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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 17.09.2015, 6 Sa 1328/14

   
Schlagworte: Ausschlussfrist: Mindestlohn, Mindestlohn: Ausschlussfrist
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 6 Sa 1328/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.09.2015
   
Leitsätze:

1. Im Anwendungsbereich der PflegeArbbV handelt es sich bei dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht um einen solchen iSv § 2 Abs. 1 PflegeArbbV. Grundlage ist vielmehr § 3 EFZG, wobei das Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV als Geldfaktor bei der Berechnung der Höhe heranzuziehen ist.

2. Eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist, die das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV erfasst, ist wegen Verstoßes gegen § 4 PflegeArbbV, §§ 7, 9 AEntG insgesamt unwirksam. Sie kann nicht in einen unwirksamen Bereich betreffend Mindestentgelt und einen wirksamen Bereich für sonstige Ansprüche aufgeteilt werden. Jedenfalls verstößt sie als Allgemeine Geschäftsbedingung gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

 

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 12. September 2014, 3 Ca 253/14
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.08.2016, 5 AZR 703/15
   


Te­nor

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­rich­tes Braun­schweig vom

12.09.2014 – 3 Ca 253/14 – wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens hat der Be­klag­te zu tra­gen.

Die Re­vi­si­on wird für den Be­klag­ten zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Be­ru­fungs­ver­fah­ren über die Ver­pflich­tung des Be­klag­ten, an die Kläge­rin für den Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 Ent­gelt­fort­zah­lung in Höhe von 684,00 € brut­to nebst Zin­sen zu zah­len.

Die Kläge­rin war in der Zeit vom 15.07.2013 bis 15.12.2013 als Pfle­ge­hilfs­kraft in dem Be­trieb des Be­klag­ten auf Grund­la­ge des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges vom 11.07.2013 tätig. Gemäß § 8 Abs. 2 die­ses Ar­beits­ver­tra­ges ha­ben die Par­tei­en ei­ne Ar­beits­vergütung in Höhe von 9,00 € brut­to pro Zeit­stun­de ver­ein­bart.

§ 22 des Ar­beits­ver­tra­ges lau­tet wört­lich wie folgt:

Aus­schluss­frist bei Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen

(1) Al­le bei­der­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis und sol­che, die mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung ste­hen, ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach der Fällig­keit ge­genüber der an­de­ren Ver­trags­par­tei schrift­lich er­ho­ben wer­den. Dies gilt auch für Ansprüche, die während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses ent­ste­hen.

(2) Lehnt die Ge­gen­par­tei den An­spruch ab oder erklärt sie sich nicht in­ner­halb von zwei Wo­chen nach der Gel­tend­ma­chung des An­spru­ches, so verfällt die­ser, wenn er nicht in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach der Ab­leh­nung oder dem Frist­ab­lauf ge­richt­lich gel­tend ge­macht wird.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Ver­tra­ges wird auf Blatt 22 bis 30 der Ak­te ver­wie­sen.

Vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 er­krank­te die Kläge­rin und leg­te dem Be­klag­ten in­so­weit ei­ne ärzt­lich aus­ge­stell­te Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung vor. Der Be­klag­te zahl­te an die Kläge­rin für die­sen Zeit­raum kei­ne Vergütung.

Mit Schrei­ben vom 20.01.2014 (Bl. 34 d. A.) wand­te sich die Kläge­rin an den Be­klag­ten mit dem Hin­weis, dass sie den Lohn für De­zem­ber 2013 (u. a. Krank­heits­ta­ge) noch nicht er­hal­ten ha­be und auf ih­rem Lohn­schein für No­vem­ber 2013 die Krank­heits­ta­ge feh­len würden. Sie for­der­te den Be­klag­ten auf, die­se An­ge­le­gen­heit bis zum 25.01.2014 zu be­he­ben. Dem ent­sprach der Be­klag­te nicht.

Mit der am 02.06.2014 beim Ar­beits­ge­richt Braun­schweig ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat die Kläge­rin - so­weit für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren von Be­deu­tung - die Ver­ur­tei­lung des Be­klag­ten zur Leis­tung von Ent­gelt­fort­zah­lung für die Zeit vom 19.11. bis 15.12.2013 in Höhe von 684,00 € brut­to be­gehrt.

Sie hat in ers­ter In­stanz be­haup­tet, in die­sem Zeit­raum ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen zu sein, und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Aus­schluss­frist in § 22 des vom Be­klag­ten vor­for­mu­lier­ten Ver­tra­ges sei un­wirk­sam und könne schon im Hin­blick auf § 4 Pfle­ge­ArbbV den An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung nicht er­fas­sen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 972,00 € brut­to nebst 5 Pro­zent Zin­sen über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01.01.2014 zu zah­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Er hat die An­sicht ver­tre­ten, der An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung für den Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 sei auf­grund der Aus­schluss­frist nach § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges der Par­tei­en ver­fal­len. Ab­ge­se­hen da­von be­strei­te der Be­klag­te, dass im Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 bei der Kläge­rin tatsächlich die Be­schei­ni­gung der Ar­beits­unfähig­keit recht­fer­ti­gen­de ge­sund­heit­li­che Sym­pto­me vor­ge­le­gen hätten. Am 19.11.2013, ge­ra­de dem Tag, an wel­chem die Kläge­rin plötz­lich er­krankt sein wol­le, ha­be die Pfle­ge­dienst­lei­te­rin des Be­klag­ten, Frau A., in An­we­sen­heit der stell­ver­tre­ten­den Pfle­ge­dienst­lei­te­rin, Frau B., der Kläge­rin persönlich mit­ge­teilt, dass ei­ni­ge Ände­run­gen im Dienst­plan der Kläge­rin hätten vor­ge­nom­men wer­den müssen. Hier­auf ha­be die Kläge­rin sicht­lich er­bost re­agiert und die Mit­tei­lung da­durch quit­tiert, dass sie sich ge­reizt ab­ge­wen­det und ei­ligst so­wie un­ge­hal­ten, oh­ne ei­nen Gruß das Büro­gebäude ver­las­sen ha­be. Bis da­hin sei die Kläge­rin den Mit­ar­bei­te­rin­nen sehr agil und kern­ge­sund er­schie­nen. Kaum ei­ni­ge St­un­den später ha­be dann die Pfle­ge­dienst­lei­te­rin der Be­klag­ten die In­for­ma­ti­on durch den Ehe­mann der Kläge­rin er­hal­ten, dass die­se er­krankt sei. Von der Kläge­rin selbst ha­be die Pfle­ge­dienst­lei­tung nach der Krank­mel­dung vom 19.11.2013 nichts mehr gehört. Meh­re­re Ver­su­che sei­tens der Pfle­ge­dienst­lei­te­rin und der stell­ver­tre­ten­den Pfle­ge­dienst­lei­te­rin, die Kläge­rin te­le­fo­nisch zu er­rei­chen, sei­en er­folg­los ge­blie­ben. Dies al­les spre­che sehr deut­lich dafür, dass die Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin vom 19.11.2013 nicht durch das tatsächli­che Vor­lie­gen ei­ner krank­heits­be­ding­ten Sym­pto­ma­tik be­gründet, son­dern viel­mehr ei­ne Trotz­re­ak­ti­on der Kläge­rin auf ei­ne un­lieb­sa­me Dienst­an­wei­sung ge­we­sen sei, um sich des Wei­te­ren ei­nem ihr wohl un­be­que­men Ar­beits­ein­satz zu ent­zie­hen. Der Hin­weis der Kläge­rin auf § 4 Pfle­ge­ArbbV grei­fe nicht. Die­se Aus­schluss­frist gel­te nach dem Sinn und Zweck der Ver­ord­nung nur für die Gel­tend­ma­chung et­wai­ger Dif­fe­ren­zen zwi­schen dem er­ziel­ten Ent­gelt und dem sich aus der Ver­ord­nung ggf. er­ge­ben­den höhe­ren Min­des­tent­gelt. Der Kläge­rin sei je­doch das Min­des­tent­gelt gewährt wor­den.

Mit am 12.09.2014 verkünde­tem Ur­teil hat das Ar­beits­ge­richt Braun­schweig den Be­klag­ten ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 684,00 € brut­to Ent­gelt­fort­zah­lung für den Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 zu zah­len. We­gen der Ein­zel­hei­ten der erst­in­stanz­li­chen Te­n­o­rie­rung wird auf den Ur­teils­te­nor des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils (Bl. 100 d. A.), we­gen der recht­li­chen Würdi­gung wird auf die Ent­schei­dungs­gründe die­ses Ur­teils (Bl. 103 bis 108 d. A., Sei­ten 4 bis 9 des­sel­ben) Be­zug ge­nom­men.

Das Ur­teil ist dem Be­klag­ten am 18.09.2014 zu­ge­stellt wor­den. Mit am 15.10.2014 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz hat er da­ge­gen Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se, nach­dem ihm zu­vor Frist­verlänge­rung gewährt wor­den war, un­ter dem 18.12.2014 be­gründet.

Er ist wei­ter­hin der Auf­fas­sung, nicht zur Ent­gelt­fort­zah­lung ver­pflich­tet zu sein.

Zu Un­recht ge­he das Ar­beits­ge­richt Braun­schweig da­von aus, dass die Kläge­rin in der Zeit vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen sei und der Be­klag­te den Be­weis­wert der von der Kläge­rin bei­ge­brach­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung nicht erschüttert ha­be. Da­bei ha­be das Ge­richt über­se­hen, dass die Kläge­rin am 19.11.2013 beim Ver­las­sen der Büroräume in An­we­sen­heit der Pfle­ge­dienst­lei­te­rin so­wie der stell­ver­tre­ten­den Pfle­ge­dienst­lei­te­rin an­gekündigt ge­habt ha­be, krank­zu­ma­chen. Dar­auf­hin wäre es an der Kläge­rin ge­we­sen, im Rah­men der ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last die Gründe, aus de­nen sie die Be­rech­ti­gung für ihr Ver­hal­ten her­lei­te, so kon­kret vor­zu­tra­gen, dass dem Be­klag­ten ei­ne Über­prüfung und auch ein ggf. er­for­der­li­cher Be­weis­an­tritt möglich ge­we­sen sei­en. Dem ha­be die Kläge­rin nicht ent­spro­chen. Je­den­falls sei ein et­wai­ger An­spruch der Kläge­rin auf­grund der ar­beits­ver­trag­li­chen Aus­schluss­frist ver­fal­len. Die Aus­schluss­frist in § 22 des Ar­beits­ver­tra­ges sei wirk­sam und er­fas­se ei­nen et­wai­gen Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch der Kläge­rin. Zu Un­recht ha­be das Ar­beits­ge­richt die­sen § 4 Pfle­ge­ArbbV zu­ge­ord­net. Die Aus­schluss­frist nach § 4 Pfle­ge­ArbbV gel­te nach dem Sinn und Zweck der Ver­ord­nung so­wie des Nor­men­cha­rak­ters nur hin­sicht­lich der Ein­hal­tung der Min­des­tent­gelt­gren­ze, d. h. für die Gel­tend­ma­chung ei­ner et­wai­gen Dif­fe­renz zwi­schen dem er­ziel­ten Ent­gelt und dem sich aus der Ver­ord­nung ggf. er­ge­ben­den höhe­ren Min­des­tent­gelt. Da der Kläge­rin un­strei­tig das Min­des­tent­gelt gemäß § 2 Pfle­ge­ArbbV gewährt wor­den sei, lau­fe § 4 vor­lie­gend ins Lee­re. Oh­ne­hin han­de­le es sich bei dem Min­des­tent­gelt gemäß § 2 Pfle­ge­ArbbV um die Fest­le­gung ei­nes ver­bind­li­chen Ent­gelt­sat­zes, mit dem ei­ne tatsächlich ge­leis­te­te Ar­beits­stun­de min­des­tens zu ent­loh­nen sei. Bei dem An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 in Ver­bin­dung mit § 4 Abs. 1 EF­GZ han­de­le es sich dem­ge­genüber nicht um ei­ne Ge­gen­leis­tung für er­brach­te Ar­beit, son­dern um ei­ne ge­setz­lich be­son­ders ge­re­gel­te Er­satz­leis­tung. Auf die­se fin­de § 4 Pfle­ge­ArbbV kei­ne An­wen­dung.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Braun­schweig vom 12.09.2014 – 3 Ca 253/14 – teil­wei­se ab­zuändern und die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil als zu­tref­fend. Die Kläge­rin ha­be für den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ei­ne ärzt­li­che Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung vor­ge­legt. Der erst­mals in der Be­ru­fungs­in­stanz vom Be­klag­ten vor­ge­tra­ge­ne Sach­ver­halt, sie ha­be am 19.11.2013 beim Ver­las­sen der Büroräume an­gekündigt, krank zu ma­chen, sei un­zu­tref­fend. Be­reits in den Ta­gen vor der Krank­mel­dung am 19.11.2013 sei die Kläge­rin we­gen ih­rer Tätig­keit bei dem Be­klag­ten so fer­tig ge­we­sen, dass sie zu­hau­se nur noch ge­weint ha­be. So sei es auch am 19.11.2013 ge­we­sen. Des­halb ha­be sie den Arzt auf­ge­sucht. Die­ser ha­be sie am 19.11.2013 un­ter­sucht und sei zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass die Kläge­rin der Be­las­tung aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht mehr ge­wach­sen sei. Der Be­klag­te ha­be der Kläge­rin vom 19.11.2013 bis zum 15.12.2013 kei­nen Lohn ge­zahlt und da­mit den Min­dest­lohn ver­wei­gert. Die Pfle­ge­ar­beits­be­din­gun­gen­ver­ord­nung sei da­her un­ein­ge­schränkt an­zu­wen­den. Auch bei der Ent­gelt­fort­zah­lung han­de­le es sich um Ent­gelt. Als sol­ches un­ter­lie­ge es nicht der drei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist nach § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges, son­dern der länge­ren 12-mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist gemäß § 4 Pfle­ge­ArbbV. Die­se ha­be die Kläge­rin ge­wahrt.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Vor­brin­gens der Par­tei­en der Be­ru­fung wird auf ih­re Schriftsätze vom 18.12.2014, 26.02.2015, 02.03.2015, 15.07.2015, 17.07.2015 so­wie 27.07.2015 und auf die in der münd­li­chen Ver­hand­lung am 17.09.2015 wech­sel­sei­tig ab­ge­ge­be­nen Erklärun­gen ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten hat kei­nen Er­folg.

A. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist statt­haft, form- und frist­ge­recht ein­ge­legt so­wie be­gründet wor­den, §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO.

B. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ist je­doch un­be­gründet. Der Be­klag­te ist da­zu ver­pflich­tet, an die Kläge­rin für den Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 Ent­gelt­fort­zah­lung in Höhe von 684,00 € brut­to zu leis­ten. Die­ser An­spruch der Kläge­rin ist nicht nach § 22 des Ar­beits­ver­tra­ges der Par­tei­en ver­fal­len.

I. Die Ver­pflich­tung des Be­klag­ten zur Ent­gelt­fort­zah­lung folgt aus §§ 3 Abs.1, 4 Abs.1 EFZG.

1. Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall durch den Ar­beit­ge­ber für die Zeit der Ar­beits­unfähig­keit bis zur Dau­er von sechs Wo­chen, wenn er durch Ar­beits­unfähig­keit in­fol­ge Krank­heit an sei­ner Ar­beits­leis­tung ver­hin­dert ist, oh­ne dass ihn ein Ver­schul­den trifft. Da­bei hat der Ar­beit­neh­mer die krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit nach­zu­wei­sen.

2. Die­ser Ver­pflich­tung hat die Kläge­rin durch die Vor­la­ge der auch zur Ge­richts­ak­te ge­reich­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung (Bl. 151 d. A.) ent­spro­chen. Der Tatrich­ter kann nor­ma­ler­wei­se den Be­weis, dass ei­ne krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit vor­liegt, als er­wie­sen an­se­hen, wenn der Ar­beit­neh­mer im Rechts­streit ärzt­li­che Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen vor­legt. In der Re­gel führt der Ar­beit­neh­mer den ge­bo­te­nen Nach­weis im Sin­ne von § 5 Abs. 1 EFZG so­wohl ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber als auch vor dem Ge­richt durch die Vor­la­ge von ärzt­li­chen Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen im Sin­ne des § 5 Abs. 1 EFZG. Die ord­nungs­gemäß aus­ge­stell­te Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung ist der ge­setz­lich aus­drück­lich vor­ge­se­he­ne und in­so­weit wich­tigs­te Be­weis für das Vor­lie­gen krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit. Ei­ner sol­chen Be­schei­ni­gung kommt ein ho­her Be­weis­wert zu. Das er­gibt sich be­reits aus der Le­bens­er­fah­rung (LAG Hamm 10. Sep­tem­ber 2003 – 18 Sa 721/03 – Rn. 85; BAG 1. Ok­to­ber 1997 – 5 AZR 726/96 – Rn. 13).

3. Der Ar­beit­ge­ber kann in die­sem Fall die Ar­beits­unfähig­keit nicht schlicht be­strei­ten, son­dern muss viel­mehr den Be­weis­wert der vor­ge­leg­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung erschüttern. Das ist dann der Fall, wenn es dem Ar­beit­ge­ber ge­lingt, ernst­haf­te Zwei­fel am Be­ste­hen der Ar­beits­unfähig­keit dar­zu­le­gen. Da­bei kann der Be­weis­wert der ärzt­li­chen Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung erschüttert wer­den durch Umstände im Zu­sam­men­hang mit der Be­schei­ni­gung selbst und durch das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers vor oder während der be­schei­nig­ten Dau­er der Ar­beits­unfähig­keit.

4. Dem Be­klag­ten ist es we­der in ers­ter noch in zwei­ter In­stanz ge­lun­gen, den Be­weis­wert der von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung zu erschüttern.

a) Zunächst hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die vom Be­klag­ten erst­in­stanz­lich be­haup­te­te Trotz­re­ak­ti­on der Kläge­rin am 19.11.2013 nicht ge­eig­net ist, sol­che Zwei­fel zu be­gründen. Die Kläge­rin hat am 19.11.2013 ih­ren Ar­beits­platz ver­las­sen, nach­dem sie zu­vor ih­ren ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen in vol­lem Um­fang nach­ge­kom­men war. Auf die­ser Grund­la­ge kommt dem Ent­fer­nen von der Ar­beits­stel­le kei­ne si­gni­fi­kan­te Be­deu­tung zu. Un­er­heb­lich ist auch, dass bzw. ob der Be­klag­te er­folg­los ver­sucht hat, die Kläge­rin während der Krank­heit zu er­rei­chen. Der Ar­beit­neh­mer muss sich im Krank­heits­fal­le nicht für Rück­ru­fe des Ar­beit­ge­bers be­reit­hal­ten. So­weit der Be­klag­te pau­schal auf ähn­lich ge­la­ger­te Sach­ver­hal­te in der Ver­gan­gen­heit ver­weist, hat die ers­te In­stanz zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass da­nach völlig of­fen bleibt, ge­nau wann und in wel­cher Art und Wei­se sich die Kläge­rin, in wel­chem Zu­sam­men­hang ge­genüber dem Be­klag­ten ver­hal­ten oder geäußert hat. Da­mit kann der Be­weis­wert der vor­ge­leg­ten ärzt­li­chen Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen nicht erschüttert wer­den.

b) So­weit der Be­klag­te in der Be­ru­fungs­in­stanz erst­mals be­haup­tet, die Kläge­rin ha­be am 19.11.2013 ih­re Ar­beits­unfähig­keit an­gekündigt, ver­mag auch die­ser pau­scha­le Ein­wand den Be­weis­wert der von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung nicht ernst­haft in Fra­ge zu stel­len. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt war nicht ge­hal­ten, die in­so­weit vom Be­klag­ten be­nann­ten Zeu­gen zu ver­neh­men. Viel­mehr sind die dies­bezügli­chen Be­haup­tun­gen des Be­klag­ten zu pau­schal und die dar­auf be­zo­ge­nen Be­weis­an­trit­te als un­zulässi­ge Aus­for­schung zu qua­li­fi­zie­ren. Der Be­klag­te hat­te erst­in­stanz­lich le­dig­lich be­haup­tet, die Kläge­rin ha­be auf die Mit­tei­lung der Dienst­planände­rung da­mit re­agiert, dass sie sich ge­reizt ab­ge­wen­det, so­fort ei­ligst und un­ge­hal­ten so­wie oh­ne ei­nen Gruß das Büro­gebäude ver­las­sen ha­be. Ir­gend­wel­che ak­ti­ve Äußerun­gen der Kläge­rin als Re­ak­ti­on auf die an­gekündig­te Dienst­planände­rung hat der Be­klag­te erst­in­stanz­lich noch nicht ein­mal an­satz­wei­se erwähnt. In der Be­ru­fung trägt der Be­klag­te nun vor, die Kläge­rin ha­be ih­re Ar­beits­unfähig­keit an­gekündigt. Ge­nau wie das er­folgt ist, führt der Be­klag­te eben­so we­nig aus, wie er erläutert, war­um die­ser re­le­van­te Vor­trag erst­ma­lig in zwei­ter In­stanz getätigt wird. Die Kläge­rin hat die­se Be­haup­tung des Be­klag­ten be­strit­ten. Da sich die von ihm be­haup­te­te Äußerung der Kläge­rin im un­mit­tel­ba­ren Wahr­neh­mungs­be­reich der von ihm be­nann­ten Zeu­gen ab­ge­spielt ha­ben, wäre dem Be­klag­ten ei­ne Sub­stan­ti­ie­rung oh­ne wei­te­res möglich ge­we­sen. Dem hat der Be­klag­te je­doch nicht ent­spro­chen. Die bloße pau­scha­le Be­haup­tung ist un­zu­rei­chend. In der Be­weis­auf­nah­me hätten die be­nann­ten Zeu­gen erst zu den kon­kre­ten Erklärun­gen der Kläge­rin be­fragt wer­den müssen, um die ge­bo­te­ne Sub­stan­ti­ie­rung zu er­rei­chen. Die Be­weis­auf­nah­me wäre al­so auf ei­ne un­zulässi­ge Aus­for­schung hin­aus­ge­lau­fen und ver­bot sich als sol­che. Ins­ge­samt ist des­halb da­von aus­zu­ge­hen, dass die­ser pau­scha­le Vor­trag nicht ge­eig­net ist, den Be­weis­wert der von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung zu erschüttern. Es ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Kläge­rin vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 ar­beits­unfähig er­krankt war.

5. Gemäß § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Ar­beit­neh­mer während der Ar­beits­unfähig­keit das ihm bei der für ihn maßge­ben­den re­gelmäßigen Ar­beits­zeit zu­ste­hen­de Ar­beits­ent­gelt fort­zu­zah­len. Die St­un­den­vergütung der Kläge­rin be­lief sich ar­beits­ver­trag­lich auf 9,00 €, wor­auf­hin sich für die 19 Ar­beits­ta­ge im Zeit­raum vom 19.11.2013 bis 15.12.2013 bei vier Ar­beits­stun­den pro Tag ein Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch der Kläge­rin in Höhe von 684,00 € brut­to er­rech­net. Dies wird der Höhe nach vom Be­klag­ten nicht in Ab­re­de ge­stellt.

II. Der An­spruch der Kläge­rin auf Ent­gelt­fort­zah­lung ist nicht ver­fal­len. Die Kläge­rin brauch­te bei des­sen Gel­tend­ma­chung die Aus­schluss­frist nach § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges nicht zu wah­ren. Die­se Frist ist un­wirk­sam.

1. In­so­weit ist dem Be­klag­ten zunächst zu­zu­ge­ben, dass es sich bei dem An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung nicht um ei­nen sol­chen auf Min­des­tent­gelt nach der Pfle­ge­ArbbV han­delt und für die­sen des­halb nicht die Aus­schluss­frist von 12 Mo­na­ten nach Fällig­keit gemäß § 4
Pfle­ge­ArbbV maßgeb­lich ist.

a) Zwi­schen den Par­tei­en ist nicht im Streit, dass der Gel­tungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV eröff­net ist, da der Be­klag­te ei­nen Pfle­ge­be­trieb im Sin­ne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Pfle­ge­ArbbV be­treibt und die Kläge­rin als Pfle­ge­hilfs­kraft ar­beits­ver­trag­lich über­wie­gend pfle­ge­ri­sche Tätig­kei­ten in der Grund­pfle­ge nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 des 11. Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch er­bracht hat, § 1 Abs. 3 Satz 1 Pfle­ge­ArbbV. An der Wirk­sam­keit der Pfle­ge­ArbbV be­ste­hen kei­ne Zwei­fel (vgl. BAG 19. No­vem­ber 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 12).

b) Die Pfle­ge­ArbbV ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten im Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en maßgeb­lich, ob­wohl sie aus­weis­lich von § 8 Abs. 2 des Ar­beits­ver­tra­ges ei­nen St­un­den­lohn in Höhe von 9,00 € brut­to und da­mit in der Höhe ver­ein­bart ha­ben, die § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV als Min­des­tent­gelt fest­legt. In den Gel­tungs­be­reich der Pfle­ge­ArbbV fal­len­de Per­so­nen ha­ben An­spruch auf das Min­des­tent­gelt un­abhängig da­von, ob sie Nied­riglöhner oder Bes­ser­ver­die­nen­de sind. Das Min­des­tent­gelt nach der Pfle­ge­ArbbV ist nach § 9 AEntG un­ab­ding­bar und schützt auch Ar­beit­neh­mer mit glei­chen bzw. höhe­ren St­un­den­ent­gel­tab­re­den (vgl. zum Min­dest­lohn: Düwell/Schu­bert Min­dest­l­ohn­ge­setz § 1 Rn. 18)

c) Bei dem An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung, den die Kläge­rin vor­lie­gend gel­tend macht, han­delt es sich je­doch nicht um ei­nen sol­chen auf Min­des­tent­gelt im Sin­ne von § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV. Grund­la­ge für den kläge­ri­schen An­spruch ist al­lein § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG in Ver­bin­dung mit § 4 Abs. 1 EFZG und das die­sen Be­stim­mun­gen zu­grun­de lie­gen­de Ent­gel­t­aus­fall­prin­zip. Die Pfle­ge­ArbbV enthält kei­ne aus­drück­li­chen Re­ge­lun­gen zur Ent­gelt­fort­zah­lung bei Ar­beits­unfähig­keit. Nach § 2 Pfle­ge­ArbbV ist das Min­des­tent­gelt „je St­un­de“ fest­ge­legt. An­knüpfungs­punkt für das Min­des­tent­gelt ist mit­hin ein be­stimm­ter Eu­ro­be­trag in Re­la­ti­on zu ei­ner be­stimm­ten Zeit­ein­heit (BAG 19. No­vem­ber 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 14). Da­nach ließe sich zwar ver­tre­ten, dass das Min­des­tent­gelt für al­le St­un­den ge­schul­det wird, für die dem Grun­de nach ein Vergütungs­an­spruch be­steht un­abhängig da­von, ob hierfür tatsächlich ei­ne Ge­gen­leis­tung er­bracht wird oder aus­nahms­wei­se ein Vergütungs­an­spruch oh­ne Ar­beits­leis­tung ge­ge­ben ist (BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 191/14 – Rn. 18). Bei der ge­bo­te­nen sys­te­ma­ti­schen Aus­le­gung ist je­doch der Kon­text der Pfle­ge­ArbbV mit dem AEntG zu be­ach­ten. Die Pfle­ge­ArbbV ist auf­grund der Ermäch­ti­gung nach § 11 AEntG er­las­sen wor­den. Die­se Ermäch­ti­gung er­streckt sich auf Ar­beits­be­din­gun­gen nach § 5 Nr. 1 und 2 AEntG. Re­ge­lungs­ge­gen­stand ei­ner Ver­ord­nung können nach § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG u. a. Min­des­tent­geltsätze und nach § 5 Satz 1 Nr. 2 AEntG die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­lau­bes und das Ur­laubs­geld sein. In­so­weit hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt in sei­ner Ent­schei­dung vom 13.05.2015 (10 AZR 191/14 – Rn. 19) dar­auf hin­ge­wie­sen, der Be­griff der Min­des­tent­gel­te im Sin­ne des § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG sei ein­heit­lich aus­zu­le­gen un­abhängig da­von, ob ein in­ner­staat­li­cher Sach­ver­halt oder ein Sach­ver­halt mit Aus­lands­be­zug zu ent­schei­den sei. In­ter­na­tio­nal zwin­gend vor­ge­schrie­ben sei­en nur Re­ge­lun­gen über die Vergütung für tatsächlich ge­leis­te­te Ar­beits­stun­den. Nicht zu den in­ter­na­tio­nal zwin­gen­den Rechts­nor­men gehörten u. a. § 2 EFZG und § 615 BGB. § 3 EFZG sei nur dann ei­ne Ein­griffs­norm, wenn der Ar­beit­neh­mer deut­schem So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht un­ter­lie­ge. Vor die­sem Hin­ter­grund for­dert das Bun­des­ar­beits­ge­richt deut­li­che An­halts­punk­te im Ta­rif­ver­trag, um an­neh­men zu können, die­ser wol­le wei­ter­ge­hen­de Re­ge­lun­gen schaf­fen, ob­wohl er sich nur teil­wei­se auf ta­rif­li­che Außen­sei­ter und Ar­beit­ge­ber mit Sitz im Aus­land hätte er­stre­cken können. Die­se über­zeu­gen­den Über­le­gun­gen sind voll in­halt­lich auf die Pfle­ge­ArbbV zu über­tra­gen. Der An­spruch der Kläge­rin auf Ent­gelt­fort­zah­lung in Höhe des Min­des­tent­gel­tes er­gibt sich mit­hin nicht un­mit­tel­bar aus der Pfle­ge­ArbbV, son­dern aus §§ 3, 4 EFZG, wo­bei das Min­des­tent­gelt nach § 2 Abs. 1 Pfle­ge­ArbbV als Geld­fak­tor in die Be­rech­nung des Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruchs ein­zu­stel­len ist (BAG 13. Mai 2014 – 10 AZR 191/14 – Rn. 22; im Er­geb­nis eben­so zur Pfle­ge­ArbbV: BAG 19. No­vem­ber 2014 – 5 AZR 1101/12 – Rn. 15).

2. Die Aus­schluss­frist in § 22 des Ar­beits­ver­tra­ges ist ins­ge­samt un­wirk­sam.

a) Bei § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges han­delt es sich um ei­ne All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gung im Sin­ne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Ar­beits­ver­trag, den die Par­tei­en am 11.07.2013 ge­schlos­sen ha­ben, ist ein vom Be­klag­ten vor­for­mu­lier­ter Ver­trag, den er nach sei­nem äußeren Er­schei­nungs­bild mehr­fach ver­wen­det. Der Ver­trag enthält über die persönli­chen Da­ten der Kläge­rin, de­ren Ar­beits­zeit und die St­un­den­vergütung hin­aus kei­ne in­di­vi­du­el­len Be­son­der­hei­ten (BAG 16. De­zem­ber 2014 – 9 AZR 295/13 – Rn. 14).

b) Die Aus­le­gung von § 22 er­gibt, dass die dar­in ver­ein­bar­te Aus­schluss­frist nicht nur ver­trag­li­che Ansprüche, son­dern auch das mit zwin­gen­der Wir­kung für die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en in der Pfle­ge­ArbbV ge­re­gel­te Min­des­tent­gelt er­fasst.

aa) All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen sind nach ih­rem ob­jek­ti­ven In­halt und ty­pi­schen Sinn ein­heit­lich so aus­zu­le­gen, wie sie von verständi­gen und red­li­chen Ver­trags­part­nern un­ter Abwägung der In­ter­es­sen der nor­ma­ler­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se ver­stan­den wer­den, wo­bei nicht die Verständ­nismöglich­kei­ten des kon­kre­ten, son­dern die des durch­schnitt­li­chen Ver­trags­part­ners des Ver­wen­ders zu­grun­de zu le­gen sind. Maßge­bend sind die Verständ­nismöglich­kei­ten des ty­pi­scher­wei­se bei Verträgen der ge­re­gel­ten Art zu er­war­ten­den nicht rechts­kun­di­gen Ver­trags­part­ners. An­halts­punk­te für die Aus­le­gung all­ge­mei­ner Geschäfts­be­din­gun­gen ist in ers­ter Li­nie der Ver­trags­wort­laut (BAG 20. Ju­ni 2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 18).

bb) Nach dem Wort­laut von § 22 Abs. 1 um­fasst die ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist ein­deu­tig al­le bei­der­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis und sol­che, die mit dem Ar­beits­verhält­nis in Ver­bin­dung ste­hen. § 22 enthält kei­ne sach­li­chen Ein­schränkun­gen. Da­nach fal­len un­ter den dar­in ver­wen­de­ten Be­griff der „Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis“ al­le ge­setz­li­chen, ta­rif­li­chen und ver­trag­li­chen Ansprüche, die die Ver­trags­par­tei­en auf­grund ih­rer durch den Ar­beits­ver­trag be­gründe­ten Rechts­stel­lung ge­gen­ein­an­der ha­ben (BAG 13. De­zem­ber 2011 – 9 AZR 399/10 – Rn. 17). Da­zu gehört auch der An­spruch der Kläge­rin auf Min­des­tent­gelt nach der Pfle­ge­ArbbV.

c) In Be­zug auf das Min­des­tent­gelt stellt die ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te drei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist so­wohl ei­ne nach­tei­li­ge Ab­wei­chung zu Las­ten der Kläge­rin von der 12-mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist in § 4 Pfle­ge­ArbbV als auch ei­nen Ver­s­toß ge­gen die ge­setz­li­che Vor­ga­be in § 9 AEntG dar, wo­nach Aus­schluss­fris­ten für die Gel­tend­ma­chung des An­spruchs auf Min­des­tent­gelt aus­sch­ließlich in ei­nem all­ge­mein-ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag oder dem der Rechts­ver­ord­nung nach § 7 AEntG zu­grun­de lie­gen­den Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt wer­den dürfen. Die­se Re­ge­lungsmöglich­keit wird über §§ 11 und 13 AEntG er­streckt auf ei­ne auf Grund­la­ge der Ermäch­ti­gung er­las­se­ne Rechts­ver­ord­nung. Zu­dem weicht die drei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist von der in § 9 AEntG ver­bind­lich vor­ge­ge­ben Min­dest­dau­er von sechs Mo­na­ten zum Nach­teil der Kläge­rin ab. In Be­zug auf das Min­des­tent­gelt ist die ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist des­halb we­gen mehr­fa­chen Ver­s­toßes ge­gen ge­setz­li­che Vor­schrif­ten gemäß § 134 BGB un­wirk­sam.

d) § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges ist nicht teil­bar in ei­nen un­wirk­sa­men Be­reich be­tref­fend Min­des­tent­gelt und ei­nen wirk­sa­men Be­reich für sons­ti­ge Ansprüche.

aa) So­weit das Bun­des­ar­beits­ge­richt dies bei Aus­schluss­klau­seln im Hin­blick auf un­ab­ding­ba­re Ansprüche aus Vor­satz­haf­tung nach §§ 202, 267 Abs. 3 BGB un­ter Hin­weis auf die kla­re Ge­set­zes­la­ge für möglich ge­hal­ten hat (BAG 20. Ju­ni 2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 21), lässt sich das auf die vor­lie­gen­de Kon­stel­la­ti­on nicht über­tra­gen. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt führt in der ge­nann­ten Ent­schei­dung zur Be­gründung aus, dass die Par­tei­en bei der Ver­ein­ba­rung ei­ner Aus­schluss­frist vor al­lem an lau­fen­de Ent­gelt­ansprüche den­ken würden, nicht aber an ver­trag­li­che oder de­lik­ti­sche Ansprüche we­gen Per­so­nenschäden (BAG 20. Ju­ni 2013 – 8 AZR 280/12 – Rn. 22). Beim An­spruch auf Min­des­tent­gelt han­delt es sich dem­ge­genüber um lau­fen­de Ent­gelt­ansprüche des Ar­beit­neh­mers (vgl. hier­zu: Rie­chert/Nim­mer­jahn Mi­LoG § 3 Rn. 17), bei de­nen da­von aus­zu­ge­hen ist, dass die Par­tei­en die­se be­dacht ha­ben.

bb) Der Be­klag­te kann sich in­so­weit nicht auf Ver­trau­ens­schutz­ge­sichts­punk­te be­ru­fen. Zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ar­beits­ver­tra­ges und der dar­in ver­ein­bar­ten Aus­schluss­frist im Ju­li 2013 war die Pfle­ge­ArbbV be­reits seit dem 01.08.2010 in Kraft und das die­ser zu­grun­de lie­gen­de Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­setz seit dem 20.04.2009.

e) Selbst wenn man zu­guns­ten des Be­klag­ten da­von aus­ge­hen woll­te, § 22 sei teil­bar, schei­tert des­sen Wirk­sam­keit dann an sei­ner feh­len­den Trans­pa­renz.

aa) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich ei­ne zur Un­wirk­sam­keit ei­ner All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gung führen­de un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung dar­aus er­ge­ben, dass die Be­stim­mung nicht klar und verständ­lich ist. Das Trans­pa­renz­ge­bot schließt das Be­stimmt­heits­ge­bot mit ein. Da­nach müssen die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen und Rechts­fol­gen so ge­nau be­schrie­ben wer­den, dass für den Ver­wen­der kei­ne un­ge­recht­fer­tig­ten Be­ur­tei­lungs­spielräume be­ste­hen. Sinn des Trans­pa­renz­ge­bo­tes ist es, der Ge­fahr vor­zu­beu­gen, dass der Ver­trags­part­ner des Klau­sel­ver­wen­ders von der Durch­set­zung be­ste­hen­der Rech­te ab­ge­hal­ten wird. Die Vor­aus­set­zung und der Um­fang der Leis­tungs­pflicht müssen des­halb so be­stimmt oder zu­min­dest so be­stimm­bar sein, dass der Ver­trags­part­ner des Ver­wen­ders be­reits bei Ver­trags­ab­schluss er­ken­nen kann, was auf ihn zu­kommt. Ei­ne Klau­sel ver­letzt das Be­stimmt­heits­ge­bot, wenn sie ver­meid­ba­re Un­klar­hei­ten enthält und Spielräume eröff­net. Ein Ver­s­toß ge­gen das Trans­pa­renz­ge­bot liegt des­halb nicht schon dann vor, wenn der Ar­beit­neh­mer kei­ne oder nur ei­ne er­schwer­te Möglich­keit hat, die be­tref­fen­de Re­ge­lung zu ver­ste­hen. Erst in der Ge­fahr, dass der Ver­trags­part­ner des Klau­sel­ver­wen­ders we­gen un­klar ab­ge­fass­ter all­ge­mei­ner Ver­trags­be­din­gun­gen sei­ne Rech­te nicht wahr­nimmt, liegt ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne von § 307 Abs. 1 BGB (BAG 21. Ja­nu­ar 2015 – 10 AZR 84/14 – Rn. 33).

bb) Da­nach ist die Re­ge­lung in § 22 des Ar­beits­ver­tra­ges nicht klar und verständ­lich. Nach ih­rem ein­deu­ti­gen Wort­laut er­fasst sie sämt­li­che Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis. Ansprüche auf Min­des­tent­gelt wer­den nicht als aus­ge­nom­men her­vor­ge­ho­ben. Es be­steht die Ge­fahr, dass die Kläge­rin als Ver­trags­part­ne­rin des Be­klag­ten als Klau­sel­ver­wen­der we­gen der um­fas­sen­den For­mu­lie­rung in § 22 Ansprüche auf Min­des­tent­gelt nicht mehr gel­tend macht, wenn mehr als drei Mo­na­te seit de­ren Fällig­keit ver­stri­chen sind. Dar­in liegt ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne von § 307 Abs. 1 BGB.

f) § 22 des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges ist nicht mit dem In­halt auf­recht­zu­er­hal­ten, dass Min­des­tent­gelt­ansprüche nach der Pfle­ge­ArbbV nicht da­von er­fasst wer­den. Bei All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen ist die gel­tungs­er­hal­ten­de Re­duk­ti­on von Ver­trags­be­stim­mun­gen nicht vor­ge­se­hen. Un­wirk­sa­me Klau­seln sind des­halb grundsätz­lich nicht auf ei­nen mit dem Ge­setz zu ver­ein­ba­ren­den Re­ge­lungs­ge­halt zurück­zuführen. Das wäre mit dem Zweck der §§ 305 ff. BGB nicht ver­ein­bar (BAG 16. De­zem­ber 2014 – 9 AZR 295/13 – Rn. 20). Wer die Möglich­keit nutzt, die ihm der Grund­satz der Ver­trags­frei­heit für die Auf­stel­lung von All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen eröff­net, muss auch das Ri­si­ko ei­ner Klau­sel­un­wirk­sam­keit tra­gen (BAG 11. April 2006 – 9 AZR 610/05 – Rn. 30).

g) Ei­ne ergänzen­de Ver­trags­aus­le­gung mit dem Er­geb­nis ei­ner Her­aus­nah­me des Min­des­tent­gel­tes un­ter Fort­gel­tung der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­schluss­frist im Übri­gen ist eben­falls nicht möglich.

aa) Die­se hätte zur Vor­aus­set­zung, dass der Ver­trag in­fol­ge der durch die Un­wirk­sam­keit ent­stan­de­nen Lücke ei­ner Ver­vollständi­gung be­darf, was nur an­zu­neh­men ist, wenn die er­satz­lo­se Strei­chung der un­wirk­sa­men Klau­sel kei­ne an­ge­mes­se­ne, den ty­pi­schen und schutzwürdi­gen In­ter­es­sen des Klau­sel­ver­wen­ders und sei­nes Ver­trags­part­ners Rech­nung tra­gen­de Lösung bie­ten würde (BAG 30. Sep­tem­ber 2014 – 3 AZR 930/12 – Rn. 39).

bb) Das ist vor­lie­gend nicht der Fall. Der Be­klag­te als Klau­sel­ver­wen­der hat­te die Möglich­keit, ei­ne Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lung zu for­mu­lie­ren, die Ansprüche auf Min­des­tent­gelt nach der Pfle­ge­ArbbV her­aus­nimmt. Dass er dem nicht ent­spro­chen hat, führt zu kei­ner un­an­ge­mes­se­nen Lösung. Es gilt dann viel­mehr das ge­setz­li­che Verjährungs­recht.

h) Sch­ließlich kann der Be­klag­te der Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Aus­schluss­fris­ten­re­ge­lung im Ar­beits­ver­trag im Hin­blick auf das Min­des­tent­gelt nicht ent­ge­gen­hal­ten, dass vor­lie­gend nicht das Min­des­tent­gelt, son­dern ein Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch streit­ge­genständ­lich ist, der übli­cher­wei­se ar­beits­ver­trag­li­chen Aus­schluss­fris­ten un­ter­wor­fen wird. Die §§ 305 ff. BGB miss­bil­li­gen schon das Stel­len un­zulässi­ger All­ge­mei­ner Geschäfts­be­din­gun­gen und nicht erst de­ren un­an­ge­mes­se­nen Ge­brauch im kon­kre­ten Ein­zel­fall. Der Rechts­fol­ge der Un­wirk­sam­keit sind auch Klau­seln un­ter­wor­fen, die in ih­rem Über­maß in zu be­an­stan­den­der Wei­se ein Ri­si­ko re­geln, das sich im Ent­schei­dungs­fall nicht rea­li­siert hat (BAG 16. De­zem­ber 2014 – 9 AZR 295/13 – Rn. 22).

III. Der Be­klag­te ist ver­pflich­tet, an die Kläge­rin gemäß §§ 3, 4 EFZG Ent­gelt­fort­zah­lung in Höhe von 684,00 € brut­to zu leis­ten. Die­ser An­spruch ist nicht ver­fal­len. Der hier­auf be­zo­ge­ne Zins­an­spruch hat sei­ne Grund­la­ge in §§ 288, 286 BGB. Das hat das Ar­beits­ge­richt zu Recht ent­schie­den. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung des Be­klag­ten war zurück­zu­wei­sen.

C. Der Be­klag­te hat die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Be­ru­fung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tra­gen.

D. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG ver­an­lasst.

Klaus­mey­er

Lau­er

Claaßen

 

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