriftsätze wird zur Ergänzung des Tat­be­stands Be­zug ge­nom­men.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Leip­zig vom 26.09.2013 – 2 Ca 4572/12 – ab­zuändern und

1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis nicht auf­grund der Be­fris­tungs­ab­re­de in dem Ar­beits­ver­trag vom 07./12.01.2009 mit Ab­lauf des 31.10.2011 be­en­det wor­den ist;

2. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen des Ar­beits­ver­tra­ges vom 07./12.01.2009 bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Ver­fah­rens wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

 

– Sei­te 5 –

Er ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil eben­falls un­ter Ver­tie­fung sei­ner Rechts­an­sich­ten nach Maßga­be sei­ner Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 18.02.2014 als zu­tref­fend. Auf den ge­nann­ten Schrift­satz wird zur Ergänzung des Tat­be­stands Be­zug ge­nom­men.

Hin­sicht­lich der wei­te­ren Wie­der­ga­be des Tat­be­stan­des im Ein­zel­nen wird gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG auf die Dar­stel­lung im Ur­teil des Ar­beits­ge­richts so­wie auf die im Be­ru­fungs­rechts­zug ge­wech­sel­ten Schriftsätze Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die be­reits nach dem Be­schwer­de­wert statt­haf­te (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) so­wie form- so­wie frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te Be­ru­fung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

Ihr ist auch in der Sa­che Er­folg be­schie­den. Das Ar­beits­verhält­nis hat nicht auf­grund der im Ar­beits­ver­trag vom 7./12.01.2009 ver­ein­bar­ten Be­fris­tung mit Ab­lauf des 31.10.2011 ge­en­det.

1. Die Wirk­sam­keit der Be­fris­tung folgt nicht aus § 2 Abs. 2 Wiss­Zeit­VG. Da­nach
ist die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges zulässig, wenn die Beschäfti­gung über­wie­gend aus Mit­teln Drit­ter fi­nan­ziert wird, die Fi­nan­zie­rung für ei­ne be­stimm­te Auf­ga­be und Zeit­dau­er be­wil­ligt ist und der Mit­ar­bei­ter über­wie­gend der Zweck­be­stim­mung die­ser Mit­tel ent­spre­chend beschäftigt wird.

Die Kläge­rin ist je­den­falls in dem Zeit­raum vom 01.07.2010 bis zum 30.05.2011, mit­hin elf Mo­na­te des ins­ge­samt 22 Mo­na­te an­dau­ern­den Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses, nicht für das der Be­fris­tungs­ab­re­de zu­grun­de lie­gen­de Dritt­mit­tel­pro­jekt tätig ge­we­sen, son­dern war an­der­wei­tig ein­ge­setzt. Ei­ne über­wie­gen­de Beschäfti-

 

– Sei­te 6 –

gung der Zweck­be­stim­mung der Dritt­mit­tel des Pro­jekts 977000-116 ent­spre­chend kann so­mit nicht fest­ge­stellt wer­den. Die Kläge­rin ist viel­mehr – so die Erklärung des Be­klag­ten im Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung vor der Kam­mer – in ein an­de­res Pro­jekt (977000-126) „um­ge­schlüsselt“ und aus des­sen Mit­teln vergütet wor­den. Die Auf­ga­ben der Kläge­rin in „ih­rem“ Pro­jekt wur­den laut Dar­stel­lung des Be­klag­ten in die­sem Zeit­raum durch an­de­re Mit­ar­bei­ter wahr­ge­nom­men, die nun­mehr aus den Pro­jekt­mit­teln vergütet wor­den wären.

Selbst wenn es sich bei der Fra­ge der Beschäfti­gung während der Be­fris­tungs­dau­er um ei­ne Pro­gno­se­ent­schei­dung han­delt, für die es al­lein auf den Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­tra­ges an­kommt, so ist für die Be­rech­ti­gung die­ser Pro­gno­se der Ar­beit­ge­ber, der das Vor­lie­gen ei­nes Sach­grun­des dar­tun und be­wei­sen muss, ins­ge­samt dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig. Zu sei­nen Pro­gno­seüber­le­gun­gen im Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ar­beits­ver­tra­ges hat sich der Be­klag­te je­doch nicht ein¬ge­las­sen, wo­zu aber an­ge­sichts der feh­len­den Kon­gru­enz zwi­schen Dritt­mit­tel­be-wil­li­gungs­zeit­raum und Be­fris­tungs­dau­er be­son­de­re Ver­an­las­sung be­stan­den hätte. Grundsätz­lich muss nämlich die Dau­er der Be­fris­tung bei ei­ner Dritt­mit­tel­be­fris­tung dem Be­wil­li­gungs­zeit­raum der Dritt­mit­tel ent­spre­chen, da die in­halt­li­che Fremd­be­stim­mung der Tätig­keit durch den Dritt­mit­tel­ge­ber das we­sent­li­che Merk­mal der Dritt­mit­tel­for­schung dar­stellt. Im vor­lie­gen­den Fall war die Kläge­rin aber be­reits auf der Grund­la­ge ei­ner vor­an­ge­hen­den – nicht mit ei­nem be­stimm­ten Pro­jekt un­ter­leg­ten – Dritt­mit­tel­be­fris­tung beschäftigt und wur­de im Rah­men die­ses Ar­beits­ver­tra­ges dem be­reits lau­fen­den Pro­jekt 9777000-116 zu Be­ginn des Jah­res 2009 zu­ge­ord­net. Wenn man vor die­sem Hin­ter­grund die sei­tens des Bun­des­ar­beits­ge­richts ge­for­der­te Ge­samt­be­trach­tung vor­nimmt um fest­zu­stel­len, ob ei­ne über­wie­gen­de, die In­ter­es­sen des Dritt­mit­tel­ge­bers nicht be­ein­träch­ti­gen­de Beschäfti­gung aus Dritt­mit­teln vor­liegt (vgl. BAG, Ur­teil vom 22.11.1995 – 7 AZR 248/95 – wie sämt­li­che Ver­wei­se im Fol­gen­den: zi­tiert nach JURIS), so ver­mag die­se be­reits des­we­gen kein für den Be­klag­ten güns­ti­ges Er­geb­nis zu er­brin­gen, weil für den Be­fris­tungs­zeit­raum vom 25.04.2007 bis zum 31.12.2009 über­haupt nicht fest­stell­bar ist, wer ursprüng­lich der Dritt­mit­tel­ge­ber war, des­sen In­ter­es­sen hier hätten be­ach­tet wer­den müssen. Viel­mehr er­scheint es so, dass die Kläge­rin nach Be­darf je-

 

– Sei­te 7 –

weils auf ak­tu­ell vor­han­de­ne Dritt­mit­tel­pro­jek­te „um­ge­schlüsselt“ wur­de. Dies lässt es aber na­he­lie­gend er­schei­nen, dass re­al die Kläge­rin im We­sent­li­chen mit Dau­er­auf­ga­ben des Lehr­stuhls be­fasst war.

2. Nach An­sicht der er­ken­nen­den Kam­mer schließt die Spe­zia­lität der Re­ge­lun­gen des Wiss­Zeit­VG es aus, sich zur Recht­fer­ti­gung der – ar­beits­ver­trag­lich im Übri­gen aus­drück­lich auf die Be­stim­mun­gen des Wiss­Zeit­VG gestütz­ten – Be­fris­tung auf die all­ge­mei­nen Be­fris­tungs­re­geln des § 14 Tz­B­fG zu stützen (wohl eben­so: LAG Köln, Ur­teil vom 09.09.2009 – 3 Sa 746/09 –; a. A.: Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 08.03.2013 – 3 Sa 448/12 –), da an­sons­ten die (we­ni­gen) Schran­ken des Wiss­Zeit­VG leer­lau­fen würden, die den die Be­fris­tungsmöglich­kei­ten er­wei­tern­den Re­ge­lun­gen ent­ge­gen­ste­hen.

3. Letzt­lich kann dies aber da­hin­ste­hen, da auch die streit­ge­genständ­li­che Be­fris­tung ei­ner be­son­de­ren Miss­brauchs­kon­trol­le zu un­ter­zie­hen ist. Die Ge­rich­te sind aus uni­ons­recht­li­chen Gründen ver­pflich­tet, al­le Umstände des Ein­zel­falls und da­bei na­ment­lich die Ge­samt­dau­er und die Zahl der mit der­sel­ben Per­son zur Ver­rich­tung der glei­chen Ar­beit ge­schlos­se­nen auf­ein­an­der­fol­gen­den be­fris­te­ten Verträge zu berück­sich­ti­gen, um aus­zu­sch­ließen, dass Ar­beit­ge­ber miss­bräuch­lich auf be­fris­te­te Ar­beits­verträge zurück­grei­fen (BAG, Ur­teil vom 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 –).

Die nach den Grundsätzen des in­sti­tu­tio­nel­len Rechts­miss­brauchs vor­zu­neh­men-de Prüfung (vgl. im Ein­zel­nen: BAG, Ur­teil vom 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 –) ver­langt ei­ne Würdi­gung sämt­li­cher Umstände des Ein­zel­falls (EuGH 26.01.2012 – C-586/10 – [Kücük]). Von be­son­de­rer Be­deu­tung sind die Ge­samt­dau­er der be­fris­te­ten Verträge so­wie die An­zahl der Ver­trags­verlänge­run­gen. Fer­ner ist der Um-stand zu berück­sich­ti­gen, ob der Ar­beit­neh­mer stets auf dem­sel­ben Ar­beits­platz mit den­sel­ben Auf­ga­ben beschäftigt wird oder ob es sich um wech­seln­de, ganz un­ter­schied­li­che Auf­ga­ben han­delt. Auch wenn z. B. ein ständi­ger Ver­tre­tungs­be­darf der An­nah­me des Sach­grunds der Ver­tre­tung nicht ent­ge­gen­steht und da­her ge­eig­net ist, die Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Ver­tre­ter zu recht­fer­ti­gen, ist er

 

– Sei­te 8 –

den­noch ein Um­stand, der im Rah­men ei­ner um­fas­sen­den Miss­brauchs­kon­trol­le in die Ge­samtwürdi­gung ein­be­zo­gen wer­den kann. Bei zu­neh­men­der An­zahl und Dau­er der je­weils be­fris­te­ten Beschäfti­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers kann es ei­ne miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung der dem Ar­beit­ge­ber an sich recht­lich eröff­ne­ten Be­fris­tungsmöglich­keit dar­stel­len, wenn er ge­genüber ei­nem be­reits langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer trotz der tatsächlich vor­han­de­nen Möglich­keit ei­ner dau­er­haf­ten Ein­stel­lung im­mer wie­der auf be­fris­te­te Verträge zurück­greift. Zu berück-sich­ti­gen ist außer­dem die Lauf­zeit der ein­zel­nen be­fris­te­ten Verträge so­wie die Fra­ge, ob und in wel­chem Maße die ver­ein­bar­te Be­fris­tungs­dau­er zeit­lich hin­ter dem zu er­war­ten­den Beschäfti­gungs­be­darf zurück­bleibt. Wird trotz ei­nes tatsächlich zu er­war­ten­den lan­gen Beschäfti­gungs­be­darfs in ra­scher Fol­ge mit dem­sel­ben Ar­beit­neh­mer ei­ne Viel­zahl kurz­fris­ti­ger Ar­beits­verhält­nis­se ver­ein­bart, liegt die Ge­fahr des Ge­stal­tungs­miss­brauchs näher, als wenn die ver­ein­bar­te Be­fris­tungs­dau­er zeit­lich nicht hin­ter dem pro­gnos­ti­zier­ten Beschäfti­gungs­be­darf zurück­bleibt. Bei der Ge­samtwürdi­gung können da­ne­ben wei­te­re Ge­sichts­punk­te ei­ne Rol­le spie­len, wie bei­spiels­wei­se das Vor­han­den­sein oder die Dau­er von Un­ter­bre­chun­gen zwi­schen den wie­der­holt ge­schlos­se­nen be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen (eben­so: BAG, Ur­teil vom 10.07.2013 – 7 AZR 761/11 –; BAG 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 –).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gibt in sei­ner vor­ste­hend zi­tier­ten Recht­spre­chung (vgl. außer­dem: BAG, Ur­teil vom 18.07.2012 – 7 AZR 783/10 –) nur gro­be Ori­en­tie­rungs­hil­fen zur Be­ur­tei­lung, ob rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten ge­ge­ben ist. Zur Be­stim­mung der Schwel­le ei­ner rechts­miss­bräuch­li­chen Ge­stal­tung von Sach­grund­be­fris­tun­gen ver­weist es zum ei­nen auf die ge­setz­li­chen Wer­tun­gen in § 14 Abs. 2 Satz 1 Tz­B­fG. Die Vor­schrift macht ei­ne Aus­nah­me von dem Er­for­der­nis der Sach­grund­be­fris­tung und er­leich­tert da­mit den Ab­schluss von be­fris­te­ten Verträgen bis zu der fest­ge­leg­ten Höchst­dau­er von zwei Jah­ren bei ma­xi­mal drei­ma­li­ger Verlänge­rungsmöglich­keit. Sie kenn­zeich­net den nach Auf­fas­sung des Ge­setz­ge­bers un­ter al­len Umständen un­pro­ble­ma­ti­schen Be­reich. Ist ein Sach­grund nach § 14 Abs. 1 Tz­B­fG ge­ge­ben, lässt erst das er­heb­li­che Über­schrei­ten die­ser Grenz­wer­te den Schluss auf ei­ne miss­bräuch­li­che Ge­stal­tung zu. Zu­min­dest re­gelmäßig be­steht hier­nach bei Vor­lie­gen ei­nes die Be­fris­tung an sich recht­fer­ti­gen­den Sach-

 

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grunds kein ge­stei­ger­ter An­lass zur Miss­brauchs­kon­trol­le, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 Tz­B­fG für die sach­grund­lo­se Be­fris­tung be­zeich­ne­ten Gren­zen nicht um ein Mehr­fa­ches über­schrit­ten sind. Wer­den die­se Gren­zen je­doch al­ter­na­tiv oder ins­be­son­de­re ku­mu­la­tiv mehr­fach über­schrit­ten, ist ei­ne um­fas­sen­de Miss­brauchs­kon­trol­le ge­bo­ten, in de­ren Rah­men es Sa­che des Ar­beit­neh­mers ist, noch wei­te­re für ei­nen Miss­brauch spre­chen­de Umstände vor­zu­tra­gen. Wer­den die in § 14 Abs. 2 Satz 1 Tz­B­fG ge­nann­ten Gren­zen al­ter­na­tiv oder ins­be­son­de­re ku­mu­la­tiv in be­son­ders gra­vie­ren­dem Aus­maß über­schrit­ten, kann ei­ne miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung der an sich eröff­ne­ten Möglich­keit zur Sach­grund­be­fris­tung in­di­ziert sein. In ei­nem sol­chen Fall hat al­ler­dings der Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig die Möglich­keit, die An­nah­me des in­di­zier­ten Ge­stal­tungs­miss­brauchs durch den Vor­trag be­son­de­rer Umstände zu ent­kräften. Vor die­sem Hin­ter­grund ist das Bun­des­ar­beits­ge­richt bei ei­ner Ge­samt­dau­er von mehr als elf Jah­ren und ei­ner An­zahl von 13 Be­fris­tun­gen so­wie ei­ner gleich­blei­ben­den Beschäfti­gung zur De­ckung ei­nes ständi­gen Ver­tre­tungs­be­darfs da­von aus­ge­gan­gen, die rechts­miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung der an sich eröff­ne­ten Möglich­keit der Ver­tre­tungs­be­fris­tung sei in­di­ziert, könne aber vom Ar­beit­ge­ber noch wi­der­legt wer­den (vgl. BAG, Ur­teil vom 10.07.2013 – 7 AZR 761/11 –; BAG 18.07. 2012 – 7 AZR 443/09 –).

Im vor­lie­gen­den Fall war die Kläge­rin un­un­ter­bro­chen vom 01.09.1989 bis zum 31.10.2011 bei der Be­klag­ten als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin/wis­sen­schaft­li­che As­sis­ten­tin beschäftigt. Auf zunächst fünf ar­beits­ver­trag­li­che Be­fris­tungs­ab­re­den folg­ten vier Zeit­ab­schnit­te, in de­nen die Kläge­rin als Be­am­tin auf Zeit zur wis­sen­schaft­li­chen As­sis­ten­tin er­nannt wur­de. An­sch­ließend war die Kläge­rin er­neut auf der Grund­la­ge zwei­er ar­beits­ver­trag­li­cher Be­fris­tungs­ab­re­den beschäftigt. Die un­un­ter­bro­che­ne gleich­ar­ti­ge Beschäfti­gung als Mit­ar­bei­te­rin des Be­klag­ten dau­er­te so­mit 22 Jah­re und zwei Mo­na­te an und ba­sier­te auf elf ver­schie­de­nen recht­li­chen Grund­la­gen. Mit der (vor­ste­hend zi­tier­ten) Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist an­ge­sichts die­ser Beschäfti­gungs­his­to­rie die rechts­miss­bräuch­li­che Aus­nut­zung der grundsätz­lich eröff­ne­ten Möglich­keit der Be­fris­tung von Beschäfti­gungs­verhält­nis­sen im Hoch­schul­be­reich in­di­ziert. Dies gilt so­gar dann, wenn man nicht den Zeit­raum des § 14 Abs. 2 Satz 1 Tz­B­fG zu­grun­de legt, son­dern die er­wei-

 

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ter­ten Möglich­kei­ten des Wiss­Zeit­VG her­an­zieht; selbst der da­nach zulässi­ge Zeit-raum von sechs Jah­ren nach Ab­schluss der Pro­mo­ti­on ist seit Ju­li 1995 bis 31.10.2011 um ein Viel­fa­ches über­schrit­ten. Nicht un­er­heb­li­che Un­ter­bre­chungs­zei­ten, die ge­gen ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che In­an­spruch­nah­me des Rechts­in­sti­tuts der Be­fris­tung spre­chen könn­ten, sind nicht ge­ge­ben. Im We­sent­li­chen be­ruh­ten die Be­fris­tun­gen auch nicht auf un­ter­schied­li­chen Gründen. Al­ler­dings hängt ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Ge­stal­tung auch nicht – je­den­falls nicht aus­sch­ließlich – da­von ab, wel­cher Sach­grund für die zur ge­richt­li­chen Über­prüfung ge­stell­te Be­fris­tungs­ab­re­de vor­liegt (vgl. BAG, Ur­teil vom 10.07.2013 – 7 AZR 761/11 –; BAG, Ur¬teil vom 13.02.2013 – 7 AZR 225/11 –). Ent­ge­gen­ste­hen­de An­halts­punk­te hat der Be­klag­te nicht vor­ge­tra­gen.

Die­sem Er­geb­nis steht auch nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin nicht durch­ge­hend auf (ar­beits-)ver­trag­li­cher Grund­la­ge beschäftigt war, son­dern zeit­wei­se in ei­nem Be­am­ten­verhält­nis auf Zeit stand. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in sei­ner maß-geb­li­chen Recht­spre­chung (EuGH 26.01.2012 – C-586/10 – [Kücük]) nicht da­nach dif­fe­ren­ziert, ob ei­ne Beschäfti­gung auf ver­trag­li­cher oder be­am­ten­recht­li­cher Grund­la­ge er­folgt; viel­mehr spricht er ein­heit­lich von Beschäfti­gungs­verhält­nis­sen.

4. Der sei­tens der Kläge­rin gel­tend ge­mach­te Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch recht­fer­tigt sich aus §§ 611, 242 BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG (BAG, Großer Se­nat, Be­schluss vom 27.02.1985, AP Nr. 14 zu 611 BGB Beschäfti­gungs­pflicht; BAG, Ur­teil vom 13.06.1985, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäfti­gungs­pflicht).

5. Der Be­klag­te hat gemäß § 91 ZPO die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

6. Die Re­vi­si­on war we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung der Sa­che zu­zu­las­sen.

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