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ArbG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.08.2010, 2 Ca 416/10
Schlagworte: | Kündigungsschutzklage, Kündigung: Verhaltensbedingt, Kündigung: Außerordentlich | |
Gericht: | Arbeitsgericht Frankfurt am Main | |
Aktenzeichen: | 2 Ca 416/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 11.08.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Frankfurt am Main
Aktenzeichen: 2 Ca 416/10
Verkündet am:
11. August 2010
gez.
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Prozessbevollmächtigt.:
- Kläger -
gegen
- Beklagte -
hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Kammer 2,
auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2010
durch die Richterin am Arbeitsgericht als Vorsitzende
und den ehrenamtlichen Richter
und den ehrenamtlichen Richter
als Beisitzer
für Recht erkannt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. und 30. Dezember 2009 weder außerordentlich fristlos noch zum 30. Juni 2010 aufgelöst worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 12.130,76 festgesetzt.
__________________
Prot 51000
Die Einreichung elektronischer Dokumente ist in den zugelassenen Verfahren möglich, siehe www.arbg-frankfurt.justiz.hessen.de.
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Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist, die die Beklagte jeweils als Ta- und Verdachtskündigung erklärt hat.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Airline-Catering und betreibt unter anderem den Betrieb am Frankfurter Flughafen. Dort sind in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer in Vollzeit 'außer den zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt.
Der Kläger ist am geboren, verheiratet und drei Kindern (geboren und ) zum Unterhalt verpflichtet. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begann am 15. November 1989. Zunächst war der Kläger als Hubwagenfahrer eingesetzt, zuletzt wurde er aus gesundheitlichen Gründen als operativer Mitarbeiter im Bereich Rampe/Bereitstellung beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuzüglich einer Überleitungszulage in Höhe von € brutto.
Dem Kläger sind vorgesetzt Herr als Sachgebietsleiter Rampe/Bereitstellung, Herr als Fachkraft Catering, zeitweilig eingesetzt als Platzhalter bei Abwesenheit des Schichtleiters und Herr als Schichtleiter Rampe/Bereitstellung).
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung. Gemäß § 41 Abs. 3 S. 1 MTV ist nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren die ordentliche Kündigung ausgeschossen. Gemäß § 42 Abs. 2 MTV kann auch dem unkündbaren Mitarbeiter aus wichtigem in seiner Person oder seinem Verhalten
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liegenden Grund fristlos gekündigt werden. Die längste tarifliche Kündigungsfrist beträgt gemäß § 41 Abs. 2 MTV 6 Monate zum Quartal.
In den Jahren 2003 bis 2005 war der Kläger lange arbeitsunfähig erkrankt. Nach Abschluss der Wiedereingliederungsphase wandte sich der damalige Schwerbehindertenbeauftragte mehrfach an den Mitarbeiter , um für den Kläger Arbeiten zu fordern, die dessen Gesundheitszustand entsprachen.
Im Rahmen eines zwischen den Parteien im Jahr 2005 geführten Arbeitsrechtsstreits schlossen die Parteien einen Vergleich. Dieser lautet:
1. Der Kläger wird sich unverzüglich einer betriebsärztlichen Untersuchung unterziehen. Sollte der Betriebsarzt bzw. die Betriebsärztin feststellen, dass er als Hubwagenfahrer wieder voll einsatzfähig ist, so wird die Beklagte ihn als solchen weiterbeschäftigen.
2. Andernfalls wird der Kläger weiterhin als operativer Mitarbeiter, allerdings ohne Herabgruppierung weiterbeschäftigt.
3. Die Beklagte wird aufgrund der ihr obliegenden Fürsorgepflicht prüfen, ob und inwieweit eine Beschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz, beispielsweise dem so genannten Platz 3, erforderlich und im Rahmen der Kapazitäten möglich ist.
4. Der Kläger verpflichtet sich, über den Inhalt dieses Vergleichs gegenüber Dritten absolutes Stillschweigen zu bewahren.
5.
6.
Am 24. September 2009 fand zwischen dem Kläger und der Gruppenleiterin Personal, Frau , ein Personalgespräch im Rahmen eines betrieblichen Präventionsverfahrens statt. Anwesend waren noch Herr vom Betriebsrat, der Schwerbehindertenbeauftragte Herr und Herr . Die Forderung nach einer Arbeitsplatzbegehung mit Dr. lehnte Frau ab. Sie teilte mit, man werde das Integrationsamt hinzuziehen.
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Mit Schreiben des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main vom 16. November 2009 erlangten Herr , Herr und Herr Kenntnis darüber, dass gegen sie wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB und Nötigung gemäß § 240 StGB jeweils zum Nachteil des Klägers ermittelt wurde. Sie sollen den Kläger zwischen dem 1. Juli und 23. Oktober 2009 im Betrieb vor Zeugen als „Du Wichser, Idiot, Depp, unfähiger Trottel, Arschloch, Arsch, dumme Sau" und mit anderen herabwürdigenden Äußerungen beleidigt haben (vgl. BI. 54, 55, 57 des Anlagenbandes).
Am 19. November 2009 teilte Herr dies Frau , der Gruppenleiterin Personal mit. Frau ist nicht kündigungsberechtigt. Im Rahmen eines daraufhin mit der Polizei geführten Telefonats erhielt Frau Kenntnis von den vom Kläger angegebenen Zeugen , und . Am selben Tag fand zudem ein Gespräch mit den drei vom Kläger angezeigten Arbeitnehmern und Frau sowie Herrn (zuständiger Gruppenleiter) und Herrn (Sachbearbeiter Personal) statt. Alle drei angezeigten Arbeitnehmer erklärten, dass der Umgang mit dem Kläger schwierig sei und dass sie weder die angegebenen Äußerungen getätigt, noch den Kläger irgendwie genötigt hätten. Zudem beschrieb der Mitarbeiter einen Vorfall,• bei dem der Kläger weisungswidrig eine Kühlhaube ausgeschaltet und nicht geschlossen habe. Als Herr die Kühlhaube habe schließen wollen, habe der Kläger genau in dem Moment die Kühlhaube betreten. Der Kläger habe gefragt, ob er - - wolle, dass er - der Kläger - sich unterkühle. Der Kläger habe sodann den Vorwurf erhoben, Herr habe ihn einschließen wollen.
Ebenfalls am 19. November 2009 meldete sich Herr bei Frau und vereinbarte einen Gesprächstermin für den 23. November 2009.
Am 23. November 2009 berichtete Herr Frau , dass er von der Polizei schriftlich aufgefordert worden sei, sich als Zeuge zu äußern. Er erklärte gegenüber Frau , er kenne den Kläger kaum und könne keine Angaben machen. Er habe nie etwas davon mitbekommen, dass der Kläger von den drei Vorgesetzten beleidigt oder genötigt worden sei. Er sei sehr verärgert, dass er als angeblicher Zeuge benannt worden sei.
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Am 24. November 2009 führte die Beklagte erneut ein Gespräch mit den beschuldigten Vorgesetzten des Klägers, in welchem das weitere Vorgehen besprochen wurde. Am selben Tag wurde der seit dem 26. Oktober 2009 arbeitsunfähige Kläger von der Arbeitsleistung suspendiert.
Am Donnerstag, den 26. November 2009, sprach Frau mit dem vom Kläger bei der Polizei als Zeugen angegebenen Herrn . Dieser erklärte, dass er keine Angaben machen könne. Der Kläger habe ihm zwar erzählt, dass er Probleme habe, er habe aber nie Beschimpfungen der Art gehört und sei bei dem Vorfall mit der Kühlhaube nicht zugegen gewesen.
Des Weiteren sprach die Beklagte mit anderen Schichtleitern und Mitarbeitern des Bereichs, in dem der Kläger eingesetzt war.
Am Dienstag, den 1. Dezember 2009 erklärte der Kollege des Klägers, dass er den Kläger nicht kenne, aber von dessen Anschuldigungen gegenüber dem Schichtleiter , den Kläger in der Kühlhaube einzuschließen, gehört habe. Er teilte mit, es sei ihm auch schon versehentlich passiert, dass das Rolltor geschlossen habe, als er sich in der Kühlhaube aufgehalten habe. Man könne dann einfach die Lichtschranke bedienen, so dass das Tor automatisch stoppe. Er habe noch nie ein Schimpfwort von den betroffenen Schichtleitern gehört.
Außerdem wurden am 1. Dezember 2009 erneut die beschuldigten Vorgesetzten angehört. Herr berichtete von verschiedenen Konflikten mit dem Kläger und teilte mit, dass man schwer mit dem Kläger sprechen könne. Er sei vom Kläger auf Türkisch beschimpft worden; der Kläger fühle sich schnell angegriffen, wenn er auf ein Fehlverhalten angesprochen werde. Der Kläger habe ihm gesagt, er habe ihm nichts zu sagen und er werde sie alle fertig machen. Er versicherte, er habe nie Schimpfworte der benannten Art benutzt. Er erklärte auch, im Falle der Wiederaufnahme der Arbeit durch den Kläger wisse man nicht, wozu dieser noch fähig sei. Er habe deswegen erhebliche Bedenken.
Herr erklärte zudem, dass er nur die Kühlhaube habe schließen wollen und den Kläger nicht habe einschließen wollen. Er habe nie Schimpfwörter, wie vom Kläger behauptet, verwandt. Der Kläger habe aber schon gesagt „Ich kann auch
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anders." oder „Ihr werdet schon sehen.". Er erklärte, er habe auf Nachfrage vom Betriebsrat erfahren, dass der Kläger sich dort nie wegen Beleidigung oder Nötigung beschwert habe. Er könne sich nicht vorstellen, mit dem Kläger wieder zu arbeiten. Er werde nur noch mit Zeugen mit dem Kläger reden und seiner Meinung nach könne der Arbeitgeber derartige Anzeigen nicht ohne Konsequenzen lassen.
Am Mittwoch den 2. Dezember 2009 erklärte Herr , dass er die angegebenen Schimpfwörter nie benutzt habe und diese auch nicht von den beiden auch beschuldigten Kollegen gehört habe. Er hat die Meinung geäußert, zukünftig könne niemand mehr ohne Zeugen an den Kläger herantreten.
Am 4. Dezember 2009 sprach die Beklagte noch mit dem Schichtleiter . Der vom Kläger als Zeuge benannte Mitarbeiter , der auch Mitglied des Betriebsrats ist, wollte gegenüber der Beklagten keine Angaben machen.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 erbat die Beklagte die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei dem Integrationsamt in Wiesbaden. Wegen der Einzelheiten und des genauen Inhalts dieses Schreibens wird auf Blatt 6 bis 9 der Akten Bezug genommen.
Im Rahmen des Verfahrens vor dem Integrationsamt nahm der Kläger über seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten schriftlich am 16. Dezember Stellung. In diesem Schriftsatz werden die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses, seine Wahrnehmungen zum Verhalten seiner Vorgesetzten und sein Verhalten in der Vergangenheit, um den behaupteten Verunglimpfungen zu- entgehen, geschildert. In dem Schriftsatz heißt es unter anderem, der Kläger werde gemobbt und man habe ihm 5 Jahre keinen Sommerurlaub gewährt. Zu einem bestimmten Vorfall heißt es in dem Schriftsatz:
„Am 2.12.2009 befand sich der hier vertretene Mandant im Kühlhaus - Schockfroster -. Es kam der Schichtleiter - - hinzu und fing sofort wiederum an zu
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schreien. Es kam dann zu einer lauten Diskussion, Herr lies dann das Rolltor des Schockfrosters runterfahren und hatte die Kühlung eingeschaltet. Dies hatte der hier vertretene Mandant erst in letzter Sekunde und konnte sich somit retten. In allerletzter Sekunde hatte er mit seinen Arbeitsschuhen an die Sicherheitsleiste unterhalb des Tores getreten, darauf hin war das Rolltor wieder hochgefahren. Man kann nicht ausschließen, was passiert wäre, wenn eben hier das Tor hätte nicht mehr geöffnet werden können. Auch über diesen Tatbestand hatte der hier vertretene Mandant den Betriebsrat sofort informiert."
Wegen des weiteren genauen Inhalts dieses Schriftsatzes vom 16. Dezember 2009 an das Integrationsamt wird auf Blatt 75 bis 84 des Anlagenbandes verwiesen.
Im Schriftsatz des Klägers vom 18. Dezember 2009 (BI. 82 bis 84 des Anlagenbandes) heißt es, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft stehe.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 wandte die Beklagte sich an den Kläger. Einleitend heißt es in diesem Schreiben:
„... Bezug nehmend auf das Verfahren vor dem Integrationsamt möchten wir Ihnen nochmals und letztmalig die Gelegenheit geben, zu den folgenden Vorwürfen Stellung zu nehmen:...."
Die Beklagte hält dem Kläger in diesem Schreiben vor, er habe Anzeige gegen drei Vorgesetzte wegen Beleidigung und Nötigung gestellt und die vom Kläger benannten Zeugen hätten diese Vorwürfe nicht bestätigt. Die Beklagte hält dem Kläger außerdem den Inhalt des Schriftsatzes seines jetzigen Prozessbevollmächtigten zu einem geschilderten Vorfall vom 2. Oktober 2009 vor und meint, die Suggestion, habe versucht ihn zu erfrieren, sei eine ungeheuerliche Anschuldigung. Sie behauptet, der Kläger schildere die Gegebenheiten falsch und der Vorfall habe sich nach den Angaben des Herrn auch so nicht zugetragen. Sie sehe in der Darstellung seines Anwalts eine wahrheitswidrige Unterstellung
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eines Körperverletzungs- und Tötungsversuchs. Die Beklagte hält dem Kläger die Angaben seines Anwalts zu der Nichtgewährung von Urlaub und des Mobbings vor. Sie fordert den Kläger auf weitere Umstände, insbesondere ggf. Entlastende, bis zum 23. Dezember 2009 mitzuteilen. Wegen des Wortlauts dieses Schreibens wird auf Blatt 100, 101 des Anlagenbandes verwiesen.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009, das der Beklagten am selben Tag zu-ging, nahm der Kläger zu den Vorhaltungen aus dem Schreiben der Beklagten vom 21. Dezember Stellung. Er teilt darin mit, dass der bei der Polizei nur einen Sachverhalt geschildert habe, nicht aber Straftatbestände genannt habe. Die benannten Zeugen seien nur für den Vorfall mit der Haube benannt worden, es seien im Übrigen auch dazu nur Tatsachen geschildert worden. Hinsichtlich des Vortrages zum Urlaub habe es sich um einen Übermittlungsfehler gehandelt. Im Übrigen gebe es aus den vergangenen Jahren Unterlagen, die klar den zwingenden Schluss zuließen, dass es hier um den Tatbestand des Mobbings gehe. Wegen des genauen Inhalts der Stellungnahme vom 23. Dezember 2009 wird auf Blatt 118, 119 des Anlagenbandes verwiesen.
Am selben Tag ging bei der Beklagten die Zustimmung des Integrationsamtes schriftlich und fernmündlich ein (vgl. BI. 1 bis 11 des Anlagenbandes).
Gegen die Entscheidung des Integrationsamtes hat der Kläger Widerspruch eingelegt.
Ebenfalls am 23. Dezember 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen schriftlich an (vgl. Bl. 12 bis 20 und 22 bis 105 des Anlagenbandes). Die Betriebsratsanhörung wurde am 24. Dezember 2009 ergänzt (BI. 117 bis 137 des Anlagenbandes). Mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 erklärte dir Betriebsrat, dass er den beiden beabsichtigten Kündigungen nicht zustimme (vgl. BI. 15, 16 d.A.).
Mit Schreiben vom 28. Dezember 2009 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BI. 10 d.A.). Das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger am selben Tag persönlich
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übergeben. Mit Schreiben vom 31. Dezember 2009 erklärte sie die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30. Juni 2010 (BI. 11 d.A.). Auch dieses Schreiben wurde dem Kläger am selben Tag persönlich übergeben.
Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2010, der am selben Tag bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einging und der Beklagten am 29. Januar 2010 zugestellt wurde (BI. 18 d.A.), erhob der Kläger Kündigungsschutzklage.
Er ist der Auffassung, ein wichtiger Grund für die Kündigungen bestehe nicht. Allein der Umstand, dass jemand eine Strafanzeige gegen einen Mitarbeiter tätige, rechtfertige keine Kündigung.
Er ist der Auffassung, da zum Zeitpunkt der Anhörung und der Entscheidung des Betriebsrats eine Zustimmung des Integrationsamtes noch nicht vorgelegen habe, seien die Kündigungen unzulässig.
Er behauptet, nach dem arbeitsgerichtlichen Vergleich sei ihm immer schwere Arbeit zugeteilt worden, die er nicht habe schaffen können. Deswegen sei er des Öfteren arbeitsunfähig krank gewesen. Er sei von den Schichtleitern unter Druck gesetzt worden. Er habe auch mehrfach beim Betriebsrat beim Schwerbehindertenbeauftragten vorgesprochen und sich darüber beschwert, dass man ihm bewusst schwere Aufgaben gebe. Sogar der Betriebsarzt habe ihm ein Attest ausgestellt, dass er schwere Arbeiten nicht verrichten dürfe. Die Schichtleiter hätten die Vorgaben des Arztes schlicht nicht berücksichtigt. Der Schichtleiter habe ihn beleidigt und beschimpft und es immer so gesteuert, dass niemand dabei gewesen sei. Herr habe sich beim Sachgebietsleiter über ihn beschwert. Herr habe ihn angeschrien, ohne ihn anzuhören. Er behauptet, am 19. April 2009 habe Herr ihn beleidigt. Er habe sich dann beim Einsatzleiter beschwert. Herr habe Herrn zu sich hoch gerufen. Herr habe beide ermahnt und mitgeteilt, sonst werde er beide nach Hause schicken, wenn das
nicht aufhöre. Herr habe noch Herrn Vorhaltungen gemacht, weil er der
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Schichtleiter und Grieche sei. Herr habe sich dann am nächsten Tag an Herrn gewandt. Herr habe dann den Kläger beleidigt. Darauf hin sei er zum Zweiten Betriebsratsvorsitzenden Herrn gegangen und habe sich über diese Beleidigungen und nicht behinderungsgerechte Beschäftigung beschwert. Wegen dieses Vorfalls habe er sich vier Wochen wegen einer Depression im Krankenhaus befunden. Nach Rückkehr an den Arbeitsplatz sei er zum Betriebsarzt geschickt worden. Auch diesem Arzt habe er die Situation unter Hinweis auf die menschenunwürdige Behandlung geschildert. Herr Dr. habe sich mit Frau und Herrn in Verbindung setzen wollen. Er behauptet, in dem Gespräch am 24. September 2009 habe er Herrn auch mitgeteilt, dass er ihn ohne Grund anschreie und es schon so weit sei, dass andere Kollegen ihn - den Kläger -nicht mehr grüßten. Darauf habe Herr geantwortet es sei kein Wunder, „Sie sind zu langsam, deswegen müssen die anderen Kollegen mehr arbeiten." Frau habe ihm zugesagt, bis das Integrationsamt sich melde, werde er leichte Tätigkeiten ausüben. Das sei aber nicht erfolgt.
Er behauptet, am 2. Oktober 2009 habe er am Kühlhaus gearbeitet. Als Herr dazu gekommen sei, habe er ihn sofort angeschrien, warum er die Kühlung ausgeschaltet habe. Dann sei es zu einer lauten Diskussion gekommen. Dann habe er weiter gearbeitet und Herr sei weg gegangen: Zwei bis drei Sekunden später habe Herr das Rolltor herunter gelassen und die Kühlung eingeschaltet. Er habe das erst in der letzten Sekunde bemerkt, weil er mit dem Rücken zum Rolltor gestanden habe. Dann habe er mit den Schuhen an die Sicherheitsleiste treten können, so dass das Rolltor wieder hochgefahren sei. Er sei in diesem Moment äußerst erregt gewesen. An den Sicherheitsschalter innerhalb des Kühlraumes habe er nicht gedacht. Dieser sei durch gestapeltes Kühlgut verdeckt gewesen. Als er das Kühlhaus verlassen hatte, habe Herr wieder angefangen zu schreien. Der inzwischen pensionierte Kollege sei in unmittelbarer Nähe gewesen. Er habe zu ihm gesagt: „Bist Du immer noch hier, wie kannst du überhaupt so noch arbeiten." Er behauptet, es könne wegen der
technischen Gegebenheiten auch gar nicht sein, dass Herr die Kühlhaube
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versehentlich geschlossen habe. Er sei 10 Minuten nach dem Vorfall zum Betriebsratsmitglied gegangen und habe die Sache geschildert.
Er behauptet, am 21. und 22. Oktober 2009 seien Herr und Herr zu ihm gekommen und hätten ihn angeschrien, er müsse alle Arbeiten verrichten, sonst werde er bald verschwunden sein. Deswegen sei er zum Schwerbehindertenvertreter gegangen. Dieser habe gesagt, er müsse Zeugen bringen, sonst könne er nichts machen. Insgesamt werde er seit Jahren durch seine Vorgesetzten gemobbt, deshalb habe er sich nicht anders zu helfen gewusst, als hier wegen eines bestimmten Vorfalles, dessen tatsächliche Umstände er geschildert habe, eine Strafanzeige zu tätigen. Er habe damit ein jedem Staatsbürger zur Verfügung stehendes Instrument genutzt. Dieses Vorgehen könne eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Jedenfalls habe er durch das Schildern von Tatsachen bei der Polizei nicht schuldhaft gegen ihm obliegende Vertragspflichten verstoßen. Er habe die Anzeigeerstattung nicht betriebsöffentlich gemacht. Er meint, es sei zu erwarten gewesen, dass die von der Strafanzeige betroffenen Arbeitnehmer der Beklagten nicht einräumen würden, dass sie sich strafbar gemacht hätten.
Er behauptet, er sei wegen der Auseinandersetzungen wieder krank geworden. Sein ihn behandelnder Arzt könne bezeugen, dass er - der Kläger - seit vielen Jahren an Depressivität leide, die allein vom Arbeitsplatz herrühre.
Er behauptet, der von ihm benannte Zeuge habe ihm mitgeteilt. er solle ihn außen vor lassen, sonst habe er selbst Probleme. Er ist der Auffassung, auch der Zeuge habe schlicht Angst, seine Angaben zu bestätigen. Er meint, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kollege bei der Beklagten eine Aussage gemacht habe. Er meint die Beklagte müsse sich die Frage stellen, ob Herr türkisch spreche.
Er ist der Auffassung, es sei nicht nachvollziehbar, inwieweit ihm durch ein vorgeschaltetes Verfahren beim Integrationsamt Nachteile erwachsen könnten, wenn er im Rahmen der dortigen Anhörung aus Anlass des ihm zu gewährenden rechtlichen Gehörs wiederum befürchten müsse, dass ihm deswegen ge-
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kündigt werde. Er vermöge auch nicht zu erkennen, welchen arbeitsrechtlichen Bezug die Anhörung habe. Eine Verdachtskündigung komme nicht in Betracht, weil die Beklagte doch alle von ihr ermittelten Tatsachen als gegeben ansehe. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe seine erheblich lange Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Interessenabwägung nicht berücksichtigt. Die Kündigung sei auch unverhältnismäßig, weil die Beklagte eine vorherige Abmahnung nicht ausgesprochen habe. Zudem habe die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten.
Ein Grund für eine personenbedingte Kündigung bestehe nicht.
Er beantragt,
es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.12.09 weder außerordentlich fristlos aufgelöst wurde, noch durch die Kündigung der Beklagten vom 31.12.2009 außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2010 aufgelöst wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Kündigungen seien aus verhaltensbedingten Gründen wirksam. Ihnen liege die Tatsache zu Grunde, dass der Kläger drei seiner Vorgesetzten wissentlich falsch bei der Polizei der Begehung von Straftaten bezichtigt habe sowie nachweislich unwahre und ehrverletzende Tatsachen über das Unternehmen und dessen Mitarbeiter mitgeteilt habe. Beide Kündigungen seien auf die Tat, vorsorglich hilfsweise auf den Verdacht und höchst vorsorglich, für den Fall, dass das Verhalten des Klägers krankheitsbedingt gewesen sei, auf personenbedingte Gründe gestützt.
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Sie behauptet, der Umgang mit dem Kläger sei schwierig und dass von den drei angezeigten Arbeitnehmern weder die in der Anzeige angegebenen Äußerungen getätigt, noch den Kläger irgendwie von diesen genötigt worden sei.
Sie behauptet, an einem nicht bekannten Datum habe der Kläger weisungswidrig eine Kühlhaube ausgeschaltet und nicht geschlossen, obwohl die Kühlkette für die Lebensmittel nicht habe unterbrochen werden dürfen. Der Kläger habe Herrn gefragt, ob er wolle, dass er - der Kläger - sich unterkühle. Als Herr die Kühlhaube habe schließen wollen, habe der Kläger genau in dem Moment die Kühlhaube betreten. Der Kläger habe sodann den Vorwurf erhoben, Herr habe ihn einschließen wollen. Herr habe nicht die Absicht gehabt, den Kläger einzuschließen. Sie behauptet, Herr habe nie Schimpfwörter gegenüber dem Kläger benutzt.
Sie behauptet, dem vom Kläger benannten Zeugen sei zu etwaigen Beleidigungen oder Nötigungen der drei Vorgesetzten zu Lasten des Klägers nichts bekannt. Sie behauptet, der vom Kläger benannte Zeuge sei nicht Zeuge der vom Kläger bei der Polizei angegebenen Beschimpfungen gewesen und auch nicht Zeuge eines Vorfalls geworden, bei dem der Kläger habe gezielt eingeschlossen werden sollen. Sie behauptet, auch bei weiteren Befragungen von anderen Schichtleitern, die mit dem Kläger arbeiteten, habe keiner bestätigt, dass Schimpfworte von den beschuldigten Kollegen gebraucht worden seien. Die Beklagte ist der Auffassung, die Ermittlungen seien am 4. Dezember 2009 abgeschlossen gewesen. Sie habe keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass die Behauptungen des Klägers der Wahrheit entsprechen. Sie habe dem Kläger ausreichend zu den Vorwürfen angehört und ihm Gelegenheit gegeben, für ihn entlastende Tatsachen vorzutragen. Insgesamt habe sich durch ihre Ermittlungen ergeben, dass sich bei den verantwortlichen Führungskräften eine erhebliche Verunsicherung gezeigt habe. Sie ist der Auffassung, eine Weiterarbeit des Klägers im Betrieb verursache ganz erhebliche Unsicherheit in der Belegschaft, erfordere Zeugen für einfachste Mitarbeitergespräche zum Schutz der betroffenen Führungskräfte und sei nicht vorstellbar. Dies gelte umso mehr,
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weil der Kläger sich uneinsichtig zeige und weiter meine, er habe sich rechtmäßig verhalten. Sie ist der Auffassung, aufgrund der Erklärungen der anderen Schichtleiter, die mit dem Kläger arbeiteten, könne mit dem Kläger niemand mehr zusammenarbeiten.
Sie ist der Auffassung, durch den Vortrag des Klägers im Rahmen des Verfahrens um die beantragte Zustimmung des Integrationsamtes habe er erneut suggeriert, dass ein Vorgesetzter ihn habe gegen seinen Willen einschließen und damit in Lebensgefahr habe bringen wollen. Sie behauptet, dabei schildere der Kläger die Gegebenheiten und den Vorgang falsch. Schockfroster gebe es im Betrieb nicht. In der Kühlhaube herrsche eine Temperatur von 6 bis 8 Grad Celsius.
Die Behauptung, der Kläger habe keinen Urlaub in den Sommerferien gehabt, sei ebenso unwahr, wie die Äußerung, er werde gemobbt und solle nur wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft gekündigt werden.
Sie behauptet, die behaupteten beleidigenden Äußerungen durch den Zeugen am 19. April 2009 seien unwahr. Unwahr seien auch die behaupteten Beleidigungen durch den Zeugen . Sie behauptet, der Kläger habe vor den Anzeigen bei der Polizei nie einen Versuch unternommen, eine innerbetriebliche Klärung seiner Schwierigkeiten mit Vorgesetzten herbeizuführen. Der Kläger habe einzig am 24. September 2009 Frau gefragt, ob er einen Termin haben könne. Frau habe mitgeteilt, dass er jederzeit vorbeikommen könne oder über ihre Mitarbeiterin einen Termin vereinbaren könne. Der Kläger habe weder das Eine noch das Andere in Anspruch genommen. Weder ihr noch dem Mitarbeiter seien entsprechende Beschwerden des Klägers bekannt. Sie behauptet, der Kläger habe die Vorwürfe weder beim Betriebsrat noch bei der Schwerbehindertenvertretung vorgebracht. Sie ist der Auffassung, der Kläger habe nichts klären wollen, sondern „sie alle fertig machen" wollen.
Sie ist der Auffassung, die Anzeige gegen Vorgesetzte oder Kollegen sei ein außerordentlicher Kündigungsgrund. Dies gelte insbesondere, wenn eine vom Arbeitnehmer veranlasste Strafanzeige wissentlich unwahre oder leichtfertig
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falsche Angaben enthalte oder in Schädigungsabsicht erfolge. Aus den ihr gegenüber abgegebenen Zeugenaussagen ergebe sich, dass der Kläger die Beschuldigungen wegen Beleidigung und Nötigung wider besseres Wissen aufgestellt habe und zuvor eine innerbetriebliche Klärung nicht versucht habe. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung hält sie für entbehrlich. Erschwerend komme hinzu, dass alle ihre Mitarbeiter zwingend der Zuverlässigkeitsbestätigung der Flugsicherheitsbehörde bedürfen, die relativ leicht entzogen werde und dies zwingend zum Verlust des Arbeitsplatzes führe. Da der Kläger denselben Voraussetzungen unterliege, sei ihm dies auch bewusst. Der Kläger habe also mit seinen falschen Anschuldigungen auch in Kauf genommen, dass drei Personen eventuell ihre Existenzgrundlage verlieren, jedenfalls aber fortan in der Angst leben müssten, dass er dies weiter durch falsche Anschuldigungen betreibe. Dies könne auch wegen des erforderlichen guten Rufs der Vorgesetzten in der Belegschaft nicht hingenommen werden. Sie meint, der Betriebsfrieden würde durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers nachhaltig gestört, denn Vorgesetzte würden mit ihm nur noch im Beisein von Zeugen sprechen wollen. Letztlich behauptet sie, der Kläger sei gemäß den Vorgaben des ärztlichen Attests beschäftigt worden und von dem Mitarbeiter wie jeder andere Mitarbeiter im Bereich behandelt worden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie den gesamten Akteninhalt, insbesondere das Protokoll der Sitzung vom 11. August 2010 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat weder aufgrund der Kündigung vom 28. noch aufgrund der Kündigung vom 31. Dezember 2009 geendet. Ein wichtiger Grund für die Kündigungen besteht weder in der Person noch im Verhalten des Klägers, § 42 Abs. 2 MTV, § 626 BGB. Dies gilt sowohl für die Tat- als auch für die Verdachtskündigungen, wobei für eine personenbedingte Kündigung keinerlei Anhaltspunkte bestehen.
Wegen der gemäß § 313 Abs. 3 ZPO gebotenen kurzen Zusammenfassung der die Entscheidung der Kammer tragenden Erwägungen gilt Folgendes:
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet sowohl nach der Größe des Betriebs als auch nach der Dauer der Beschäftigung des Klägers im Betrieb das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, §§ 23, 1 KSchG. Der Kläger hat die Frist zur Erhebung der Klage eingehalten, § 4 Satz 1 KSchG. Zwar ist die gegen die Kündigungen vom 28. und 31. Dezember 2009, dem Kläger jeweils am selben Tag zugegangen, gerichtete Klage der Beklagten nicht bis zum 18. bzw. 21. Januar 2010, §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG, 187 Abs. 2, 188 Abs. 2, 193 BGB, zugestellt worden, § 253 Abs. 1 ZPO. Gleichwohl gilt die Klagefrist durch den Kläger als gewahrt. Der Beklagten war die Klageschrift, deren Zustellung der oder die Urkundsbeamte oder Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle veranlasst hatte, ausweislich der Zustellungsurkunde am 29. Januar 2010 zugestellt. Diese Zustellung wirkt gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift am 18. Januar 2010 bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main zurück, weil sie „demnächst" erfolgt ist. Die Verzögerung der Zustellung beruht allein auf der Behandlung der Sache durch das Arbeitsgericht, nachdem
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die Kammervorsitzende am 26. Januar 2010 Gütetermin anberaumt und die Zustellung der Klageschrift mit der Terminsladung am 27. Januar 2010 veranlasst worden ist.
Die außerordentlichen Kündigungen vom 28. und 31. Dezember 2009 sind rechtsunwirksam und haben das Arbeitsverhältnis der Parteien weder fristlos noch zum 30. Juni 2010 beendet.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Kammer davon ausgeht, dass der Maßstab für eine Kündigung aus wichtigem in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Grund iSv. § 42 MTV demjenigen des § 626 BGB entspricht.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, auch einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer nach § 626 BGB in Ausnahmefällen außerordentlich gekündigt werden (BAG, Urt. v. 8. April 2003 — 2 AZR 355/02 — EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 2). Letzteres ist hier der Fall, da gemäß § 41 Abs. 3 MTV gegenüber dem Kläger wegen seiner Betriebszugehörigkeit von weit mehr als 15 Jahren eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist, ihm aber nach § 42 Abs. 2 MTV auch als unkündbarem Mitarbeiter aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden kann, soweit dieser Grund in seiner Person oder in seinem Verhalten liegt. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes sowohl im Sinne des § 626 BGB als auch im gleichlautenden Sinne des § 42 MTV trägt der Arbeitgeber.
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Die Beklagte stützt die gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Kündigungen darauf, dass der Kläger drei seiner Vorgesetzten wissentlich falsch bei der Polizei der Begehung von Straftaten bezichtig habe sowie zusätzlich auch dem Integrationsamt gegenüber nachweislich unwahre Tatsachen und ehrverletzende Tatsachen über das Unternehmen und dessen Mitarbeiter mitgeteilt habe.
Bei einer Kündigung, die auf mehrere Gründe gestützt wird, ist zunächst zu prüfen, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu begründen. Erst wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung führt, ist im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit die außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG Urteil v. 22. Juli 1982 - 2 AZR 30/81 - AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; zur außerordentlichen Kündigung: BAG Urteil v. 10. Dezember 1992 - 2 AZR 271/92 - AP Nr. 41 zu Art. 140 GG), wobei in die Gesamtwürdigung bislang allerdings nur gleichartige - z.B. mehrere verhaltensbedingte - Gründe einbezogen worden sind. Von letzterem ist hier auszugehen. Die dem Kläger vorgehaltenen Verstöße liegen im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung, und zwar im Rahmen des Vertrauens und der innerbetrieblichen Verbundenheit. Dies betrifft sowohl den Kündigungsgrund der angeblich wissentlich falschen Bezichtigung einer Straftat bezogen auf die Vorgesetzten und den Kündigungsgrund Angabe falscher Tatsachen gegenüber dem Integrationsamt — jeweils auch in der Form der Verdachtskündigung. Die gegenüber dem Kläger erhobenen Kündigungsvorwürfe sind damit in sich einheitlicher Art. Nach der zuvor aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist daher auch eine Prüfung der einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit erforderlich.
Grundsätzlich ist das Äußern falscher Beschuldigungen über Kollegen oder Vorgesetzte sowie den Arbeitgeber gegenüber Strafverfolgungsbehörden, wenn sie leichtfertig ohne erkennbaren Grund oder gar wissentlich erhoben würden, an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine (Tat-)Kündigung aus wichti-
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gern Grund darzustellen. Jedoch hat die Beklagte nicht darzulegen vermocht, dass der Kläger diese Tat tatsächlich begangen hat.
Die Beklagte kann unmittelbare Tatsachen, die dem Beweis für das wissentliche oder leichtfertige Erheben unzutreffender Beschuldigungen durch den Kläger zugänglich sind, nicht positiv darlegen, denn sie verfügt für diesen — teils auch noch subjektiven Tathergang — nicht über Kenntnisse entsprechender Tatsachen. Auch zu Hilfstatsachen, wie zB. einem Geständnis des Klägers über die Unwahrheit seiner Behauptungen gegenüber Dritten, kann sie mangels entsprechender Kenntnis keinen Vortrag halten. Stattdessen trägt die Beklagte die ihr aufgrund von Zeugenaussagen vorliegenden negativen Tatsachen vor, es habe keine Beleidigungen zu Lasten Klägers gegeben. Dieser Vortrag ist nicht ausreichend. Der Vortrag negativer Tatsachen kann für die Schlüssigkeit des Beklagtenvortrages als darlegungs- und beweisbelasteter Partei für das Vorliegen des Kündigungsgrundes zwar grundsätzlich hinreichend sein und wirkt sich nicht auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast aus (vgl. BGH 15.Oktober 2002 — X ZR 132/01 — ZEV 2003, 207; 18. Mai 1999 — X ZR 158/97 — NJW 1999, 2887; 13. Dezember 1984 — III ZR 20/83 — NJW 1985, 1774); besonderen Beweisschwierigkeiten ist aber durch die Modifizierung der Darlegungslast Rechnung zu tragen (BGH 13. Mai 1987 — VIII ZR 137/86 — BGHZ 101, 49 = NJW 1987, 2235). Dies kann zum Beispiel dadurch erreicht werden, dass mittelbare Tatsachen als beweiserheblich angesehen werden, wenn der Beweis der unmittelbaren Tatsache nicht möglich ist und die Indizien geeignet sind, logische Rückschlüsse auf den unmittelbaren Tatbestand zu ziehen. Jedoch hat die Beklagte auch derart mittelbare Tatsachen nicht vortragen können, denn allein die Aussagen der beschuldigten Vorgesetzten, es sei nichts derartiges vorgefallen, sowie weiterer Mitarbeiter, nichts mitbekommen oder nie Beleidigungen der behaupteten Art gehört zu haben, lassen nach Auffassung der Kammer den logischen Schluss auf wissentliche Falschbehauptung des Klägers insoweit nicht zu. Hinzukommt, dass die Befragung der von der Beklagten genannten Zeugen unergiebig sein müsste, weil es dem Gericht aufgrund der ge-
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ringen Angaben des Klägers bei der Polizei an jeder Art nachprüfbarer Umstände, die die Kammer von der Wahrhaftigkeit der gedachten Aussagen überzeugen könnten, fehlen würde. Einen logischen Schluss aufgrund derartiger Aussagen vermöchte die Kammer jedenfalls nicht zu ziehen. Vielmehr ist die Kammer der Meinung, dass auch die — wie oben dargestellt — verringerten Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten lediglich die Wirkung einer widerleglichen Vermutung der entsprechenden positiven Tatsachen - hier: die Erhebung wissentlich falscher Anschuldigungen durch den Kläger — haben (zur Darlegungslast beim Schwellenwert für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes vgl. BAG 26. Juni 2008 — 2 AZR 264/07 — Rz 25 — zitiert nach juris). Die widerlegliche Vermutung zu Lasten des Klägers, er habe wissentlich seine Vorgesetzten falsch angeschuldigt, kann aber eine Tatkündigung nicht begründen. Insoweit kommt nur eine Verdachtskündigung in Betracht.
Aber auch die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung sind durch die Kündigungen vom 28. und 31. Dezember 2009 nicht erfüllt.
Es kann dahinstehen, ob auch der dringende Verdacht des Äußerns falscher Beschuldigungen über Kollegen oder Vorgesetzte sowie den Arbeitgeber gegenüber Strafverfolgungsbehörden, wenn sie leichtfertig ohne erkennbaren Grund oder gar wissentlich erhoben würden, an sich geeignet wäre, eine Verdachtskündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Die Beklagte hat nämlich die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, weil sie dem Kläger erst mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Anzeige seiner Vorgesetzten bei der Polizei gegeben hat.
Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Zwei-Wochen-Frist, innerhalb derer eine außerordentliche Kündigung zu erklären ist, mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Vorschrift regelt eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung. Sie soll innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlass für
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eine außerordentliche Kündigung genommen wird. Andererseits soll die zeitliche Begrenzung aber nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben oder den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne genügende Vorprüfung voreilig zu kündigen (BAG Urteil v. 11. März 1976 - 2 AZR 29/75 - AP Nr. 9 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).
Für den Fristbeginn kommt es auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an; selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Unter den Tatsachen, die für die Kündigung maßgebend sind, sind im Sinne der Zumutbarkeitserwägungen sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände zu verstehen. Es genügt somit nicht die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlassen, d.h. des „Vorfalls", der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muss eine Gesamtwürdigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten möglich sein. Bei der Arbeitgeberkündigung gehören deswegen zum Kündigungssachverhalt auch die für den Arbeitnehmer und gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, die regelmäßig ohne eine Anhörung des Arbeitnehmers nicht hinreichend vollständig erfasst werden können. Solange der Kündigungsberechtigte diese Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, insbesondere dem Kündigungsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, kann die Ausschlussfrist nicht beginnen; die Anhörung ist in der Regel geeignet, den Fristlauf zu hemmen (BAG Urteil v. 12. Februar 1973 2 AZR 116/72 - AP Nr. 6 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Der Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB darf indessen nicht länger als unbedingt nötig hinausgeschoben werden. Sie ist nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Die Kammer schließt sich der Forderung des Bundesarbeitsgerichts an, dass der Kündigungsgegner innerhalb einer kurz bemessenen Frist angehört werden muss, die regelmäßig nicht län-
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ger als eine Woche sein darf. Es handelt sich insoweit um eine Regelfrist, die bei Vorliegen besonderer Umstände auch überschritten werden darf.
Diesen Grundsätzen folgend hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Sie selbst hat die Ermittlungen wegen der behaupteten Falschanzeige durch den Kläger als am 4.. Dezember 2009 nach dem Gespräch mit dem Schichtleiter als beendet bezeichnet. Sie selbst ging also zu diesem Zeitpunkt von der sicheren und möglichst vollständigen positiven Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen aus. Gründe, für eine Fristhemmung, weil die Beklagte dann dennoch aus verständigen Gründen und dennoch mit der gebotenen Eile nach wie vor Ermittlungen anstellte, sind nicht ersichtlich. Es sind auch keine Umstände vorgetragen, aus denen zu entnehmen wäre, dass es ihr erst mit Schreiben vom 21. Dezember 2009 - mithin mehr als zwei Wochen später - möglich war, den Kläger zu den Vorwürfen anzuhören. Obwohl in dem Schreiben von erneuter Gelegenheit zur Stellungnahme die Rede ist, sind keine Tatsachen ersichtlich, die für eine vorherige Anhörung des Klägers sprechen. Die Abgabe einer Stellungnahme im rahmen des Verfahrens vor dem Integrationsamt kann nicht als Anhörung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber angesehen werden. Nicht die Beklagte, sondern das Integrationsamt haben den Kläger im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs zur Stellungnahme aufgefordert.
Die Kündigung ist als Tatkündigung nicht deswegen wirksam, weil der Kläger im Rahmen des Verfahrens bei dem Integrationsamt im Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. Dezember 2010 für den 2. Oktober 2009 einen Vorfall mit einem „Schockfroster" so dargestellt hat, als habe der Vorgesetzte ihn einschließen wollen und als habe sich dadurch eine lebensbedrohliche Situation für ihn ergeben.
Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Stellungnahme bei dem Integrationsamt dramatisiert, übertrieben oder erkennbar den Abläufen erst nachträglich eine Bedeutung beigemessen hat, die ihnen objektiv
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nicht zustehen, so kann doch dahinstehen, ob ein solches Verhalten, das dem Arbeitnehmer zuzurechnen sein wird, geeignet ist „an sich" eine Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen.
Wenn ein an sich geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliegt, kann eine hierauf gestützte Kündigung aus wichtigem Grund das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zu dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreien Bestands ein besonderes Gewicht zu. Darüber hinaus sind die Unterhaltspflichten und das Lebensalter zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Senat 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11).
Unterstellt der Kläger hat den Vorfall an der Kühlhaube/an dem Kühlhaus wissentlich verzerrt und erheblich übertreibend bei dem Verfahren mit dem Integrationsamt dargestellt, so kommt dem zwar ein missbilligenswerter Unwertgehalt zu, der zugunsten der Beklagten für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses spricht. Gleichzeitig ist derzeit überwiegend zugunsten des Klägers zunächst zu berücksichtigen, dass er diese — unterstellt — übertriebenen Darstellungen in einer besonderen Situation, nämlich im Rahmen des Antragsverfahrens vor dem Integrationsamt abgab, als sein Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung wegen anderer Umstände begehrte. Diese für den Kläger herausgehobene Besonderheit der Situation wird sowohl in den Stellungnahmen des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber dem Integrationsamt an sich als
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auch insgesamt im Verfahren für die Kammer deutlich. Die ihm vorgeworfene Darstellung kann nach Auffassung der Kammer nicht außerhalb dieses Kontextes bewertet werden. Hinzu kommt des Weiteren, dass auch die - unterstellt -wahrheitswidrige Darstellung dieses einen Vorfalls lediglich eine Nebenpflichtverletzung bedeutet sowie dass unterschiedliche Darstellungen von streitigen Sachverhalten unter Kollegen einer ungestörten Weiterarbeit an sich nicht zwingend entgegenstehen. Jedenfalls ist der Umstand dieser Schilderung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers derzeit nicht als ein solcher erkennbar, der einer ungestörten Weiterarbeit des Klägers im Betrieb entgegensteht. Die Schilderung hat an sich keine Betriebsöffentlichkeit erfahren. Von einer „absoluten Uneinsichtigkeit" des Klägers vermag die Kammer jedenfalls derzeit nicht auszugehen. Mit der — unterstellt — unrichtigen Äußerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen des Anhörungsverfahrens geht auch keine konkreten Schädigung sowohl des Rufs als auch der materiellen Interessen der Beklagten einher. Zugunsten des Klägers spricht im Übrigen besonders seine mehr als 20 jährige Beschäftigungszeit und seine Unterhaltspflichten für drei Kinder, von denen eines nicht volljährig ist (geboren am ). Zumindest derzeit überwiegt das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten an dessen Nichtbeschäftigung - auch nach Ablauf der mit der Kündigung vom 30. Dezember 2009 berücksichtigten Auslauffrist.
Auf die Äußerungen des Klägers zum Urlaub und zur Kündigung wegen seiner Scherbehinderteneigenschaft kann die Beklagte die Kündigungen weder als Tat- noch als Verdachtskündigung stützen.
Sie übersieht zunächst, dass der Kläger seine Äußerung wegen des Urlaubs korrigiert hat und dass er im Übrigen eine Meinung äußert.
Soweit die Beklagte die Kündigungen wegen der Äußerungen des Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 16. Dezember 2009 im Rahmen des vor dem Integrationsamt zu führenden Verfahrens als Verdachtskündigungen ausge-
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sprochen hat, gilt im Rahmen der auch hier vorzunehmenden Interessenabwägung nichts Abweichendes.
Da die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung führt, war im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit die Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen. Dies ist nicht der Fall. Da die Tatkündigung wegen der dem Kläger vorgeworfenen Falschanzeige als solche, die Verdachtskündigung wegen der dem Kläger vorgeworfenen Falschanzeige wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist unwirksam sind, bietet sich für die Kündigung wegen der kurnulierten Kündigungsgründe kein anderes Ergebnis, als die Kammer es bei der Beurteilung der isolierten Betrachtung der dem Kläger vorgeworfenen schriftlichen Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten bei dem Verfahren vor dem Integrationsamt angenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO; die Beklagte ist die im Rechtsstreit unterlegene Partei.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes erfolgt gemäß §§ 42 Abs. 3 Satz 1 GKG, 3, 5 ZPO. Da der Feststellungsantrag auf das unbefristete Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, ist der Streitwert für diesen Antrag in Höhe des durchschnittlichen Vierteljahresverdienstes des Klägers festzusetzen. Da die Beklagte zwei Kündigungen in engem zeitlichem und vor allem sachlichem Zusammenhang ausgesprochen hat, die der Kläger angegriffen hat, ist es gerechtfertigt wegen der zweiten Kündigung ein weiteres Bruttomonatseinkommen zu addieren.
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Fortsetzung - Rechtsmittelbelehrung - siehe nächste Seite
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