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BVerfG, Ur­teil vom 01.12.2010, 1 BvR 1682/07

   
Schlagworte: Effektiver Rechtsschutz, Verzugslohnansprüche
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 1 BvR 1682/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.12.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 06.07.2006, 3 Ca 3941/05
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 23.01.2007, 13 Sa 954/06
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.05.2007, 5 AZN 234/07
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT

- 1 BvR 1682/07 -

Im Na­men des Vol­kes

 

In dem Ver­fah­ren

über

die Ver­fas­sungs­be­schwer­de

 

des Herrn T...

ge­gen den Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 9. Mai 2007 - 5 AZN

a) 234/07 -,

b) das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 23. Ja­nu­ar 2007 - 13 Sa 954/06 -

hat die 3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts durch

den Vi­ze­präsi­den­ten Kirch­hof

und die Rich­ter Bry­de,

Schlu­cke­bier

am 1. De­zem­ber 2010 ein­stim­mig be­schlos­sen:

1. Das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 23. Ja­nu­ar 2007 - 13 Sa 954/06 - ver­letzt den Be­schwer­deführer in sei­nem Grund­recht aus Ar­ti­kel 2 Ab­satz 1 in Ver­bin­dung mit Ar­ti­kel 20 Ab­satz 3 des Grund­ge­set­zes. Es wird auf­ge­ho­ben. Da­mit wird der Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 9. Mai 2007 - 5 AZN 234/07 - ge­gen­stands­los. Die Sa­che wird an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln zurück­ver­wie­sen.

2. Das Land Nord­rhein-West­fa­len hat dem Be­schwer­deführer die ihm im Ver­fas­sungs­be­schwer­de­ver­fah­ren ent­stan­de­nen not­wen­di­gen Aus­la­gen zu er­stat­ten.

Gründe:

I.

Der Be­schwer­deführer wen­det sich mit sei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de ge­gen ein Be­ru­fungs­ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln und ei­nen Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts über ei­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de. Im Aus­gangs­ver­fah­ren geht es dar­um, ob dem Be­schwer­deführer im Er­geb­nis kei­ne Möglich­keit of­fen stand, sei­ne Ansprüche auf An­nah­me­ver­zugs­lohn in zu­mut­ba­rer Wei­se ge­richt­lich gel­tend zu ma­chen.

1. Der Be­schwer­deführer führ­te mit sei­ner Ar­beit­ge­be­rin (im Fol­gen­den: Be­klag­te) ei­nen Rechts­streit über den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags im An­schluss an ei­ne Be­rufs­aus­bil­dung. In die­sem wur­de die Be­klag­te ver­ur­teilt, an den Be­schwer­deführer ein An­ge­bot ab­zu­ge­ben, ihn ab dem 7. Ju­li 2004 be­fris­tet für zwölf Mo­na­te in ein Voll­zeit­ar­beits­verhält­nis gemäß § 15 des Ta­rif­ver­trags Ra­tio­na­li­sie­rungs­schutz und Beschäfti­gungs­si­che­rung zu über­neh­men.

2. Da sich die Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten zur An­ge­bots­erklärung auf den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags für ei­nen in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­den Zeit­raum be­zog, konn­te der Be­schwer­deführer in die­sem Ar­beits­verhält­nis von vorn­her­ein nicht mehr tätig wer­den. Er ver­lang­te des­halb von der Be­klag­ten die Zah­lung von Vergütung auf­grund die­ses Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter den Ge­sichts­punk­ten des An­nah­me­ver­zugs und des Scha­dens­er­sat­zes. Die von ihm er­rech­ne­ten Ansprüche mach­te er mit Schrei­ben vom 25. Ok­to­ber 2005 ge­genüber der Be­klag­ten schrift­lich gel­tend. Nach­dem die Be­klag­te die Zah­lung ab­ge­lehnt hat­te, reich­te der Be­schwer­deführer am 28. De­zem­ber 2005 Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt ein. Das Ar­beits­ge­richt gab ihr über­wie­gend statt. Mit dem hier

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an­ge­grif­fe­nen Ur­teil änder­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil ab und wies die Kla­ge ab. Der An­spruch sei gemäß § 31 des bei der Be­klag­ten gel­ten­den Man­tel­ta­rif­ver­trags (MTV T.) ver­fal­len.

Die hier maßgeb­li­chen Be­stim­mun­gen lau­ten: 

(1) Die Ansprüche bei­der Sei­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis müssen in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

Bei re­gelmäßig wie­der­keh­ren­den Leis­tun­gen be­darf es kei­ner er­neu­ten schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung, so­fern der nicht oder un­zu­tref­fend erfüll­te An­spruch auf dem sel­ben Feh­ler be­ruht. Nach Ab­lauf der vor­ste­hen­den Frist ist die Gel­tend­ma­chung aus­ge­schlos­sen.

(...)

(4) Wer­den die Ansprüche bei­der Sei­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis trotz Gel­tend­ma­chung durch Be­strei­ten in Schrift­form nicht erfüllt oder nur teil­wei­se erfüllt, ist in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten Kla­ge zu er­he­ben. Wird kei­ne Kla­ge er­ho­ben, ver­fal­len die Ansprüche.

Pro­to­koll­no­tiz zu Ab­satz 1:

Bis zum 30. Ju­ni 2005 gilt ei­ne ab­wei­chen­de Aus­schluss­frist von zwölf Mo­na­ten.

Die streit­ge­genständ­li­chen Ansprüche sei­en nicht erst mit An­nah­me des Ver­trags­an­ge­bots 11 der Be­klag­ten, al­so am 25. Ok­to­ber 2005, fällig ge­wor­den, son­dern be­reits zum Mo­nats­en­de des je­wei­li­gen Mo­nats. Des­halb sei die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung vom 25. Ok­to­ber 2005 für sämt­li­che Vergütungs­ansprüche ver­spätet ge­we­sen.

Der Be­schwer­deführer ha­be die zwei­te Stu­fe der Aus­schluss­frist aus § 31 Abs. 4 MTV T. nicht ge­wahrt, die ei­ne ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung er­for­dert hätte. Das zur Auslösung des Laufs der zwei­ten Stu­fe der Frist er­for­der­li­che geg­ne­ri­sche „Be­strei­ten in Schrift­form“ lie­ge hier in dem Schrift­satz der Be­klag­ten aus dem Vor­pro­zess, der den Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag be­inhal­tet ha­be und aus dem zwei­ten Halb­jahr 2004 stam­me. Eben­so wie ein Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag in ei­nem Kündi­gungs­schutz­pro­zess ha­be auch hier der An­trag auf Ab­wei­sung der auf die Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­rich­te­ten Kla­ge die Ab­leh­nung da­mit ver­knüpfter Ansprüche ent­hal­ten. Da die auf der zwei­ten Stu­fe zu be­ach­ten­de zwei­mo­na­ti­ge Kla­ge­frist al­so spätes­tens En­de 2004 be­gon­nen ha­be und die vor­lie­gen­de Kla­ge erst am 28. De­zem­ber 2005 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen sei, sei die Frist durch die­se Kla­ge nicht ein­ge­hal­ten wor­den. Auch die im Vor­pro­zess erst­mals vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt am 26. April 2005 hilfs­wei­se er­ho­be­ne Vergütungs­kla­ge sei ver­spätet, so dass es nicht dar­auf an­kom­me, ob die­se ei­ne ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung im Sin­ne der Ver­fall­frist ge­we­sen wäre.

3. Die ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­rich­te­te, auf Di­ver­genz und Ver­let­zung des recht­li­chen Gehörs gestütz­te Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de des Be­schwer­deführers ver­warf das Bun­des­ar­beits­ge­richt mit dem hier eben­falls an­ge­grif­fe­nen Be­schluss vom 9. Mai 2007 als un­zulässig.

II.

Mit sei­ner recht­zei­tig ein­ge­gan­ge­nen Ver­fas­sungs­be­schwer­de rügt der Be­schwer­deführer un­ter an­de­rem die Ver­let­zung von Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Da­zu gehöre, nicht durch Kos­ten­bar­rie­ren von der Ver­fol­gung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen und geschütz­ter Po­si­tio­nen auf dem Rechts­weg ab­ge­hal­ten zu wer­den oder zu de­ren Durch­set­zung aus­sichts­lo­se und zu­gleich kos­tenträch­ti­ge Ge­richts­ver­fah­ren führen zu müssen. Hier­ge­gen ver­s­toße das Lan­des­ar­beits­ge­richt. Denn nach des­sen Ar­gu­men­ta­ti­on ha­be sei­ne Kla­ge­er­he­bung zu ei­nem Zeit­punkt er­fol­gen müssen, zu dem we­der die Zah­lungs­ansprüche für Fe­bru­ar bis Ju­li 2005 fällig ge­we­sen sei­en noch das zur Be­gründung der Ansprüche er­for­der­li­che Ver­trags­verhält­nis tatsächlich zu­stan­de ge­kom­men sei. Der Streit­wert ei­ner sol­chen Kla­ge sei ge­genüber der Kla­ge auf Ab­schluss

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ei­nes Ar­beits­ver­trags deut­lich höher ge­we­sen, da sich der Streit­wert um zwölf Mo­nats­gehälter erhöht ha­be und da­mit cir­ca 20.000 € be­tra­gen hätte. Ei­ne sol­che Kla­ge sei aber von vorn­her­ein aus­sichts­los ge­we­sen und wäre auf sei­ne Kos­ten ab­ge­wie­sen wor­den. Denn ent­we­der hätten die Ansprüche man­gels Fällig­keit nicht aus­ge­ur­teilt wer­den können oder als Kla­ge auf zukünf­ti­ge Leis­tung hätte das feh­len­de Ver­trags­verhält­nis ent­ge­gen ge­stan­den. Ihm ha­be da­her kei­ne ef­fek­ti­ve Möglich­keit zur Verfügung ge­stan­den, sei­ne Ansprüche durch­zu­set­zen. Sach­li­che Gründe für die­se Kon­se­quenz ha­be das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht ge­nannt.

Die Bun­des­re­gie­rung, das Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Jus­tiz, die Lan­des­re­gie­rung Nord­rhein-West­fa­len und die Be­klag­te des Aus­gangs­ver­fah­rens ha­ben Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me er­hal­ten.

III.

Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne statt­ge­ben­de Kam­mer­ent­schei­dung gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1 in Ver­bin­dung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG lie­gen vor, so­weit sich die Ver­fas­sungs­be­schwer­de ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts rich­tet. In­so­weit ist die Ver­fas­sungs­be­schwer­de zur Ent­schei­dung an­zu­neh­men, weil ih­re An­nah­me zur Durch­set­zung des Grund­rechts des Be­schwer­deführers auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz aus Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG an­ge­zeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buch­sta­be b BVerfGG). Der an­ge­grif­fe­ne Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts wird da­mit ge­gen­stands­los.

1. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die für die Be­ur­tei­lung der Ver­fas­sungs­be­schwer­de maßgeb­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Fra­gen zur Reich­wei­te der Gewähr­leis­tung des Grund­rechts auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz aus Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. zum ef­fek­ti­ven Rechts­schutz im Zi­vil­pro­zess: BVerfGE 85, 337 <345>; 88, 118; 97, 169 <185>; BVerfGK 6, 206 <209 f.>; vgl. zur Be­ein­träch­ti­gung des ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes durch Ver­fah­rens­kos­ten: BVerfGE 11, 139 <143>; 50, 217 <231>; 54, 39 <41>; 85, 337 <347>; zu Aus­schluss­fris­ten: BVerfGK 4, 137 <141>) be­reits ent­schie­den.

2. Die zulässi­ge Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist of­fen­sicht­lich be­gründet. 

Die an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung ver­letzt den Be­schwer­deführer in sei­nem Grund­recht auf 20 Gewährung ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes, das in zi­vil­recht­li­chen Strei­tig­kei­ten durch Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip verbürgt wird. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sich nicht mit der Fra­ge aus­ein­an­der­ge­setzt, ob im vor­lie­gen­den Fall die Aus­schluss­frist un­ter dem Ge­sichts­punkt der Gewährung ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes in der von ihm ver­tre­te­nen Art und Wei­se aus­ge­legt und an­ge­wandt wer­den durf­te, und ob das von ihm er­ziel­te Er­geb­nis in An­se­hung des Grund­rechts des Be­schwer­deführers auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz ver­tret­bar war. Es hat grund­le­gend In­halt und Um­fang des Grund­rechts­schut­zes aus Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG ver­kannt, in­dem es dem Be­schwer­deführer ei­ne über­stei­ger­te Ob­lie­gen­heit zur ge­richt­li­chen Gel­tend­ma­chung sei­ner Ansprüche auf An­nah­me­ver­zugs­lohn auf­er­leg­te.

a) Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit dem Rechts­staats­prin­zip gewähr­leis­tet den Par­tei­en im Zi­vil­pro­zess ef­fek­ti­ven Rechts­schutz (vgl. BVerfGE 88, 118 <123> ). Da­nach darf den Pro­zess­par­tei­en der Zu­gang zu den Ge­rich­ten nicht in un­zu­mut­ba­rer, durch Sach­gründe nicht mehr zu recht­fer­ti­gen­der Wei­se er­schwert wer­den (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>).

Auch die Fest­set­zung der Ver­fah­rens­kos­ten darf da­her nicht in ei­ner Wei­se er­fol­gen, die dem Be­trof­fe­nen die An­ru­fung des Ge­richts prak­tisch unmöglich macht (vgl. BVerfGE 11, 139 <143>; 54, 39 <41>). Ei­ne der­ar­ti­ge rechts­schutz­hem­men­de Wir­kung liegt aber nicht nur vor, wenn das Kos­ten­ri­si­ko die wirt­schaft­li­che Leis­tungsfähig­keit des Ein­zel­nen über­steigt. Viel­mehr wird die Be­schrei­tung des Rechts­wegs oder die Ausschöpfung pro­zes­sua­ler Möglich­kei­ten auch dann fak­tisch ver­ei­telt, wenn das Kos­ten­ri­si­ko zu dem mit dem Ver­fah­ren an­ge­streb­ten Er­folg außer Verhält­nis steht, so dass die In­an­spruch­nah­me der Ge­rich­te nicht mehr sinn­voll er­scheint (vgl. BVerfGE 85, 337 <347>).

Der Ge­setz­ge­ber er­kennt durch § 4 Abs. 1 KSchG und § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG an, dass dem Bürger der Rechts­weg zu den Ar­beits­ge­rich­ten nicht durch Kos­ten­bar­rie­ren ab­ge­schnit­ten wer­den darf, in­dem sie den Streit­wert bei Be­stands­schutz­strei­tig­kei­ten auf drei Mo­nats­gehälter be­gren­zen und den Ar­beit­neh­mer le­dig­lich da­zu zwin­gen, die Be­stands­schutz­strei­tig­keit bin­nen drei Wo­chen rechtshängig zu ma­chen, nicht aber die mit ihr im Zu­sam­men­hang ste­hen­den Ent­gelt­ansprüche (so auch BAG, Ur­teil

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vom 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>). Dies ist Teil ei­ner vom Ge­setz­ge­ber seit je­her ver­folg­ten Ge­samt­kon­zep­ti­on, dem Ar­beit­neh­mer ins­be­son­de­re beim Streit über den (Fort-)Be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses den Weg zu den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen zu eb­nen und nicht durch Kos­ten­bar­rie­ren zu ver­sper­ren (BAG, Ur­teil vom 12. De­zem­ber 2006 – 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>). Die Vor­schrif­ten sind da­mit als Aus­prägun­gen des Grund­rechts auf ef­fek­ti­ven Rechts­schutz aus Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG bei der Aus­le­gung und An­wen­dung von Re­ge­lun­gen, wie der in § 31 MTV T. ent­hal­te­nen Aus­schluss­frist zu berück­sich­ti­gen.

Auch der Rich­ter muss die Trag­wei­te des Grund­rechts auf ei­nen ef­fek­ti­ven Rechts­schutz be­ach­ten. Er hat das Ver­fah­rens­recht so aus­zu­le­gen und an­zu­wen­den, dass er mit die­sen Grundsätzen nicht in Wi­der­spruch gerät (vgl. BVerfGE 88, 118 <125> ). Die­se Grundsätze kom­men auch dann zur An­wen­dung, wenn sich aus der Aus­le­gung und An­wen­dung ei­ner ma­te­ri­ell­recht­lich wir­ken­den Aus­schluss­frist Rück­wir­kun­gen auf die ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen er­ge­ben (BVerfGK 4, 137 <141>).

b) Das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil wird die­sen ver­fas­sungs­recht­li­chen Maßstäben nicht ge­recht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hätte sich mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­zen müssen, ob die vom Be­schwer­deführer ver­lang­te Art der Gel­tend­ma­chung sei­ner Ansprüche auf An­nah­me­ver­zugs­lohn die­sem möglich und zu­mut­bar war. Dies war vor­lie­gend nicht der Fall.

Denn da­durch, dass der Be­schwer­deführer be­reits be­vor der Rechts­streit über die Be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ab­ge­schlos­sen war, ge­zwun­gen war, sei­ne Ansprüche auf An­nah­me­ver­zugs­lohn ein­zu­kla­gen, erhöhte sich sein Kos­ten­ri­si­ko im Rechts­streit über den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses (vgl. zu Aus­schluss­fris­ten in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen: BAG, Ur­teil vom 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>). Je­den­falls mit Blick auf die Kos­ten­ri­si­ken ei­nes Leis­tungs­an­trags oder ei­nes un­ech­ten Hilfs­an­trags, die an­ge­sichts der Recht­spre­chung der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te be­ste­hen, weil die­se Anträge ins­ge­samt oder zu­min­dest mit Blick auf die An­walts­gebühren als streit­wert­erhöhend an­ge­se­hen wer­den (LAG Rhein­land-Pfalz, Be­schluss vom 17. Ju­li 2007 - 1 Ta 167/07 -, ju­ris; LAG Rhein­land-Pfalz, Be­schluss vom 21. Ju­li 2008 - 1 Ta 123/08 -, ju­ris; LAG Nürn­berg, Be­schluss vom 13. März 2008 - 6 Ta 57/08 -, ju­ris; LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 28. März 2008 - 17 Ta (Kost) 6027/08 -, ju­ris), war es na­he­lie­gend der Fra­ge nach­zu­ge­hen, ob die ent­spre­chen­de Ob­lie­gen­heit zur Kla­ge­er­he­bung für den Be­schwer­deführer vor die­sem Hin­ter­grund zu­mut­bar war. Vor dem Hin­ter­grund des bei ei­ner der­ar­ti­gen An­trag­stel­lung be­ste­hen­den Kos­ten­ri­si­kos (vgl. BAG, Ur­teil vom 12. De­zem­ber 2006 - 1 AZR 96/06 -, NZA 2007, S. 453 <456 f.>) durf­te dem Be­schwer­deführer die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­me­ne Ob­lie­gen­heit zur Kla­ge­er­he­bung vor dem rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Vor­pro­zes­ses je­den­falls im Er­geb­nis nicht auf­er­legt wer­den.

3. Die an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung be­ruht auf der Ver­let­zung von Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Un­ter Berück­sich­ti­gung der dar­ge­stell­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben er­scheint ei­ne an­de­re für den Be­schwer­deführer güns­ti­ge­re Sach­ent­schei­dung möglich.

4. Das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 23. Ja­nu­ar 2007 ist zur Be­sei­ti­gung des fest­ge­stell­ten Ver­fas­sungs­ver­s­toßes auf­zu­he­ben und die Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen, oh­ne dass es auf die wei­ter er­ho­be­nen Rügen noch an­kommt. Der Be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 9. Mai 2007 - 5 AZN 234/07 - wird da­mit ge­gen­stands­los.

IV.

Die Ent­schei­dung über die Aus­la­gen­er­stat­tung be­ruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. 29

 

Kirch­hof 

Bry­de 

Schlu­cke­bier

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