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LAG Nürnberg, Urteil vom 27.05.2014, 7 Sa 32/14
Schlagworte: | Krankheit, Mehrurlaub, Arbeitsunfähigkeit | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Nürnberg | |
Aktenzeichen: | 7 Sa 32/14 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 27.05.2014 | |
Leitsätze: | 1. Auslegung des § 18 Manteltarifvertrag Metall- und Elektroindustrie: kein eigenständiges "Urlaubsregime" 2. Anwendbarkeit des § 366 Absatz 2 BGB bei Gewährung von Urlaub, wenn der tarifliche den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Bamberg - Kammer Coburg -, Endurteil vom 12.12.2013 - 4 Ca 722/13 | |
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG
7 Sa 32/14
4 Ca 722/13
(Arbeitsgericht Bamberg)
Datum: 27.05.2014
Urteil:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg – Kammer Coburg – vom 12.12.2013 abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass dem Kläger aus dem Jahr 2012 10 Urlaubstage bzw. 10 Tage bezahlte Freistellung zustehen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Urlaubsansprüche.
Der Kläger ist seit September 1968 bei der Beklagten als Technikumsmitarbeiter beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarifvertrag Anwendung, der seinerseits bezüglich der Urlaubsansprüche auf den Manteltarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroin-
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dustrie (TR 5/10 – 300 ab 145; im Folgenden: MTV) verweist.
§ 18 MTV lautet auszugsweise:
A. Allgemeine Bestimmungen
1. Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) Anspruch auf bezahlten
Erholungsurlaub. . . .
. . .
7. Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei
denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde.
Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten. Dies gilt nicht für den Teil des Tarifurlaubs, der den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigt, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes Verschulden aus einem Grunde entlassen worden ist, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt oder das Arbeitsverhältnis unberechtigt vorzeitig gelöst hat und in diesen Fällen eine grobe Verletzung der Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt.
. . .
B. Urlaubsdauer
1. Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage, wenn die individuelle wöchentliche Arbeitszeit des
Arbeitnehmers auf 5 Tage je Kalenderwoche verteilt ist.
. . .
Der Kläger brachte 2012 von seinem Jahresurlaub für 2012 12 Urlaubstage in Natur ein. Für den Zeitraum 20.12.2012 bis 18.01.2013 beantragte er Urlaub, der ihm von der Beklagten genehmigt wurde. Der Kläger erkrankte am 14.12.2012. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis 07.06.2013.
Der Kläger beantragte nach seiner Wiedergenesung, ihm im Zeitraum 10.06.2013 bis 03.07.2013 Urlaub aus dem Jahr 2012 zu gewähren. Die Beklagte genehmigte ihm Urlaub für den Zeitraum 10.06.2013 bis 21.06.2013, wobei sie von 8 restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2012 ausging. Hinsichtlich der weiteren 10 Tage des Urlaubs für 2012 teilte sie dem Kläger mit, der Urlaub sei verfallen.
Der Kläger erhob am 24.07.2013 die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Bamberg, mit der er geltend macht, er habe aus dem Jahr 2012 noch Anspruch auf Urlaub in Höhe von 10 Tagen.
Das Arbeitsgericht Bamberg wies die Klage mit Urteil vom 12.12.2013 ab.
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Das Urteil wurde dem Kläger am 17.12.2013 zugestellt.
Der Kläger legte gegen das Urteil am 15.01.2014 Berufung ein und begründete sie am 14.03.2014.
Die Berufungsbegründungsfrist war bis 17.03.2014 verlängert worden.
Der Kläger macht geltend, der Manteltarifvertrag enthalte kein eigenes Urlaubsregime. Soweit man von zwei unterschiedlichen Urlaubsregimes ausginge, müsse zumindest zu-gestanden werden, dass die Erfüllung in seiner, des Klägers, Hand liege.
In der Berufungsbegründung vom 14.03.2014 stellte der Kläger den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm auf seinem Urlaubskonto 10 weitere Urlaubstage gutzuschreiben.
Der Kläger beantragte zuletzt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg, vom 12.12.2013, 4 Ca 722/13 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auf dessen Urlaubskonto 10 weitere Urlaubstage gutzuschreiben.
Die Beklagte widersetzt sich der Klageänderung. Sie beantragt im Übrigen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, die Tarifvertragsparteien hätten sich in § 18 MTV vom gesetzlichen Fristenregime gelöst. Stichtag für den Verfall des Urlaubsanspruchs sei der 31.03. des Folgejahres, nicht der 31.12. des Urlaubsjahres. An besondere Voraussetzungen sei der Stichtag nicht geknüpft. Dies stelle eine eigenständige, den Arbeitnehmer besser stellende Regelung dar.
Darüber hinaus hätten die Tarifvertragsparteien in § 18 A Ziffer 7 Satz 3 MTV zwischen dem gesetzlichen und dem tariflichen Urlaub unterschieden.
Der Resturlaub aus 2012 sei deshalb verfallen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 1 und 2 b) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 ArbGG.
Die Berufung ist begründet.
Die erfolgte Klageänderung ist zulässig, § 66 Absatz 6 ArbGG iVm §§ 533, 529 ZPO.
Die Beklagte hat der Änderung der Klage zwar nicht zugestimmt, das erkennende Gericht hält sie indes für sachdienlich. Sachdienlichkeit ist zu bejahen, wenn die geänderte Klage zu einer Erledigung des Rechtsstreits führt und ein neuer Prozess vermieden wird.
Dies ist vorliegend der Fall.
Gegenüber dem zunächst gestellten Leistungsantrag bestanden rechtliche Bedenken. Deshalb erfolgte gemäß § 139 ZPO ein entsprechender gerichtlicher Hinweis, aufgrund dessen der Kläger seinen Klageantrag änderte. Nachdem sich am Inhalt des Rechtsschutzbegehrens des Klägers dadurch nichts änderte, führt eine Entscheidung zu einem endgültigen Abschluss des Streits über den Resturlaub.
Die Tatsachen, die zu berücksichtigen sind, sind dieselben wie beim ursprünglichen An-trag. Im Übrigen sind vorliegend die Tatsachen unstreitig, es geht um die rechtliche Bewertung der Tatsachen.
Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor, § 256 ZPO. Eine Feststellungsklage ist dann zulässig, wenn auf diesem Wege eine sachgemäße, einfache Erledigung der Streitpunkte zu erreichen ist und prozess-wirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen.
Die Klage ist begründet.
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Der Kläger hat Anspruch auf zehn Tage bezahlter Freistellung, §§ 282, 241 Absatz 2, 280 Absatz 1, 249 Absatz 1, 366 Absatz 2 BGB iVm § 18 A Ziffern 1 und 7 MTV.
Dem Kläger standen zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 14.12.2012 für 2012 noch achtzehn restliche Urlaubstage zu. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Hiervon hat er nach dem Ende seiner Arbeitsunfähigkeit acht Tage in Natur genommen.
Die restlichen zehn Urlaubstage sind nicht zum 31.03.2013 verfallen.
Zwar bestimmt § 18 A Ziffer 7 MTV, dass Urlaub, der nicht bis 31.03. des folgenden Kalenderjahres genommen ist, verfällt, wenn er nicht erfolglos geltend gemacht worden ist. Diese Regelung widerspricht zwar dem Wortlaut nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und, ihr folgend, des Bundesarbeitsgerichts, soweit auch der gesetzliche Mindesturlaub betroffen ist. Vorliegend geht der Urlaubsanspruch indes über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus. Die Tarifvertragsparteien haben festgelegt, dass der einzelne Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen im Jahr haben soll.
Eine tarifvertragliche Bestimmung, die bezüglich des Verfalls von Urlaub, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinaus geht, eine von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Richtlinie 2003/88/EG abweichende Regelung enthält, ist grundsätzlich zulässig.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, sind die Tarifvertragsparteien bei der Regelung tariflichen Mehrurlaubs durch europa-rechtliche Vorgaben nicht gehindert, die Behandlung von Urlaubsansprüchen einer eigen-ständigen Regelung zu unterwerfen. Dies gilt insbesondere für Fragen des Verfalls sowie der Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Für die Annahme einer solchen abweichenden tariflichen Regelung bedarf es allerdings eindeutiger, über das Regelungsziel des § 7 BUrlG hinausgehender Bestimmungen im Tarifvertrag. Auch bei Tarifverträgen, die vor der Verkündung der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 geschlossen wurden, müssen für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest- und Mehrurlaub unterscheidet, deutliche Anhaltspunkte bestehen (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 16.07.2013 – 9 AZR 914/11 = NZA 2013/1285 und DB 2014/366).
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Bei tariflichen Normen, die sich inhaltlich an gesetzliche Normen anlehnen oder auf sie verweisen, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob die Tarifvertragsparteien hierdurch eine selbstständige, in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung treffen wollten. Dieser Wille muss im Tarifvertrag einen hin-reichend erkennbaren Ausdruck finden. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich übernommen werden. In einem derartigen Fall ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass es den Tarifvertragsparteien bei der wörtlichen Übernahme des Gesetzestextes da-rum gegangen ist, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie haben dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifvertrag aufgenommen, um die Tarifgebundenen möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten (Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 13.11.2012 – 9 AZR 64/11 = AP Nr. 97 zu § 7 BUrlG Abgeltung; juris mwN).
Eine eigenständige tarifliche Regelung kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Tarifvertragsparteien ausdrücklich zwischen dem gesetzlichen Urlaub und dem tariflichen Mehrurlaub unterscheiden. Eine abweichende Regelung kann sich auch daraus ergeben, dass die Tarifvertragsparteien das gesetzliche Urlaubssystem verlassen und eine eigen-ständige Regelung vereinbart haben (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 = BAGE 137/328 und NZA 2011/1050).
Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien eine in diesem Sinn abweichende eigenständige Regelung nicht getroffen. Die Tarifvertragsparteien haben zwar in § 18 A Ziffer 7 eine Übertragung des Urlaubsanspruchs auf die ersten drei Monate des Folgejahres geregelt, wonach abweichend von § 7 Absatz 3 Satz 2 BurlG betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende rechtfertigende Gründe nicht erforderlich sind. Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgend, vermag das erkennende Gericht hierin indes kein ausreichendes eigenständiges Fristenregime zu erkennen. Es wird lediglich auf die ansonsten notwendige Prüfung der Übertragungsvoraussetzungen verzichtet. Eine solche Teilabweichung lässt nicht auf den Regelungswillen der Tarifvertragsparteien schließen,
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sich ansonsten vom Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes lösen zu wollen, zumal sie den 31. März des Folgejahres aus der gesetzlichen Regelung des § 7 Absatz 3 Satz 3 BurlG übernommen haben (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 = BAGE 137/328 und NZA 201/1050).
Die zitierte Entscheidung ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Zwar ging es dort nicht um den Manteltarifvertrag für die Metallindustrie. Die dortige tarifliche Regelung (§ 37 MTV Boden) war jedoch jedenfalls inhaltlich vergleichbar. Sie lautete:
§ 37 Verfallen und Übertragung des Urlaubsanspruchs
(1) Nicht genommener Erholungsurlaub verfällt ohne Anspruch auf Abgeltung am 31. März des folgenden Jahres, frühestens jedoch 6 Monate nach Beendigung der Wartezeit.
(2) Hat jedoch der Mitarbeiter den Anspruch auf Urlaub erfolglos geltend gemacht, so ist ihm der Urlaub nachzugewähren.“
Auch hier wurde darauf verzichtet, Übertragungsgründe zu verlangen.
Der Satz „Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde“ ist zwar in dieser Form im Gesetzestext nicht enthalten. Es entspricht indes der einhelligen Meinung in der Rechtsprechung, dass die Urlaubsansprüche verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Insoweit wirkt die tarifliche Regelung lediglich klarstellend.
Allerdings weicht § 18 MTV in seiner Gesamtheit von § 7 BUrlG ab.
So sieht § 18 A Ziffer 7 Absatz 2 MTV für den Teil des Urlaubs, der den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigt, bezüglich der Abgeltung des Urlaubsanspruches eine Abweichung vom Bundesurlaubsgesetz vor, indem der Abgeltungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des treuwidrigen Verhaltens ausgeschlossen ist. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist indes nicht auf die gesamte tarifliche Urlaubsregelung abzustellen, sondern darauf, ob der Tarifvertrag jeweils bezüglich einzelner Fragen vom Gesetz ab-weicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Abweichung eines Tarifvertrags von § 7 BUrlG schon dann zu bejahen ist, wenn der Tarifvertrag mehr als den gesetzlichen Urlaubsanspruch gewährt. Nur in diesen Fällen kann sich die Frage stellen, ob die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Urlaubsregelung getroffen haben. Hierfür verlangt das Bundesarbeitsgericht eine eindeutige Regelung.
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Nach allem kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass der Manteltarifvertrag ein eigenständiges Urlaubsregime nicht enthält.
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Manteltarifvertrag eine eigenständige Regelung zum Verfall des Urlaubsanspruches enthielte, wäre im vorliegenden Fall der Urlaub des Klägers gleichwohl nicht verfallen.
Die eigenständige Verfallregelung könnte sich nur auf die tariflichen (Mehr)Urlaubsansprüche beziehen. Lediglich der tarifliche Mehrurlaub unterliegt dem tariflichen Urlaubsregime. Die zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit des Klägers noch offenen Urlaubsansprüche waren indes gesetzlicher Natur. Die Beklagte hat 2012 zunächst den tariflichen Urlaubsanspruch erfüllt. Dies ergibt sich aus § 366 Absatz 2 BGB.
Die Frage, ob § 366 Absatz 2 BGB auf Urlaubsansprüche anzuwenden ist, ist vom Bundesarbeitsgericht nicht einheitlich beantwortet worden. So hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung vom 07.08.2012 (9 AZR 760/10 = AP Nr. 63 zu § 7 BUrlG und NZA 2013/104) sowohl eine unmittelbare als auch eine analoge Anwendung des § 366 Absatz 2 BGB verneint, da es sich bei einem Zusammentreffen zwischen gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub handele. In den Urteilen vom 16.07.2013 (9 AZR 914/11 = NZA 2013/1285 und DB 2014/366) und 15.10.2013 (9 AZR 302/12; juris) ist es hingegen von einer Anwendbarkeit des § 366 Absatz 1 BGB bei Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung ausgegangen und hat hier ein Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers angenommen.
In einer Entscheidung vom 01.10.1991 hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, als Schuldner des Urlaubsanspruchs obliege es dem Arbeitgeber nach § 7 Absatz 1 BUrlG ebenso wie nach § 50 Absatz 1 BAT, auf Antrag des Arbeitnehmers den Urlaubszeitraum festzulegen. Kämen für die vom Arbeitnehmer begehrte Freistellung von der Arbeitspflicht unterschiedliche Urlaubsansprüche in Betracht, habe der Arbeitgeber nach Prüfung der gesetzlichen oder tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht nur zu entscheiden, ob er dem Freistellungsantrag entspreche, sondern auch zu bestimmen, welchen Anspruch des Arbeitnehmers er erfüllen wolle. Habe der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs seine Erfüllungshandlung erbracht, sei es ihm verwehrt, später die Anspruchsgrundlagen für die getilgte Leistung mit einem anderen vom Gläubiger nicht geforderten Anspruch auszutauschen. Die Tilgungsbestimmung habe bei der Leistung und nicht nach
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der Leistung zu erfolgen (vgl. Bundesarbeitsgericht – 9 AZR 290/90 = BAGE 68/308 und NZA 1992/1078). Hier ist das Bundesarbeitsgericht also von einer Geltung des § 366 Absatz 1 BGB ausgegangen. Dann erscheint es folgerichtig, auch § 366 Absatz 2 BGB anzuwenden.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts findet demgemäß § 366 Absatz 2 BGB (auch) Anwendung bei der Frage, welche Urlaubsansprüche ein Arbeitgeber bei der Gewährung von Urlaub erfüllen will.
Schuldverhältnis im Sinne des § 366 BGB ist das Schuldverhältnis im engeren Sinne, d.h. die einzelne Forderung, auch wenn sie aus demselben Schuldverhältnis stammt (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Auflage, RdNr. 2 zu § 366; Bundesgerichtshof – Urteil vom 20.06.1984 – VIII ZR 337/82 = BGHZ 91/375 und NJW 1984/2404).
Ob eine Mehrheit von Forderungen vorliegt, ist dabei nach der Interessenlage zu beurteilen. § 366 BGB findet daher auch auf solche in sich gegliederte Forderungen zumindest entsprechende Anwendung, wenn rechtlich eine einheitliche Schuld vorliegt und es auf die Anrechnung von unterschiedlichen Teilen dieser Schuld geht (vgl. Prütting-Wegen-Weinreich, Kommentar zum BGB, RdNr. 8 zu § 366).
Nach der Interessenlage ist § 366 BGB auch auf Urlaubsansprüche anzuwenden, die teils auf dem Gesetz, teils auf einer tariflichen oder sonstigen Rechtsgrundlage beruhen und eine unterschiedliche rechtliche Behandlung erfahren. Insbesondere der Umstand, dass Urlaubsansprüche unterschiedlichen Verfallfristen unterliegen können, ist ein Grund dafür, § 366 BGB wenigstens analog anzuwenden.
Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Urlaubsanspruch des Klägers, soweit er ihn wegen der Arbeitsunfähigkeit nicht bis 31.03.2013 einbringen konnte, gesetzlicher Natur ist und deshalb über diesen Zeitpunkt hinaus bis 31.03.3014 übertragen wurde. Insbesondere ist der Urlaub, den die Beklagte dem Kläger bis zum Beginn von dessen Arbeitsunfähigkeit gewährt hat, mangels einer Leistungsbestimmung durch die Beklagte als Erfüllung zunächst des tariflichen Mehrurlaubs anzusehen. Der tarifliche Mehrurlaub ist, geht man davon aus, dass die Tarifvertragsparteien ein eigenes Urlaubsregime aufgestellt haben, der gegenüber dem gesetzlichen Urlaub weniger sichere Anspruch.
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Der noch nicht erfüllte (gesetzliche) Urlaub tritt nach der europarechtskonformen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dem am 1. Januar des folgenden Urlaubsjahres neu erworbenen Urlaubsanspruch hinzu und unterliegt dann dessen Fristenregime (vgl. Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 10.07.2012 – 9 AZR 11/11; juris). Die noch offenen zehn restlichen Urlaubstage aus dem Jahr 2012 waren somit dem Urlaub für 2013 zuzurechnen und verfielen, da sie nicht bis 31.03.2014 gewährt wurden, zu diesem Zeitpunkt.
Insoweit steht dem Kläger gegenüber der Beklagten indes ein Schadensersatzanspruch zu.
Die Beklagte war verpflichtet, dem Kläger den von ihm beantragten Urlaub zu gewähren, damit dieser nicht verfiel. Der Kläger hatte unstreitig nach seiner Wiedergenesung für den Zeitraum 10.06.2013 bis 03.07.2013 Urlaub beantragt. Die Beklagte handelte schuldhaft, indem sie die Urlaubsgewährung verweigerte.
Der Schadensersatzanspruch ist auf die Gewährung von zehn Tagen bezahlter Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet, § 249 BGB. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht fort, so dass Naturalrestitution geleistet werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.
Die Revision wurde gemäß § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Von grundsätzlicher Bedeutung ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts zum einen die Frage, wie § 18 des Manteltarifvertrags auszulegen ist, zum anderen, ob § 366 BGB bei der Urlaubsgewährung anzuwenden ist.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen.
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.
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Die Revision muss beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Postanschrift:
Bundesarbeitsgericht
99113 Erfurt
Telefax-Nummer:
0361 2636-2000
eingelegt und begründet werden.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände
- für ihre Mitglieder
- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder
oder
von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,
- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt
- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.
Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/.
Weißenfels
Vorsitzende Richterin
am Landesarbeitsgericht
Mack
Ehrenamtlicher Richter
Graf
Ehrenamtlicher Richter
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |