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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 19.06.2009, 7 Sa 84/08

   
Schlagworte: Abmahnung, Diskriminierung: Religion
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 7 Sa 84/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.06.2009
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 15.10.2008, 14 Ca 7300/07
Nachgehend: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.08.2010, 2 AZR 593/09
   

Ur­schrift

Ak­ten­zei­chen:
Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!
7 Sa 84/08
14 Ca 7300/07
Ar­beits­ge­richt Stutt­gart

verkündet am 19.06.2009

Ha­ber­mann, An­ge­stell­te
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ba­den-Würt­tem­berg

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In dem Rechts­streit

 


- Kläge­rin/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Be­klag­te/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - 7. Kam­mer -
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Pfeif­fer,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ha­ber­maas
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr­mann
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 19.06.2009

für Recht er­kannt:

1. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits-ge­richts Stutt­gart vom 15.10.2008 - 14 Ca 7300/07 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kläge­rin trägt die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

3. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

 

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Die Par­tei­en strei­ten über die Rechts­wirk­sam­keit ei­ner Ab­mah­nung.

Die am 00.00.1973 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist auf der Grund­la­ge des Ar­beits­ver­tra­ges vom 27.02.2003 in Ver­bin­dung mit dem Ände­rungs­ver­trag vom 04.08.2003 bei der be­klag­ten Stadt als staat­lich an­er­kann­te Er­zie­he­rin in Teil­zeit ge­gen ein Brut­to­mo­nats­ent­gelt von € 1.308,00 beschäftigt. Zu­vor war die Kläge­rin vom 03.09.2001 bis 02.09.2003 als Prak­ti­kan­tin bei der be­klag­ten Stadt tätig. Sie ist in der Türkei ge­bo­ren, nun­mehr deut­sche Staats­an­gehöri­ge und An­gehöri­ge des mus­li­mi­schen Glau­bens; sie trägt aus re­li­giöser Über­zeu­gung in der Öffent­lich­keit ein­sch­ließlich während ih­rer Tätig­keit als Er­zie­he­rin ein Kopf­tuch. Die be­klag­te Stadt verfügt über ca. 34 Kin­der­ta­gesstätten.

Durch das Ge­setz zur Ände­rung des Kin­der­gar­ten­ge­set­zes vom 14.02.2006 (GBl. S. 30), un­ter an­de­rem wur­de auch durch Ar­ti­kel 1 Nr. 1 die Über­schrift des Ge­set­zes in „Ge­setz über die Be­treu­ung und Förde­rung von Kin­dern in Kin­dergärten, an­de­ren Ta­ges­ein­rich­tun­gen und der Kin­der­ta­ges­pfle­ge (Kin­der­ta­ges­be­treu­ungs­ge­setz - Ki­TaG)“ geändert, wur­den § 7 Abs. 5 fol­gen­de Absätze 6 bis 8 an­gefügt:

„(6) Fach­kräfte im Sin­ne der Absätze 1 und 2 und an­de­re Be­treu­ungs- und Er­zie­hungs­per­so­nen dürfen in Ein­rich­tun­gen, auf die die­ses Ge­setz An­wen­dung fin­det und die in Träger­schaft des Lan­des, ei­nes Land­krei­ses, ei­ner Ge­mein­de, ei­ner Ver­wal­tungs­ge­mein­schaft, ei­nes Zweck- oder Re­gio­nal­ver­ban­des ste­hen, kei­ne po­li­ti­schen, re­li­giösen, welt­an­schau­li­chen oder ähn­li­che äußeren Be­kun­dun­gen ab­ge­ben, die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Trägers ge­genüber Kin­dern und El­tern oder den po­li­ti­schen, re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Frie­den in Ein­rich­tun­gen, auf die die­ser Ab­satz An­wen­dung fin­det, zu gefähr­den oder zu stören. Ins­be­son­de­re ist ein äußeres Ver­hal­ten un­zulässig, wel­ches bei Kin­dern oder El­tern den Ein­druck her­vor­ru­fen kann, dass ei­ne Fach­kraft oder ei­ne an­de­re Be­treu­ungs- und Er­zie­hungs­per­son ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung der Men­schen nach Ar­ti­kel 3 des Grund­ge­set­zes, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tritt. Die Wahr­neh­mung des Auf­trags nach Ar­ti­kel 12 Abs. 1 der Ver­fas­sung des Lan­des Ba­den-Würt­tem­berg zur Er­zie­hung der Jun­gend im Geis­te der christ­li­chen Nächs­ten­lie­be und zur Brüder­lich­keit al­ler Men­schen und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung der­ar­ti­ger Tra­di­tio­nen wi­der­spricht nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot nach Satz 1.

(7) Die Ein­stel­lung ei­ner Fach­kraft im Sin­ne der Absätze 1 und 2 oder ei­ner an­de­ren Be­treu­ungs- und Er­zie­hungs­per­son in Ein­rich­tun­gen nach Abs. 6 Satz 1 setzt als persönli­ches Eig-

 

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nungs­merk­mal vor­aus, dass sie die Gewähr für die Ein­hal­tung des Ab­sat­zes 6 während der ge­sam­ten Dau­er ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses bie­tet.

(8) Für die Ab­leis­tung ei­nes Prak­ti­kums zur Aus­bil­dung als Fach­kraft kann im Ein­zel­fall auf An­trag ei­ne Aus­nah­me von Ab­satz 6 vor­ge­se­hen wer­den, so­weit die Ausübung der Grund-rech­te es zwin­gend er­for­dert und zwin­gen­de öffent­li­che In­ter­es­sen an der Wah­rung der amt­li­chen Neu­tra­lität und des Frie­dens in der Ein­rich­tung nicht ent­ge­gen­ste­hen.“

Die be­klag­te Stadt for­der­te die Kläge­rin auf der Grund­la­ge des § 7 Abs. 6 Ki­TaG er­folg­los auf, ihr Kopf­tuch während ih­rer Ar­beit als Er­zie­he­rin ab­zu­le­gen. Nach­dem die Par­tei­en je­weils ih­re Stand­punk­te auf­recht er­hiel­ten, er­teil­te die be­klag­te Stadt nach Be­tei­li­gung des Per­so­nal­rats gem. § 80 Abs. 1 Nr. 8 lit. c LPVG der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 08.08.2007 fol­gen­de Ab­mah­nung:

Ab­mah­nung

Sehr ge­ehr­te Frau …,

am Mon­tag, 9. Ju­li 2007 wur­den Sie er­neut, wie be­reits in meh­re­ren Gesprächen vor­her, da-zu auf­ge­for­dert, in­ner­halb ei­ner Wo­che Ih­rer Ver­pflich­tung gem. § 7 Abs. 6 des Kin­der­gar­ten­ge­set­zes nach­zu­kom­men und das is­la­mi­sche Kopf­tuch während Ih­res Diens­tes in der Kin­der­ta­gesstätte ab­zu­le­gen.

Bis ein­sch­ließlich Diens­tag, 17. Ju­li 2007 ha­ben Sie je­doch nach wie vor das is­la­mi­sche Kopf­tuch im Dienst ge­tra­gen und ge­genüber Frau F. zum Aus­druck ge­bracht, dass Sie dies auch wei­ter­hin zu tun be­ab­sich­ti­gen.

Die­ses Ar­beits­ver­hal­ten können wir nicht wei­ter dul­den, so dass wir ge­zwun­gen sind, Ih­nen auf­grund des dar­ge­leg­ten Sach­ver­hal­tes ei­ne

Ab­mah­nung

zu er­tei­len ver­bun­den mit der gleich­zei­ti­gen Auf­for­de­rung, sich künf­tig an die ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten zu hal­ten, die Ih­nen das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tu­ches während der Dienst­zeit in der Kin­der­ta­gesstätte ver­bie­ten.

 

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Wir wei­sen Sie aus­drück­lich dar­auf hin, dass Sie bei noch­ma­li­gen Pflicht­ver­let­zun­gen mit wei­te­ren ar­beits­recht­li­chen Kon­se­quen­zen, ins­be­son­de­re ei­ner Kündi­gung, zu rech­nen ha­ben.

Der Per­so­nal­rat wur­de ord­nungs­gemäß gem. § 80 Abs. 1 Ziff. 8 c) des Lan­des­per­so­nal­ver­tre­tungs­ge­set­zes be­tei­ligt und hat kei­ne Ein­wen­dun­gen ge­gen die Ab­mah­nung er­ho­ben.

Die­se Ab­mah­nung wird Be­stand­teil ih­rer Per­so­nal­ak­te.

Un­ter­schrift“

Da­ge­gen er­hob die Kläge­rin mit am 14.09.2007 bei Ge­richt ein­ge­reich­tem Schrift­satz Kla­ge.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, sie ha­be An­spruch auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus ih­rer Per­so­nal­ak­te, da ein Ver­s­toß ge­gen § 7 Abs. 6 Satz 1 und 2 Ki­TaG BW nicht vor­lie­ge. An­dern­falls sei die Re­ge­lung oder de­ren An­wen­dung in der Pra­xis we­gen Ver­s­toßes ge­gen ihr Grund­recht auf Re­li­gi­ons­frei­heit un­wirk­sam. Ins­be­son­de­re ste­he dem man­gels be­ste­hen­der Kin­der­gar­ten­pflicht nicht die ne­ga­ti­ve Re­li­gi­ons­frei­heit der Kin­der­gar­ten­kin­der oder ih­rer El­tern ent­ge­gen und auch der staat­li­che Neu­tra­litäts­grund­satz sei nicht ver­letzt, da sie kei­ne Be­am­tin sei. Aus der Aus­nah­me­vor­schrift des § 7 Abs. 6 Satz 3 Ki­TaG BW er­ge­be sich die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des Ver­bots. Sch­ließlich ver­s­toße das Neu­tra­litäts­ge­bot auch ge­gen das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt:

Die Be­klag­te wird ver­pflich­tet, die ge­genüber der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 08.08.2007 er­teil­te Ab­mah­nung zurück­zu­neh­men und aus der Per­so­nal­ak­te zu ent­fer­nen.

Die be­klag­te Stadt hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und den ge­gen­tei­li­gen Rechts­stand­punkt ein­ge­nom­men. Sie hat die An­sicht ver­tre­ten, aus den bis­lang zum Schul­be­reich er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen, für den ei­ne im We­sent­li­chen in­halts­glei­che Re­ge­lung exis­tie­re, las­se sich ent­neh­men, dass die Kläge­rin ge­gen das in § 7 Abs. 6 Ki­TaG BW ent­hal­te­ne Kopf­tuch­ver­bot ver­s­toßen ha­be. Es han­de­le sich um ei­nen abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stand. Sie ha­be das Ge­setz an­zu­wen­den, ei­ne Ver­wer­fungs­kom­pe­tenz ste­he ihr nicht zu.

 

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen ein­sch­ließlich der Sit­zungs­pro­to­kol­le vom 15.10.2007, vom 20.02.2008 und vom 15.10.2008 Be­zug ge­nom­men und ver­wie­sen.

Mit Ur­teil vom 15.10.2008 hat das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge als un­be­gründet ab­ge­wie­sen mit der Be­gründung, die Kläge­rin ha­be ge­gen die Vor­schrift des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW, die mit höher­ran­gi­gem Recht ver­ein­bar sei, ver­s­toßen. We­gen der Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf die Ent­schei­dungs­gründe des Ur­teils un­ter I. Be­zug ge­nom­men und ver­wie­sen.

Die Kläge­rin hat ge­gen das ihr am 27.01.2009 zu­ge­stell­te und am 15.10.2008 verkünde­te Ur­teil mit beim Be­ru­fungs­ge­richt am 14.11.2008 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und sie in­ner­halb der mit Verfügung vom 24.03.2009 bis zum 27.04.2009 verlänger­ten Be­gründungs­frist mit beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 27.04.2009 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz aus­geführt.

Die Kläge­rin rügt näher be­stimmt feh­ler­haf­te Rechts­an­wen­dung des Ar­beits­ge­richts in­so­fern, als be­reits der Tat­be­stand des § 7 Abs. 6 Ki­TaG BW nicht erfüllt sei und im Übri­gen ge­gen höher­ran­gi­ges Recht ver­s­toße. § 7 Abs. 6 Ki­TaG BW sei ver­fas­sungs­wid­rig, weil die Norm un­zulässig in das Selbst­ver­wal­tungs­recht der Ge­mein­den ein­grei­fe und sie in ih­rem Grund-recht aus Ar­ti­kel 4 GG ver­let­ze. Des Wei­te­ren grei­fe das Kopf­tuch­ver­bot in den Schutz­be­reich des § 7 AGG ein, der nicht gem. § 8 AGG ge­recht­fer­tigt sei.

Die Kläge­rin be­an­tragt:

1. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 15.10.2008, Az. 14 7300/07, wird ab-geändert.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die ge­genüber der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 08.08.2007 er­teil­te Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te zu ent­fer­nen.

Die be­klag­te Stadt be­an­tragt Zurück­wei­sung der Be­ru­fung und ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil un­ter Ver­tie­fung ih­rer be­reits erst­in­stanz­lich geäußer­ten Rechts­an­sicht.

Ergänzend wird auf die zweit­in­stanz­lich ein­ge­reich­ten Schriftsätze der Par­tei­en (Kläge­rin vom 27.04.2009; be­klag­te Stadt vom 10.06.2009) so­wie auf das Sit­zungs­pro­to­koll vom 19.06.2009 Be­zug ge­nom­men und ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

A

Die statt­haf­te, frist- und form­ge­recht ein­ge­leg­te und auch im Übri­gen zulässi­ge Be­ru­fung der Kläge­rin ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die be­klag­te Stadt war be­rech­tigt, die Kläge­rin ab­zu­mah­nen. Die Ab­mah­nung vom 08.08.2007 ist rechts­wirk­sam. Die Kläge­rin hat ge­gen § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ver­s­toßen. Das vor­lie­gend re­li­giös mo­ti­vier­te Tra­gen des Kopf­tu­ches als Er­zie­he­rin während der Ar­beits­zeit gefähr­det so­wohl das Neu­tra­litäts­ge­bot als auch den Ein­rich­tungs­frie­den. § 7 Abs. 6 Ki­TaG BW ist rechts­wirk­sam, ein Ver­s­toß ge­gen höher­ran­gi­ges Recht ist nicht ge­ge­ben.

I.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist zulässig. Die Ein­le­gung ih­rer Be­ru­fung am 14.11.2008 nach Verkündung am 15.10.2008 aber vor Zu­stel­lung des Ur­teils am 27.01.2009 steht dem nicht ent­ge­gen.

1. Gem. § 64 Abs. 1 ArbGG fin­det ge­gen die Ur­tei­le der Ar­beits­ge­rich­te grundsätz­lich die Be­ru­fung an die Lan­des­ar­beits­ge­rich­te statt. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG beträgt die Frist für die Ein­le­gung der Be­ru­fung ei­nen Mo­nat. Die Frist be­ginnt mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

 

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2. Da­nach ist die für die Kläge­rin durch ih­ren Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vor­ge­nom­me­ne Pro­zess­hand­lung der Ein­le­gung der Be­ru­fung wirk­sam und da­mit die Be­ru­fung in­so­weit zu-lässig. Sie ist nämlich nach Verkündung des Ur­teils am 15.10.2008 mit beim Be­ru­fungs­ge­richt am 14.11.2008 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz ein­ge­legt wor­den. Da­mit ist dem sich aus §§ 64 Abs. 1, 66 Abs. 1 Satz 2 2. Halb­satz ArbGG er­ge­ben­den Er­for­der­nis der Exis­tenz ei­nes Ur­teils vor Ein­le­gung ei­nes Rechts­mit­tels Rech­nung ge­tra­gen. Dass die Ein­le­gung der Be­ru­fung vor Zu­stel­lung des Ur­teils am 27.01.2009 be­reits am 14.11.2008 er­folgt ist, ist unschädlich (z. B. Ger­mel­mann/Mat­thes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Auf­la­ge, § 66 Rn. 15 auch un­ter Hin­weis auf BAG, Ur­teil vom 16.04.2003 - 4 AZR 367/02 - AP Nr. 1 zu § 551 ZPO 2002, zu I 2 b der Gründe = Rn. 20, wo so­gar ei­ne Be­gründung des Rechts­mit­tels vor Zu­stel­lung des Ur­teils für möglich ge­hal­ten wird). Das folgt aus § 66 Abs. 1 Satz 2 2. Al­ter­na­ti­ve ArbGG, wo­nach die ein­mo­na­ti­ge Be­ru­fungs­frist spätes­tens fünf Mo­na­te nach der Verkündung zu lau­fen be­ginnt. Die Zu­stel­lung des Ur­teils ist vom Rechts­mitt­elführer nicht zu be­ein­flus­sen. Gleich­wohl soll nach der Wer­tung des Ge­setz­ge­bers die Be­ru­fungs­frist zu lau­fen be­gin­nen. Die Kläge­rin war nicht et­wa ge­hal­ten, den Be­ginn des Laufs der Be­ru­fungs­frist fünf Mo­na­te nach der Verkündung des von ihr an­ge­grif­fe­nen Ur­teils ab­zu-war­ten. Der spätestmögli­che Be­ginn des Laufs der Be­ru­fungs­frist lässt erst Recht ei­ne frühe­re Ein­le­gung der Be­ru­fung zu. Das ent­spricht dem Wort­sinn („spätes­tens“) und dem Sinn und Zweck des § 66 Abs. 1 Satz 2 2. Halb­satz ArbGG.

II.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist je­doch un­be­gründet. Ih­re Kla­ge ist zulässig, hat aber in der Sa-che selbst kei­nen Er­folg. Die Kläge­rin hat ge­gen die be­klag­te Stadt kei­nen An­spruch auf Ent-fer­nung der Ab­mah­nung vom 08.08.2007 aus ih­rer Per­so­nal­ak­te.

1. Die Kla­ge ist zulässig. Der Kla­ge­an­trag ist nach Maßga­be sei­ner Aus­le­gung durch das Ar-beits­ge­richt hin­rei­chend be­stimmt. Ein Rechts­schutz­in­ter­es­se be­steht.

a) Das vom Ar­beits­ge­richt in­fol­ge sei­ner Aus­le­gung des Kla­ge­be­geh­rens ge­won­ne­ne Er-geb­nis ist nicht ver­fah­rens­feh­ler­haft im Sin­ne des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Ar-beits­ge­richt hat zu Recht der For­mu­lie­rung im An­trag der Kläge­rin „die er­teil­te Ab­mah­nung zurück­zu­neh­men“ ne­ben dem wei­te­ren In­halt „…aus der Per­so­nal­ak­te zu ent­fer-nen“ man­gels ge­gen­tei­li­ger An­halts­punk­te in der Kla­ge­be­gründung kei­ne ei­genständi­ge Be­deu­tung zu­er­kannt.

aa) Nach § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird das an­ge­foch­te­ne Ur­teil in der Be­ru­fungs­in­stanz auf ei­nen Man­gel des Ver­fah­rens, der nicht von Amts we­gen zu berück­sich­ti­gen ist, nur ge­prüft, wenn die­ser nach § 520 Abs. 3 ZPO gel­tend ge­macht wor­den ist. Ein Ver­s­toß der Bin­dung des Ge­richts an die Par­tei­anträge, der in­fol­ge feh­ler­haf­ter Aus­le­gung ein­tre­ten kann, muss, oh­ne das es ei­ner be­son­de­ren Rüge be­darf, von Amts we­gen be­ach­tet wer­den (BGH, Ur­teil vom 07.03.1989 - VI ZR 183/88 - NJW-RR 1989, 1087, zu II der Gründe = Rn. 9; BGH, Ur­teil vom 18.05.1990 - V ZR 190/89 - NJW-RR 1990, 1095 f., zu 2 der Gründe = Rn. 14).

bb) Ein Ver­s­toß hier­ge­gen ist nicht ge­ge­ben. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht im Hin­blick auf die Be­stimmt­heit des pro­zes­sua­len Be­geh­rens nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO den aus­le­gungs­bedürf­ti­gen An­trag der Kläge­rin im Lich­te ih­rer Kla­ge­be­grün-

 

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ung da­hin­ge­hend be­wer­tet, dass die For­mu­lie­rung „die Ab­mah­nung zurück­zu­neh­men“ kein ei­genständi­ges pro­zes­sua­les Be­geh­ren und so­mit kei­ne ob­jek­ti­ve Kla­genhäufung ist. Der Kläge­rin geht es er­sicht­lich al­lein um die (körper­li­che) Ent­fer­nung des Ab­mah­nungs­schrei­bens aus ih­rer Per­so­nal­ak­te. Et­was an­de­res hätte nur dann an­ge­nom­men wer­den können, wenn sich zu­gleich in dem Ab­mah­nungs­schrei­ben z. B. ein ehr­ver­let­zen­der Vor­wurf be­fun­den hätte. Dann hätte es bei ent­spre­chen­den Ausführun­gen in der Kla­ge­be­gründung na­he­ge­le­gen, mit der gewähl­ten For­mu­lie­rung zu­gleich ei­nen Wi­der­ruf die­ses Vor­wurfs zu ver­fol­gen.

b) Für die Leis­tungs­kla­ge der Kläge­rin be­steht auch ein Rechts­schutz­in­ter­es­se.

aa) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, wo­von ab­zu­wei­chen die Be­ru­fungs­kam­mer kei­ne Ver­an­las­sung hat, er­gibt sich das Rechts­schutz­bedürf­nis für ei­ne Leis­tungs­kla­ge aus der Nich­terfüllung des ma­te­ri­ell-recht­li­chen An­spruchs (BAG, Ur­teil vom 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB Ab­mah­nung, zu II 1 a der Gründe = Rn. 14; BAG, Ur­teil vom 15.04.1999 - 7 AZR 716/97 - AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ab­mah­nung, zu I 2 der Gründe = Rn. 16; BAG, Ur­teil vom 16.10.2007 - 9 AZR 110/07 - AP Nr. 3 zu § 241 BGB, zu A I 2 b aa der Gründe = Rn. 22). Dafür genügt re­gelmäßig die Be­haup­tung des Klägers, dass der von ihm be­gehr­te An­spruch be­steht. Ob ein sol­cher An­spruch ge­ge­ben ist, ist ei­ne Fra­ge sei­ner ma­te­ri­ell-recht­li­chen Be­gründet­heit. Der vor­ge­nann­te Grund­satz gilt al­ler­dings nicht aus­nahms­los. Be­son­de­re Umstände können das Rechts­schutz­bedürf­nis ent­fal­len las­sen (BAG, Ur­teil vom 15.01.1992 - 5 AZR 15/91 - AP Nr. 21 zu § 2 ArbGG 1979, zu 3 der Gründe = Rn. 29; BAG, Ur­teil vom 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - a. a. O., zu II 1 b der Gründe = Rn. 15). Das Er­for­der­nis ei­nes Rechts­schutz­bedürf­nis­ses soll ver­hin­dern, dass Rechts­strei­tig­kei­ten in das Sta­di­um der Be­gründet­heits­prüfung ge­lan­gen, die er­sicht­lich des Rechts­schut­zes durch ei­ne sol­che Prüfung nicht bedürfen.

bb) Da­nach er­gibt sich das Rechts­schutz­bedürf­nis für die auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung vom 08.08.2007 aus der Per­so­nal­ak­te ge­rich­te­te Leis­tungs­kla­ge aus der Nich­terfüllung des von der Kläge­rin be­haup­te­ten ma­te­ri­el­len An­spruchs. Be­son­de­re Umstände, die aus­nahms­wei­se das Rechts­schutz­bedürf­nis ent­fal­len las­sen, lie­gen nicht vor. Das Ge­gen­teil ist der Fall. Die be­klag­te Stadt hat in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung auf Nach­fra­ge aus­drück­lich be­tont, an der Ab­mah­nung fest­zu­hal­ten. Dies auch des­halb, weil die Kläge­rin wei­ter­hin ihr Kopf­tuch während ih­rer Ar­beits­ver­rich-

 

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tung tra­ge und im Übri­gen je nach Aus­gang des Rechts­streits die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an­ge­dacht sei.

2. Die Kla­ge ist je­doch un­be­gründet. Ei­ne An­spruchs­grund­la­ge ist nicht ge­ge­ben.

a) Ein An­spruch der Kläge­rin auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung vom 08.08.2007 aus ih­rer Per­so­nal­ak­te kann sich so­wohl aus §§ 611, 241 Abs. 2 BGB als auch aus dem qua­si-ne­ga­to­ri­schen Be­sei­ti­gungs­an­spruch ent­spre­chend der §§ 1004, 242 BGB er­ge­ben (vgl. da­zu z. B. BAG, Ur­teil vom 27.11.2008 - 2 AZR 675/07 EzA-SD 2009 Nr. 8, 12 bis 14, zu B I der Gründe = Rn. 13). Je­doch lie­gen je­weils die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Ent­fer­nungs­an­spruch nicht vor. Die Kläge­rin hat nämlich durch das Tra­gen ih­res Kopf­tu­ches während ih­rer Tätig­keit als Er­zie­he­rin ge­gen § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ver­s­toßen.

aa) Bei der nun­mehr in § 314 Abs. 2 BGB ge­setz­lich ver­an­ker­ten Ab­mah­nung han­delt es sich um die Ausübung ei­nes ar­beits­ver­trag­li­chen Gläubi­ger­rechts durch den Ar­beit­ge­ber. Als Gläubi­ger der Ar­beits­leis­tung weist er den Ar­beit­neh­mer als sei­nen Schuld­ner auf des­sen ver­trag­li­che Pflich­ten hin und macht ihn auf die Ver­let­zung die­ser Pflich­ten auf­merk­sam (Rüge­funk­ti­on). Zu­gleich for­dert er ihn für die Zu­kunft zu ei­nem ver­trags­treu­en Ver­hal­ten auf und kündigt, wenn ihm dies an­ge­bracht er-scheint, in­di­vi­du­al­recht­li­che Kon­se­quen­zen für den Fall ei­ner er­neu­ten Pflicht­ver­let­zung an (Warn­funk­ti­on, z. B. BAG, Ur­teil vom 27.11.2008 - 2 AZR 675/07 - a. a. O., zu B I 1 der Gründe = Rn. 14 mit wei­te­ren Nach­wei­sen). Ei­ne sol­che miss­bil­li­gen­de Äußerung des Ar­beit­ge­bers in Form ei­ner Ab­mah­nung ist ge­eig­net, den Ar­beit­neh­mer in sei­nem be­ruf­li­chen Fort­kom­men und sei­nem Persönlich­keits­recht zu be­ein­träch­ti­gen.

Des­halb kann der Ar­beit­neh­mer so­wohl auf der Grund­la­ge der §§ 611, 241 Abs. 2 BGB als Fol­ge ei­nes Ver­s­toßes ge­gen die ar­beits­ver­trag­li­che Ne­ben­pflicht (of­fen ge­las­sen in BAG, Ur­teil vom 15.04.1999 - 7 AZR 716/97 - AP Nr. 22 zu § 611 Ab­mah­nung, zu I 3 a der Gründe = Rn. 19; sie­he auch BAG, Ur­teil vom 18.11.2008 - 9 AZR 865/07 - NZA 2009, 206, 209, zu A I der Gründe = Rn. 13, be­trifft Ent­fer­nung ei­ner Re­gel­be­ur­tei­lung aus der Per­so­nal­ak­te) als auch qua­si­ne­ga­to­risch gem. §§ 1004, 242 BGB ana­log - die Ana­lo­gie be­trifft die Gleich­set­zung des Persönlich­keits­rechts mit dem dar­in ge­re­gel­ten Ei­gen­tums­recht - die Be­sei­ti­gung die­ser Be­ein­träch­ti­gung ver­lan­gen, wenn die Ab­mah­nung al­ter­na­tiv for­mell nicht ord­nungs­gemäß zu­stan­de ge­kom­men ist, un­rich­ti­ge Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen enthält,

 

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auf ei­ner un­zu­tref­fen­den recht­li­chen Be­wer­tung des Ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers be­ruht, den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit ver­letzt oder kein schutzwürdi­ges In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers am Ver­bleib der Ab­mah­nung in der Per­so­nal­ak­te mehr be­steht (BAG, Ur­teil vom 27.11.2008 - 2 AZR 675/07 - a. a. O., zu B I 2 a der Grün-de mit zahl­rei­chen Nach­wei­sen = Rd­nr. 16).

bb) Hier­nach be­steht kein An­spruch auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung vom 08.08.2007 aus der Per­so­nal­ak­te, weil die Ab­mah­nung we­der un­rich­ti­ge Tat­sa­chen­be­haup­tun-gen enthält noch auf ei­ner un­zu­tref­fen­den recht­li­chen Be­wer­tung des Ver­hal­tens der Kläge­rin be­ruht. Die be­klag­te Stadt kann sich zur Recht­fer­ti­gung der Ab­mah­nung auf § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW be­ru­fen, der das von ihr gerügte Tra­gen des Kopf­tuchs durch die Kläge­rin während ih­rer Tätig­keit als Er­zie­he­rin ver­bie­tet.

b) § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ist auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en an­wend­bar. Die Kläge­rin ist als staat­lich an­er­kann­te Er­zie­he­rin Fach­kraft im Sin­ne des § 7 Abs. 6 Satz 1 i. V. m . § 7 Abs. 1 Nr. 2 Ki­TaG BW. Kraft des mit der be­klag­ten Stadt be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses ist sie als Er­zie­he­rin in ei­ner von der be­klag­ten Stadt ge­tra­ge­nen Kin­der­ta­gesstätte im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Ki­TaG BW beschäftigt. Die Ein­hal­tung des in § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ent­hal­te­nen Kopf­tuch­ver­bots als ge­setz­li­che Ne­ben­pflicht der Be­rufs­ausübung als Er­zie­he­rin be­gründet über die ar­beits­ver­trag­li­che An­bin­dung ei­ne ge­genüber der be­klag­ten Stadt ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­te Pflicht.

c) Die Kläge­rin hat durch das Tra­gen des so ge­nann­ten is­la­mi­schen Kopf­tuchs (Hi­dschab; Es­po­si­to, Von Kopf­tuch bis Scha­ria, 2009, Sei­te 221) ge­gen § 7 Abs. 6 Satz 2 Ki­TaG BW ver­s­toßen.

aa) Nach § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW dürfen Fach­kräfte im Sin­ne der Absätze 1 und 2 usw. kei­ne re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Be­kun­dun­gen ab­ge­ben, die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Trägers ge­genüber Kin­dern und El­tern oder den re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Frie­den in die­sen Ein­rich­tun­gen zu gefähr­den oder zu stören. Ent­spre­chend dem § 38 Abs. 2 Satz 1 SchG BW (GBl.S. 178) knüpft der in­halts­glei­che Ver­botstat­be­stand des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW an ei­nen abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stand an. Dem­ent­spre­chend fal­len un­ter das Ver­bot nicht erst Be­kun­dun­gen, wel­che die Neu­tra­lität des Trägers der je­wei­li­gen Ein­rich­tung oder den Ein­rich­tungs­frie­den kon­kret gefähr­den oder gar stören. Er will viel­mehr schon dro­hen­den Ge­fah­ren vor­beu­gen, um kon­kre­te Ge­fah­ren für die Neu­tra­lität der Ein­rich­tung oder den Ein­rich­tungs­frie­den gar nicht erst ein­tre­ten zu las­sen. Im Ge­set-

 

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zes­wort­laut kommt dies dar­in zum Aus­druck, dass er ent­spre­chen­de Ver­hal­tens­wei­sen be­reits dann ver­bie­tet, wenn sie nur „ge­eig­net“ sind, die ge­nann­ten Schutzgüter zu gefähr­den. Ei­ne Be­trach­tung der kon­kre­ten Verhält­nis­se und de­ren Würdi­gung ist da­nach nicht vor­ge­se­hen (vgl. zur ent­spre­chen­den Be­stim­mung des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchG BW, BVerwG, Ur­teil vom 24.06.2004 - 2 C 45/03 - NJW 2004, 3581 bis 3584, zu 2 b der Gründe = Rd­nr. 24; VGH Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 14.03.2008 - 4 S 516/07 - VBl. BW 2008, 437 bis 443, Rd­nr. 29). Ne­ben dem Ge­set­zes­wort­laut spricht auch auf der Grund­la­ge der gel­tungs­zeit­lich-sub­jek­ti­ven Theo­rie (Wank, Die Aus­le­gung von Ge­set­zen, 4. Auf­la­ge, S. 32) der Wil­le des ma­te­ri­el­len Ge­setz­ge­bers in Form der Be­gründung des Ge­set­zes­ent­wurfs der Frak­tio­nen von CDU und FDP vom 25.11.2005 (LT-Drucks. 13/4869, S. 9 zu § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW. Hier­zu heißt es aus­zugs­wei­se:

„...
1. Re­ge­lung des Kopf­tuch­ver­bots
Mit Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 2003 - Az.: 2 BvR 1436/02 - hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt fest­ge­stellt, dass ein Ver­bot für Lehr­kräfte, in Schu­le und Un­ter­richt ein Kopf­tuch zu tra­gen, ei­ner hin­rei­chend be­stimm­ten ge­setz­li­chen Grund­la­ge be­darf; es kom­me dem de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­ten Lan­des­ge­setz­ge­ber zu, die bis­lang feh­len­de ge­setz­li­che Grund­la­ge im Rah­men der ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben und un­ter Berück­sich­ti­gung der tatsächli­chen Ent­wick­lung zu schaf­fen und die Schran­ken der wi­der­strei­ten­den Frei­heits-rech­te zu be­stim­men (BVerfG, Ur­teil­s­um­druck, S. 38 ff.).

...
Der Lan­des­ge­setz­ge­ber re­gelt mit die­ser No­vel­le im Ein­klang mit den ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben den ge­sam­ten Be­reich äußerer Be­kun­dun­gen in­ne­rer Über­zeu­gun­gen von Er­zie­hungs­per­so­nal an Kin­dergärten in Träger­schaft des Lan­des, ei­nes Land­krei­ses, ei­ner Ge­mein­de, ei­ner Ver­wal­tungs­ge­mein­schaft, ei­nes Zweck- oder Re­gio­nal­ver­ban­des. Die Ausführun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts in der Ur­teils­be­gründung las­sen sich auf den Be­reich des Kin­der­gar­tens über­tra­gen.

...
Un­ter Abwägung der be­trof­fe­nen Grund­rechts­po­si­tio­nen von Kin­der­gar­ten­kin­dern, El­tern und Er­zie­hungs­per­so­nal und der Neu­tra­litäts­pflicht und des Er­zie­hungs­auf­trags des Kin­der­gar­tens wer­den sol­che äußeren Be­kun­dun­gen aus­ge­schlos­sen, so­weit sie die Neu­tra­lität und den Frie­den im Kin­der-

 

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gar­ten gefähr­den oder stören, vor al­lem grund­le­gen­de Ver­fas­sungs­wer­te miss­ach­ten können.

....
Es ist des­halb kon­se­quent, das nach § 38 Schul­ge­setz für die Lehr­kräfte gel­ten­de Ver­hal­tens­ge­bot auch ent­spre­chend auf den Be­reich der Fach­kräfte in den Kin­dergärten durch ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung zu über­tra­gen. ...“

bb) Da­nach hat die Kläge­rin durch das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs während ih­rer Tätig­keit als Er­zie­he­rin den abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stand des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ver­wirk­licht. Das hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt.

(1) Das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs (vor­lie­gend Hit­schab, der zur Be­de­ckung von Haar, Kopf und Hals mus­li­mi­scher Frau­en dient, dem­ge­genüber han­delt es sich bei der Bur­qua und dem ent­spre­chen­den ira­ni­schen Be­griff Tscha­dor um ei­nen Körper­schlei­er der Frau­en; vgl. Es­po­si­to, Von Kopf­tuch bis Scha­ria, 2009, S. 220, 221 und 226) durch die Kläge­rin ist ei­ne re­li­giöse äußere Be­kun­dung im Sin­ne von § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW. Sie gibt da­mit in ein­deu­ti­ger Wei­se zu ver­ste­hen, dass sie sich zur Re­li­gi­on des Is­lam be­kennt und sich ge­hal­ten sieht, des­sen von ihr als ver­pflich­tend emp­fun­de­ne Be­klei­dungs­vor­schrif­ten zu beach-ten. Hier­in liegt ei­ne Be­kun­dung, nämlich die be­wuss­te, an die Außen­welt ge­rich­te­te Kund­ga­be ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung (BVerwG, Ur­teil vom 24.06.2004 - 2 C 45/03 - a. a. O., zu 2 a der Gründe = Rd­nr. 21; VGH Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 14.03.2008 - 4 S 516/07 - a. a. O., Rd­nr. 27). Ob die­se Be­kun­dung vom Schutz der Re­li­gi­ons-
oder Mei­nungsäußerung um­fasst wird, ist in die­sem Zu­sam­men­hang eben­so un­be­acht­lich, wie das ihr zu­grun­de lie­gen­de Mo­tiv, al­so die Fra­ge, ob die Be­kun­dung frei­wil­lig ist oder im Sin­ne ei­nes tra­dier­ten Rol­len­verständ­nis­ses auf ei­nen mehr oder we­ni­ger star­ken äußeren Zwang be­ruht. Ent­schei­dend sind die vom Drit­ten wahr­ge­nom­me­nen Erklärungs­wer­te die­ser Be­kun­dung (BVerwG, Ur­teil vom 24.06.2004 - 2 C 45/03 - a. a. O., zu 2 a der Gründe = Rd­nr. 21); Maßstab ist al­so der ob­jek­ti­ve Empfänger­ho­ri­zont (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - NJW 2003, 3111 bis 3118 zu B II 5 a der Gründe = Rd­nr. 53). Nach den nicht an­ge­grif­fen und da­mit bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts trägt die Kläge­rin ihr Kopf­tuch in der Öffent­lich­keit aus re­li­giös mo­ti­vier­ter Über­zeu­gung.

 

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(2) Die im Tra­gen der Kopf­be­de­ckung lie­gen­de re­li­giöse äußere Be­kun­dung ist auch im Sin­ne des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ge­eig­net, die Neu­tra­lität der Ein­rich­tun­gen im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Ki­TaG BW (vor­lie­gend Kin­der­ta­gesstätte) oder den re­li­giösen Frie­den in der Kin­der­ta­gesstätte zu gefähr­den oder zu stören. Auf der Grund­la­ge der Be­wer­tung des Ver­hal­tens­ge­bots als abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stand, geht von dem Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs ei­ne der­art abs­trak­te Gefähr­dung der re­li­giösen Neu­tra­lität der Kin­der­ta­gesstätte und des re­li­giösen Frie­dens in der Kin­der­ta­gesstätte aus. Es eröff­net zu­min­dest die Möglich­keit ei­ner Be­ein­flus­sung der Kin­der in der Kin­der­ta­gesstätte so­wie von Kon­flik­ten mit El­tern, die zu ei­ner Störung des Ein­rich­tungs­frie­dens führen und die Erfüllung des Förder­auf­trags der Kin­der­ta­gesstätte (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 Ki­TaG BW i. V. m. § 22 Abs. 3 SGB VIII) gefähr­den können. Auch die re­li­giös mo­ti­vier­te und als Kund­ga­be ei­ner Glau­bensüber­zeu­gung zu in­ter­pre­tie­ren­de Be­klei­dung von Fach­kräften im Sin­ne des § 7 Abs. 1 Ki­TaG BW kann die­se Wir­kun­gen ha­ben. Zu­tref­fend ver­weist das Ar­beits­ge­richt in die­sem Zu­sam­men­hang auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt stuft den Fall, dass Lehr­kräfte in der Schu­le re­li­giös mo­ti­vier­te Klei­dung tra­gen, die als Kund­ga­be ei­ner Glau­bensüber­zeu­gung er­kenn­bar wer-den, aus­drück­lich als ei­ne abs­trak­te Ge­fahr ein (Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 5 der Gründe = Rd­nr. 49). Zur Be­ur­tei­lung der Eig­nung des Tra­gens ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs als abs­trak­te Ge­fahr im Sin­ne des § 7 Abs. 6 Satz1 Ki­TaG BW macht sich die Be­ru­fungs­kam­mer die nach­fol­gen­den Ausführun­gen des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts (Ur­teil vom 24.06.2004 - 2 C 45/03 - a. a. O., zu 2 b der Gründe = Rd­nr. 25) zur in­halts­glei­chen Vor­schrift des § 38 Abs. 2 Satz 1 SchG BW zu Ei­gen. „Die Schu­le ist der Ort, an dem die un­ter­schied­li­chen re­li­giösen Auf­fas­sun­gen un­aus­weich­lich auf­ein­an­der tref­fen und wo sich das Ne­ben­ein­an­der be­son­ders emp­find­lich aus­wir­ken kann. Die Ent­wick­lung hin zu ei­ner ge­wach­se­nen re­li­giösen Viel­falt in der Ge­sell­schaft hat da-her zwangsläufig ein ver­mehr­tes Po­ten­ti­al mögli­cher Kon­flik­te in der Schu­le mit sich ge­bracht. In die­ser La­ge können leich­ter Gefähr­dun­gen für den re­li­giösen Schul­frie­den auf­kom­men. Sie können sich vor al­lem aus der Be­sorg­nis ins­be­son­de­re der El­tern vor ei­ner un­ge­woll­ten re­li­giösen Be­ein­flus­sung der Kin­der ent­wi­ckeln. Ein­bußen an Neu­tra­lität im Er­schei­nungs­bild können zu sol­cher Be­sorg­nis bei­tra­gen und las­sen sich in­so­weit als ei­ne abs­trak­te Ge­fahr be­zeich­nen. Ihr will der Lan­des­ge­setz­ge­ber durch ei­ne auch in der Klei­dung sicht­ba­ren Neu­tra­lität der Leh­rer be­geg­nen.“ Für den Kin­der­gar­ten­be­reich gilt nichts an­de­res.

 

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So­weit die Kläge­rin mit ih­rer Be­ru­fung die Sub­sum­ti­on des Sach­ver­halts durch das Ar­beits­ge­richt rügt, kann ihr nicht ge­folgt wer­den. Für die Ver­wirk­li­chung des Ver­hal­tens­ge­bots des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW genügt die Fest­stel­lung der Eig­nung der durch das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs zum Aus­druck ge­brach­ten re­li­giösen Be­kun­dung als Gefähr­dung der Neu­tra­lität der be­klag­ten Stadt ge­genüber den Kin­dern der Kin­der­ta­gesstätte und de­ren El­tern, al­ter­na­tiv der Gefähr­dung des re­li­giösen Frie­dens in der Kin­der­ta­gesstätte. Nach den vor-ste­hen­den Ausführun­gen ist mit dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt da­von aus­zu­ge­hen, dass die re­li­giös mo­ti­vier­te und als Kund­ga­be ei­ner Glau­bensüber­zeu­gung zu in­ter­pre­tie­ren­de Be­klei­dung abs­trakt ge­eig­net ist, die Möglich­keit ei­ner Be­ein­flus­sung der Kin­der in der Kin­der­ta­gesstätte so­wie von Kon­flik­ten mit El­tern aus­zulösen (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 5 der Gründe = Rd­nr. 49).

(3) Der An­wen­dung des abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stan­des auf die Per­son der Kläge­rin steht nicht ent­ge­gen, dass sie be­reits bei In­kraft­tre­ten des Ver­hal­tens­ge­bots als Er­zie­he­rin bei der be­klag­ten Stadt beschäftigt war. Das folgt aus Ge­setz­zweck und -wort­sinn, der in­so­weit kei­ne Ein­schränkun­gen enthält. Das Ver­hal­tens­ge­bot un­ter­schei­det nicht zwi­schen ein­zu­stel­len­den Er­zie­he­rin­nen und be­reits im Ar­beit­verhält­nis be­find­li­chen Fach­kräften (vgl. z. B. VGH Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 14.03.2008 - 4 S 416/07 - a. a. O., Rd­nr. 31).

d) § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin mit höher­ran­gi­gem Recht, ins­be­son­de­re dem Grund­ge­setz, ver­ein­bar.

aa) Das Ver­hal­tens­ge­bot des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ist for­mell grund­ge­setz­gemäß. Der Lan­des­ge­setz­ge­ber war in­so­weit ge­setz­ge­bungs­kom­pe­tent.

(1) Gemäß Art. 70 Abs. 1 GG ha­ben die Länder das Recht der Ge­setz­ge­bung, so-weit die­ses Grund­ge­setz nicht dem Bun­de Ge­setz­ge­bungs­be­fug­nis­se ver­leiht. Nach sei­nem Abs. 2 be­misst sich die Ab­gren­zung der Zuständig­keit zwi­schen Bund und Ländern nach den Vor­schrif­ten die­ses Grund­ge­set­zes über die aus­sch­ließli­che und die kon­kur­rie­ren­de Ge­setz­ge­bung. Da­nach ha­ben im Be­reich der kon­kur­rie­ren­den Ge­setz­ge­bung die Länder die Be­fug­nis zur Ge­setz­ge­bung, so­lan­ge und so­weit der Bund von sei­ner Ge­setz­ge­bungs­kom­pe­tenz nicht Ge­brauch ge­macht hat, Art. 72 Abs. 1 GG. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG er­streckt

 

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sich die kon­kur­rie­ren­de Ge­setz­ge­bung auch auf die öffent­li­che Fürsor­ge. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (Be­schluss vom 10.03.1998 - 1 BvR 178/97 - NJW 1998, 2128 bis 2131, zu B II 1 b aa der Gründe = Rd­nr. 55 bis 57) gehört hier­zu auch der Kin­der­gar­ten­be­reich.

(2) Der Lan­des­ge­setz­ge­ber war für die Re­ge­lung des „Kopf­tuch­ver­bots“ zuständig. Das folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der Bund von sei­ner Ge­setz­ge­bungs­kom­pe­tenz durch Er­lass der §§ 22 bis 26 SGB VIII Ge­brauch ge­macht hat. Das Kopf­tuch­ver­bot, in­so­weit be­steht kei­ne bun­des­ge­setz­li­che Re­ge­lung, be­trifft die An­for­de­run­gen an das Fach­kräfte­per­so­nal in Kin­dergärten, die der ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­ge­setz­ge­ber schon bis­lang im Kin­der­gar­ten­ge­setz, nämlich in § 7 mit den dort auf­geführ­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­er­for­der­nis­sen, ge­re­gelt hat. Das Kopf­tuch­ver­bot ist als Abs. 6 in die­se Vor­schrift ein­gefügt wor­den und die Gewähr für sei­ne Ein­hal­tung wird als „persönli­ches Eig­nungs­merk­mal“ der Fach­kräfte be­wer­tet (Wit­tin­ger, VBl. BW, 2006, 169, 172). Vor­schrif­ten über An­for­de­run­gen an das Fach­kräfte­per­so­nal darf der Lan­des­ge­setz­ge­ber nach dem ihm in SGB VIII durch den Lan­des­rechts­vor­be­halt nach § 26 SGB VIII eröff­ne­ten Re­ge­lungs­spiel­raum tref­fen.

bb) So­weit sich das Ver­hal­tens­ge­bot des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW auch auf Beschäftig­te be­zieht, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu Trägern ge­meind­li­cher Ein­rich­tun­gen im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Ki­TaG BW ste­hen, liegt kein Ver­s­toß ge­gen die kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Der Ge­set­zes­vor­be­halt recht­fer­tigt den Ein­griff in die Per­so­nal­ho­heit der Ge­mein­den.

(1) Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 muss den Ge­mein­den das Recht gewähr­leis­tet sein, al­le An­ge­le­gen­hei­ten der ört­li­chen Ge­mein­schaft im Rah­men der Ge­set­ze in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung zu re­geln. Die da­nach ga­ran­tier­te Uni­ver­sa­lität oder All­zuständig­keit be­trifft die­je­ni­gen Bedürf­nis­se und In­ter­es­sen, die in der ört­li­chen Ge­mein­schaft wur­zeln oder auf sie ei­nen spe­zi­fi­schen Be­zug ha­ben. Ga­ran­tiert ist nicht nur der Auf­ga­ben­be­reich, son­dern auch die Be­fug­nis zu ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Führung der Geschäfte in die­sem Be­reich. Ele­ment der Ge­mein­de­ho­heit ist un­ter an­de­rem auch die Per­so­nal­ho­heit, al­so die Be­fug­nis, das Per­so­nal aus­zuwählen, an­zu­stel­len, zu befördern und zu ent­las­sen (BVerfG, Be­schluss vom 26.11.1963 - 2 BvR 12/62 - NJW 1964, 491 ff., zu B II 1 der Gründe = Rd­nr. 38). Auf­grund des in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ent­hal­te­nen Ge­set­zes­vor­be­halts sind Be­schränkun­gen der Selbst­ver­wal­tung der Ge­mein­den mit Art. 28 Abs. 2

 

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Satz 1 GG ver­ein­bar, wenn sie de­ren Kern­be­reich verhält­nismäßig un­an­ge­tas­tet las­sen (BVerfG, Be­schluss vom 26.11.1963 - 2 BvR 12/62 - a. a. O., zu B II 1 der Gründe = Rd­nr. 38; BVerfG, Be­schluss vom 07.10.1980 - 2 BvR 584/76, 2 BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76 - NJW 1981, 1659 bis 1662, zu C II 3 a und b der Gründe = Rd­nr. 43 und 45).

(2) Da­nach ist die lan­des­ge­setz­lich be­stimm­te Eig­nungs­vor­aus­set­zung kein un­ge­recht­fer­tig­ter Ein­griff in die kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie.

(a) Die Re­ge­lung in § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW un­terfällt dem Schutz­be­reich des kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­rechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 Abs. 1 LVerf). Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII be­steht für je­des Kind vom voll­ende­ten drit­ten Le­bens­jahr bis zum Schul­ein­tritt ein An­spruch auf ei­nen Kin­der­gar­ten­platz. Der ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­ge­setz­ge­ber hat den Ge­mein­den die Förde­rung der Kin­der in Ta­ges­ein­rich­tun­gen, wie z. B. Kin­der­ta­gesstätten, als Pflicht­auf­ga­be im Be­reich der Da­seins­vor­sor­ge über­tra­gen (Wit­tin­ger, a. a. O., 169, 173). Auf­grund des ge­meind­li­chen Be­zugs von Kin­dergärten ist die Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie be­trof­fen. Par­al­lel zur ge­genständ­li­chen Auf­ga­ben­zu­wei­sung hat der Lan­des­ge­setz­ge­ber in­so­weit in die Per­so­nal­ho­heit der kom­mu­na­len Träger sol­cher Ein­rich­tun­gen ein­ge­grif­fen, als er für die Ar­beit­ge­ber der Fach­kräfte durch das ver­bind­li­che Ver­hal­tens­ge­bot des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ein „persönli­ches Eig­nungs­merk­mal“ (vgl. Wit­tin­ger, a. a. O., 172) nor­miert hat. Die Aus­ge­stal­tung des Kopf­tuch­ver­bots ver­wehrt es den Ge­mein­den so­gar, ob­wohl Träger der Ein­rich­tung und Ar­beit­ge­ber der Fach­kräfte, in Ausübung ih­rer Per­so­nal­ho­heit ei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung zu tref­fen.

(b) Der Ein­griff in den Schutz­be­reich der Per­so­nal­ho­heit als Aus­schluss der Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie ist je­doch ge­recht­fer­tigt. Im Rah­men der durch den Ge­set­zes­vor­be­halt re­la­ti­vier­ten Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie greift die Eig­nungs­vor­aus­set­zung nicht in den Kern­be­reich der Per­so­nal­ho­heit der Ge­mein­den ein. Ih­nen ver­bleibt nach wie vor das Recht, ih­re Fach­kräfte aus­zuwählen, an­zu­stel­len, zu befördern und auch zu ent­las­sen. Eben­so wie die in § 7 Abs. 1 Ki­TaG BW nor­mier­ten Aus­bil­dungs­vor­aus­set­zun­gen ist das Kopf­tuch­ver­bot le­dig­lich ei­ne wei­te­re Eig­nungs­vor­aus­set­zung, die im Übri­gen die wei­te­ren As­pek­te der Per­so­nal­ho­heit un­berührt lässt. In­so­fern ist der Ein­griff auch verhält­nismäßig. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der Lan­des­ge­setz­ge-

 

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ber § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW nicht als Ver­bot mit Er­laub­nis­vor­be­halt aus­ge­stal­tet hat (so je­doch Ände­rungs­an­trag der Frak­ti­on der SPD zum Ge­setz zur Ände­rung des Kin­der­gar­ten­ge­set­zes vom 02.02.2006, LT-Drucks. 13/5115). Denn in­so­weit kommt dem Lan­des­ge­setz­ge­ber ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve hin­sicht­lich der Ge­eig­net­heit und Er­for­der­lich­keit des Steue­rungs­in­stru­ments in Be­zug auf das mit dem Kopf­tuch­ver­bot be­zweck­te Ziel zu (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 6 b der Gründe = Rn. 66; vgl. auch LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 10.04.2008 - 5 Sa 1836/07 - LA­GE Art. 4 GG Nr. 6, zu II 3.1.2 der Gründe = Rn. 50). Im Üb-ri­gen hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­ner Ent­schei­dung vom 24.09.2003 (2 BvR 1436/02, a. a. O., zu B II 6 b aa der Gründe = Rn. 67 bis 69) für das „Kopf­tuch im Klas­sen­zim­mer“ auf der Grund­la­ge der so ge­nann­ten We­sent­lich­keits­leh­re (Par­la­ments­vor­be­halt) ei­ne Re­ge­lung durch den Lan­des­ge­setz­ge­ber ge­for­dert. Nichts an­de­res kann auch im Be­reich des Kin­der­gar­ten­we­sens gel­ten, da die Ver­wirk­li­chung von Grund­rech­ten im Verhält­nis zwi­schen Er­zie­he­rin­nen, El­tern, Kin­dern und den (staat­li­chen) kom­mu­na­len Trägern der Ein­rich­tun­gen glei­cher­maßen in Re­de steht (vgl. da­zu Wit­tin­ger, a. a. O., S. 173).

cc) Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht an­ge­nom­men, dass § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW nicht ge­gen die Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG verstößt. Die Re­ge­lung des Kopf­tuch­ver­bots greift in die vor­be­halt­los gewähr­leis­te­te Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin ein. Sie ist je­doch ge­recht­fer­tigt, weil sie ver­fas­sungs-im­ma­nen­te Schran­ken die­ses Grund­rechts kon­kre­ti­siert und sich auch im Rah­men der dem Ge­setz­ge­ber hier­bei zu­ste­hen­den Einschätzungs­präro­ga­ti­ve hält. Mit an­de­ren Wor­ten: Das re­li­giös mo­ti­vier­te Tra­gen des Kopf­tuchs hat als äußere Be­kun­dung der Glau­bens­frei­heit im Rah­men der ge­bo­te­nen Abwägung der kol­li­die­ren­den Grund­rechts­po­si­tio­nen zurück­zu­tre­ten.

(1) Das vor­lie­gend in Re­de ste­hen­de Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tu­ches während der Tätig­keit als Er­zie­he­rin un­terfällt dem Schutz­be­reich der Glau­bens­frei­heit.

(a) Nach Art. 4 Abs. 1 GG sind die Frei­heit des Glau­bens, des Ge­wis­sens und die Frei­heit des re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Be­kennt­nis­ses un­ver­letz­lich. Nach sei­nem Abs. 2 ist die un­gestörte Re­li­gi­ons­ausübung gewähr­leis­tet. Bei­de Absätze des Art. 4 GG ent­hal­ten ein um­fas­send zu ver­ste­hen­des ein­heit­li­ches Grund­recht (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a.

 

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O., zu B II 2 der Gründe = Rn. 37), das vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt als Glau­bens­frei­heit be­zeich­net wird (vgl. da­zu Ja­rass/Pie­roth, GG, 8. Auf­la­ge, Ar­ti­kel 4 Rn. 2 mit zahl­rei­chen Nach­wei­sen). Es er­streckt sich nicht nur auf die in­ne­re Frei­heit, zu glau­ben oder nicht zu glau­ben (po­si­ti­ve und ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit), son­dern auch auf die äußere Frei­heit, den Glau­ben zu be­kun­den und zu ver­brei­ten. Da­zu gehört auch das Recht des Ein­zel­nen, sein ge­sam­tes Ver­hal­ten an den Leh­ren sei­nes Glau­bens aus­zu­rich­ten und sei­ner in­ne­ren Glau­bensüber­zeu­gung gemäß zu han­deln. Dies be­trifft nicht nur im­pe­ra­ti­ve Glau­benssätze, son­dern auch sol­che re­li­giösen Über­zeu­gun­gen, die ein Ver­hal­ten als das zur Bewälti­gung ei­ner Le­bens­la­ge rich­ti­ge be­stim­men (BVerfG, Be­schluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/86 - C I 2 b der Gründe = Rn. 65).

(b) Das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs durch die Kläge­rin in der Kin­der­ta­gesstätte fällt un­ter den Schutz der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürg­ten Glau­bens­frei­heit. Die Kläge­rin be­trach­tet das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs als für sich ver­bind­lich von Re­geln ih­rer Re­li­gi­on vor­ge­ge­ben; das Be­fol­gen die­ser Be­klei­dungs­re­gel ist für sie Aus­druck ih­res re­li­giösen Be­kennt­nis­ses. Dies steht nach den nicht an­ge­grif­fe­nen und da­mit bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Ar­beits­ge­richts fest. Die Kläge­rin trägt das Kopf­tuch aus­sch­ließlich re­li­giös mo­ti­viert.

(2) Das Ver­bot des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW greift in die­sen Schutz­be­reich ein. Das Kopf­tuch­ver­bot un­ter­sagt es der Kläge­rin, in der Kin­der­ta­gesstätte äußer­lich dau­ernd sicht­bar ih­re Zu­gehörig­keit zu ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft oder Glau­bens­rich­tung er­ken­nen zu las­sen.

(3) Der Ein­griff in den Schutz­be­reich der vor­be­halt­los gewähr­leis­te­ten Glau­bens­frei­heit ist durch kol­li­die­ren­des Ver­fas­sungs­recht ge­recht­fer­tigt. Der für die Kläge­rin strei­ten­de po­si­ti­ve Glau­bens­frei­heit ste­hen die Grund­rech­te der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Kin­der­gar­ten­kin­dern und das Recht der El­tern zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht eben­so ent­ge­gen wie das Ver­fas­sungs­gut der re­li­giös-welt­an­schau­li­chen Neu­tra­lität des Staa­tes.

(a) Nicht mit ei­nem Ge­set­zes­vor­be­halt ver­se­he­ne Grund­rech­te können durch kol­li­die­ren­des Ver­fas­sungs­recht, nämlich durch Grund­rech­te Drit­ter oder durch sons­ti­ge ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te Güter, be­schränkt wer­den (BVerfG, Be­schluss vom 21.12.1977 - 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 - NJW

 

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1978, 807 bis 811, zu C I 3 b der Gründe = Rn. 86; BVerfG, Be­schluss vom 26.05.1970 - 1 BvR 83/69, 1 BvR 244/69, 1 BvR 345/69 - NJW 1960, 1729 ff., zu C I 4 c der Gründe = Rn. 59; BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 4 b der Gründe).

(b) Die Kin­der­gar­ten­kin­der sind durch die von der Kläge­rin in An­spruch ge­nom­me­ne Frei­heit der Betäti­gung ih­rer Glau­bensüber­zeu­gung durch das Tra­gen des Kopf­tuchs während ih­rer Tätig­keit in der Kin­der­ta­gesstätte in ih­rer durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschütz­ten ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit be­trof­fen.

(aa) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die ne­ga­ti­ve wie die po­si­ti­ve Äußerungs­form der Glau­bens­frei­heit glei­cher­maßen schützt, gewähr­leis­tet auch die Frei­heit, kul­ti­schen Hand­lun­gen ei­nes nicht ge­teil­ten Glau­bens fern zu blei­ben; das be­zieht sich auch auf Kul­te und Sym­bo­le, in de­nen ein Glau­be oder ei­ne Re­li­gi­on sich dar­stellt. Art. 4 GG überlässt es dem Ein­zel­nen zu ent­schei­den, wel­che re­li­giösen Sym­bo­le er an­er­kennt und ver­ehrt und wel­che er ab­lehnt. Zwar hat er in ei­ner Ge­sell­schaft, die un­ter­schied­li­chen Glau­bensüber­zeu­gun­gen Raum gibt, kein Recht dar­auf, von frem­den Glau­bens­be­kun­dun­gen, kul­ti­schen Hand­lun­gen und re­li­giösen Sym­bo­len ver­schont zu blei­ben. Da­von zu un­ter­schei­den ist aber ei­ne vom Staat ge­schaff­te La­ge, in wel­cher der Ein­zel­ne oh­ne Aus­weichmöglich­keit dem Ein­fluss ei­nes be­stimm­ten Glau­bens, den Hand­lun­gen, in de­nen die­ser sich ma­ni­fes­tiert, und den Sym­bo­len, in de­nen er sich dar­stellt, aus­ge­setzt ist. In­so­fern ent­fal­tet Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei­ne frei­heits­si­chern­de Wir­kung ge­ra­de in Le­bens­be­rei­chen, die nicht der ge­sell­schaft­li­chen Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on über­las­sen, son­dern vom Staat in Vor­sor­ge ge­nom­men wor­den sind; dies be­kräftigt Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 4 WRV, wo­nach es ver­bo­ten ist, je­man­den zur Teil­nah­me an re­li­giösen Übun­gen zu zwin­gen (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 4 b cc der Gründe = Rn. 46).

(bb) Da­nach sind die Kin­der­gar­ten­kin­der durch das Tra­gen des Kopf­tuchs in ih­rer ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit un­mit­tel­bar be­trof­fen. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Kin­der als Grund­recht­sträger min­derjährig sind (s. da­zu v. Münch/Ku­nig, Grund­ge­setz­kom­men­tar, 5. Auf­la­ge, Rn. 13 vor Art. 1). In­so­weit fehlt im Grund­ge­setz dafür je­der An­halts­punkt. Das

 

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Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat den Be­griff der Grund­rechtsmündig­keit noch nie be­nutzt (Ja­rass/Pie­roth, GG, 8. Auf­la­ge, Art. 19 Rn. 13). Je­der Träger ei­nes Grund­rechts, gleich wel­chen Al­ters, ist be­rech­tigt, es selbstständig aus­zuüben (Pie­roth/Sch­link, Grund­rech­te, 21. Auf­la­ge, S. 126). Eben­falls steht dem vor­lie­gend an­ge­nom­me­nen Grund­recht der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit nicht ent­ge­gen, dass es im Ver­gleich zum Be­reich der Schu­le kei­ne ent­spre­chen­de Kin­der­gar­ten­pflicht gibt. Zwar hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt aus­geführt, dass in ei­ner Ge­sell­schaft, die un­ter­schied­li­chen Glau­bensüber­zeu­gun­gen Raum gibt, kein Recht be­steht, von frem­den Glau­bens­sym­bo­len ver­schon zu blei­ben. Et­was an­de­res hat es je­doch für den Be­reich der Schu­le we­gen der in­so­weit be­ste­hen­den Schul­pflicht und der da­mit ver­bun­de­nen feh­len­den Aus­weichmöglich­keit an­ge­nom­men. Nichts an­de­res gilt je­doch auch im Kin­der­gar­ten­be­reich.

In­so­weit wird nicht ver­kannt, dass ei­ne Kin­der­gar­ten­pflicht nicht be­steht. Je­doch ist der Kin­der­gar­ten­be­reich ver­gleich­bar der Schu­le vom Staat in Vor­sor­ge ge­nom­men und ge­ra­de nicht der Ge­sell­schaft in Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on über­las­sen wor­den. Die Vor­hal­tung von Kin­dergärten ist, auch wenn un­ter­schied­li­che Träger exis­tie­ren, ge­ra­de auch vom Staat und hier in Ge­stalt der Ge­mein­den über­nom­men wor­den und muss­te über­nom­men wer­den, da die­se zur Be­reit­stel­lung ei­nes Kin­der­gar­ten­plat­zes für je­des Kind ab dem voll­ende­ten drit­ten Le­bens­jahr ver­pflich­tet sind - ei­ne Pflicht, die mit dem An­spruch des Kin­des auf ei­nen Kin­der­gar­ten­platz kor­re­spon­diert, §§ 24 Abs. 1, 69 SGB VIII (Wit­tin­ger, a. a. O., S. 170). Den Ge­mein­den wur­de ei­ne Pflicht zur Be­reit­stel­lung von Kin­der­gar­ten­plätzen und da­mit ei­ne ihr vom Ge­setz­ge­ber auf­ge­ge­be­ne „Vor­sor­ge­funk­ti­on“ auf­er­legt, § 3 Abs. 1 Ki­TaG BW. In­so­fern han­delt es sich bei den Kin­dergärten nicht um die „freie ge­sell­schaft­li­che Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on“ und das staats­freie All­tags­le­ben, son­dern um staat­lich ge­lenk­te Da­seins­vor­sor­ge, die auch an­ge­sichts des As­pekts der Nähe zur Woh­nung ei­nen fak­ti­schen Zwang zum Be­such ei­ner be-stimm­ten, re­gelmäßig ge­meind­li­chen Ein­rich­tung zur Fol­ge hat. Ver-gleich­bar dem Schul­be­reich be­steht im Er­geb­nis ei­ne Aus­weichmöglich­keit nicht.

 

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(c) Das Tra­gen des Kopf­tuchs greift auch in den Schutz­be­reich des Rechts der El­tern zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht ein.

(aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ga­ran­tiert den El­tern die Pfle­ge und Er­zie­hung ih­rer Kin­der als natürli­ches Recht und um­fasst zu­sam­men mit Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht; da­her ist es zuvörderst Sa­che der El­tern, ih­ren Kin­dern die­je­ni­gen Über­zeu­gun­gen in Glau­bens- und Welt­an­schau­ungs­fra­gen zu ver­mit­teln, die sie für rich­tig hal­ten. Dem ent­spricht das Recht, die Kin­der von Glau­bensüber­zeu­gun­gen fern zu hal­ten, die den El­tern als falsch oder schädlich er­schei­nen (BVerfG, Be­schluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 - NJW 1995, 2477 bis 2482, zu C II 1 der Gründe = Rn. 36). Je­doch enthält Art. 6 Abs. 2 GG kei­nen aus­sch­ließli­chen Er­zie­hungs­an­spruch der El­tern. Ei­genständig und in sei­nem Be­reich gleich ge­ord­net ne­ben den El­tern übt der Staat im Be­reich der Schu­le ei­nen ei­gen Er­zie­hungs­auf­trag aus. Wie die­ser im Ein­zel­nen zu erfüllen ist und ins­be­son­de­re in wel­chem Um­fang re­li­giöse Bezüge in der Schu­le ih­ren Platz ha­ben sol­len, un­ter­liegt in­ner­halb der vom Grund­ge­setz, vor al­lem in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, ab­ge­steck­ten Gren-zen der Ge­stal­tungs­frei­heit der Länder (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1426/02 - a. a. O., zu B II 4 b bb der Gründe = Rn. 45).

(bb) Nach die­sen Grundsätzen ist vor­lie­gend auch der grund­ge­setz­li­che Schutz­be­reich des Rechts der El­tern zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht be­trof­fen. Durch das Tra­gen des Kopf­tu­ches in der Kin­der­ta­gesstätte wird den El­tern, die kei­ne Be­treu­ung durch ei­ne Kopf­tuchträge­rin wünschen, in das Recht ein­ge­grif­fen, ih­re Kin­der von Glau­bensüber­zeu­gun­gen fern zu hal­ten, die ih­nen falsch oder schädlich er­schei­nen. Das den El­tern ver­fas­sungs­recht­lich zu-ste­hen­de Er­zie­hungs­recht wird auch ein­fach­ge­setz­lich in­so­fern aner-kannt, als die Kin­dergärten „die Er­zie­hung des Kin­des in der Fa­mi­lie“ (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Ki­TaG BW) un­terstützen und ergänzen (Wit­tin­ger, a. a. O., S. 170). Der kom­ple­mentäre Förde­rungs­auf­trag des Kin­der­gar­tens um­fasst gem. § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII Er­zie­hung, Bil­dung und Be­treu­ung des Kin­des und be­zieht sich auf die so­zia­le, emo­tio­na­le, körper­li­che und geis­ti­ge Ent­wick­lung des Kin­des. In­so­fern und in Ver-bin­dung mit dem An­spruch des Kin­des auf ei­nen Kin­der­gar­ten­platz ab

 

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dem voll­ende­ten drit­ten Le­bens­jahr und des den Ge­mein­den auf­er­leg­ten Förde­rungs­auf­trags be­steht auch für die El­tern an­ge­sichts der öffent­li­chen Bil­dungs­dis­kus­si­on fak­tisch kei­ne Aus­weichmöglich­keit, ihr Kind von die­sem Glau­bens­aus­druck im Kin­der­gar­ten fern zu hal­ten. Der ge­setz­lich an­ge­ord­ne­ten Un­terstützungs­funk­ti­on des el­ter­li­chen Er­zie­hungs­rechts im Kin­der­gar­ten kommt er­sicht­lich die Auf­ga­be zu, dem grund­ge­setz­lich ver­an­ker­ten Er­zie­hungs­recht der El­tern Rech­nung zu tra­gen.

(d) Die re­li­giös-welt­an­schau­li­che Neu­tra­lität des Staa­tes (Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG) setzt der po­si­ti­ven Glau­bens­frei­heit Schran­ken.

(aa) Das Grund­ge­setz be­gründet für den Staat als Heim­statt al­ler Staatsbürger die Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität. Es ver­wehrt die Einführung staats­kirch­li­cher Rechts­for­men und un­ter­sagt die Pri­vi­le­gie­rung be­stimm­ter Be­kennt­nis­se eben­so wie die Aus­gren­zung An­dersgläubi­ger. Der Staat hat auf ei­ne am Gleich­heits­satz ori­en­tier­te Be­hand­lung ver­schie­de­nen Re­li­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten zu ach­ten und darf sich nicht mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft iden­ti­fi­zie­ren. Der frei­heit­li­che Staat des Grund­ge­set­zes ist ge­kenn­zeich­net von Of­fen­heit ge­genüber der Viel­falt welt­an­schau­lich-re­li­giöser Über­zeu­gun­gen und gründet dies auf ein Mensch­bild, das von der Würde des Men­schen und der frei­en Ent­fal­tung der Persönlich­keit in Selbst­be­stim­mung und Ei­gen­ver­ant­wor­tung ge­prägt ist (BVerfG, Be-schluss vom 17.12.1975 - 1 BvR 63/68 - NJW 1976, 947 bis 950, zu C I 2 b der Gründe = Rn. 66).

Die dem Staat ge­bo­te­ne re­li­giös-welt­an­schau­li­che Neu­tra­lität ist in­des nicht als ei­ne dis­tan­zie­ren­de im Sin­ne ei­ner strik­ten Tren­nung von Staat und Kir­che, son­dern als ei­ne of­fe­ne und überg­rei­fen­de, die Glau­bens-frei­heit für al­le Be­kennt­nis­se glei­cher­maßen fördern­de Hal­tung zu ver­ste­hen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ge­bie­tet auch in po­si­ti­vem Sinn, den Raum für die ak­ti­ve Betäti­gung der Glau­bensüber­zeu­gung und die Ver­wirk­li­chung der au­to­no­men Persönlich­keit auf welt­an­schau­lich-re­li­giösem Ge­biet zu si­chern. Der Staat darf le­dig­lich kei­ne ge­ziel­te Be­ein­flus­sung im Diens­te ei­ner be­stimm­ten po­li­ti­schen, ideo­lo­gi­schen oder

 

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welt­an­schau­li­chen Rich­tung be­trei­ben oder sich durch von ihm aus­ge­hen­de oder ihm zu­zu­rech­nen­de Maßnah­men aus­drück­lich oder kon­klu­dent mit ei­nem be­stimm­ten Glau­ben oder ei­ner be­stimm­ten Welt­an­schau­ung iden­ti­fi­zie­ren und da­durch den re­li­giösen Frie­den ei­ner Ge­sell­schaft von sich aus gefähr­den (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O, zu B II 4 b aa der Gründe = Rn. 42 und 43).

Dies gilt nach dem bis­he­ri­gen Verständ­nis des Verhält­nis­ses von Staat und Re­li­gi­on ins­be­son­de­re auch für den vom Staat in Vor­sor­ge ge-nom­me­nen Be­reich der Da­seins­vor­sor­ge, für den sei­ner Na­tur nach re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Vor­stel­lun­gen von je­her re­le­vant wa­ren (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II. 4. b) aa) der Gründe = Rn. 44).

(bb) Da­nach wird das Tra­gen des Kopf­tuchs dem staat­li­chen Neu­tra­litäts­ge­bot im kom­mu­na­len Kin­der­gar­ten nicht ge­recht. Aus dem staat­li­chen Neu­tra­litäts­ge­bot folgt, dass der dem Staat zu­zu­rech­nen­de ge­meind­li­che Träger der Ein­rich­tung sei­ne ge­genüber dem el­ter­li­chen Er­zie­hungs­recht be­ste­hen­de Un­terstützungs­funk­ti­on in re­li­giös-welt­an­schau­li­cher Neu­tra­lität zu erfüllen hat. In Ausführung der bun­des­ge­setz­li­chen Re­ge­lung des § 22 Abs. 3 SGB VIII ob­liegt dem kom­mu­na­len Träger gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 Ki­TaG BW die Er­zie­hung, Bil­dung und Be­treu­ung des Kin­des zur Förde­rung sei­ner Ge­samt­ent­wick­lung. Wenn­gleich kei­ne Kin­der­gar­ten­pflicht be­steht, so hat gleich­wohl der als Staat im wei­te­ren Sin­ne han­deln­de kom­mu­na­le Träger sei­nen ge­setz­li­chen Auf­trag frei von ihm zu­zu­rech­nen­den, ei­ne be­stimm­te Glau­bens­rich­tung präfe­rie­ren­den Be­kun­dun­gen zu erfüllen. Die das Kopf­tuch tra­gen­de Er­zie­he­rin ist Re­präsen­tan­tin des ge­meind­li­chen Trägers. Sie nimmt als pädago­gi­sche Fach­kraft die Er­zie­hung, Bil­dung und Be­treu­ung der ihr übe­r­ant­wor­te­ten Kin­der zur Förde­rung ih­rer je­wei­li­gen Ge­samt­ent­wick­lung wahr. Ob­gleich sie nicht im Sta­tus ei­ner Be­am­tin ist, nimmt sie ei­ne der Schüler-Leh­rer ver­gleich­ba­re Mit­tel­punktsfunk­ti­on als Be­zugs- und Au­to­ritäts­per­son ein; ei­ne Aus­weichmöglich­keit für die das staat­li­che Kin­der­gar­ten­an­ge­bot wahr­neh­men­den Kin­der be­steht nicht. Aus dem Um­stand, dass christ­li­che Bezüge im Kin­der­gar­ten­all­tag re­gelmäßig ge­ge­ben sind, folgt nicht die Pflicht zur Ak­zep­tanz, das Tra­gen des Kopf­tuchs hin­zu­neh­men (vgl. Wit­tin­ger,

 

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a. a. O., S. 171). Christ­li­che Bezüge sind we­der in der Schu­le noch im Kin­der­gar­ten schlech­ter­dings ver­bo­ten, so­fern die Ein­rich­tung auch für an­de­re welt­an­schau­li­che In­hal­te und Wer­te of­fen ist und die­se gleich­be­han­delt. Dar­aus folgt je­doch nicht per se die Zu­las­sung des Tra­gens des Kopf­tuchs als äußere Glau­bens­be­kun­dung.

(e) Das grund­ge­setz­lich durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ver­brief­te Recht, re­li­giös mo­ti­viert ein Kopf­tuch als Er­zie­he­rin während der Ar­beits­zeit zu tra­gen, hat ge­genüber den da­mit kol­li­die­ren­den Grund­rech­ten der El­tern zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht, der so ge­nann­ten ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Kin­der­gar­ten­kin­der und ge­genüber dem staat­li­chen Neu­tra­litäts­ge­bot im kom­mu­na­len Kin­der­gar­ten zurück­zu­tre­ten. Das er­gibt die ge­bo­te­ne Abwägung der kol­li­die­ren­den grund­ge­setz­li­chen Po­si­tio-nen. Das re­li­giös mo­ti­vier­te Tra­gen des Kopf­tuchs ist ein äußeres Zei­chen, das nicht den Kern­be­reich der Re­li­gi­ons­ausübung be­trifft.

(aa) Bei der Be­schränkung ei­nes Grund­rechts durch kol­li­die­ren­des Ver­fas­sungs­recht müssen die be­trof­fe­nen Grund­rech­te bzw. Ver­fas­sungsgüter im Kon­flikt­fall nach Möglich­keit zum Aus­gleich ge­bracht wer­den. Auf der Grund­la­ge des Verhält­nismäßig­keits­prin­zips ist ein scho­nen­der Aus­gleich nach dem Grund­satz prak­ti­scher Kon­kor­danz her­zu­stel­len (Ja­rass/Pie­roth, a. a. O., Vor­be­mer­kung vor Art. 1 Rn. 49 mit zahl­rei­chen Recht­spre­chungs­nach­wei­sen). Der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im wei­te­ren Sin­ne be­steht aus drei Teil­ge­bo­ten: Aus dem Ge­bot der Ge­eig­net­heit, dem der Er­for­der­lich­keit und dem der Verhält­nismäßig­keit im en­ge­ren Sin­ne. In­so­weit kommt dem Ge­setz­ge­ber je­weils ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu­gu­te (Ja­rass/Pi­roth, a. a. O., Art. 20 Rn. 83 und 87).

(bb) Hier­an ge­mes­sen hat die grund­ge­setz­li­che Po­si­ti­on der Kläge­rin zurück­zu­tre­ten.

(aaa) Das hin­rei­chend be­stimm­te Ver­hal­tens­ge­bot in § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ist ge­eig­net, die den staat­li­chen und da­mit auch kom­mu­na­len Trägern von Ein­rich­tun­gen im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Ki­TaG BW ob­lie­gen­de re­li­giös-welt­an­schau­li­che Neu­tra­lität und auch den Ein­rich­tungs­frie­den zu gewähr­leis­ten. Letz­te­rer

 

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wird durch die kol­li­die­ren­den Grund­rech­te der Kopf­tuchträge­rin ei­ner­seits und der El­tern als Träger des Er­zie­hungs­rechts und de­ren Kin­der als Träger der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit an­de­rer­seits in Fra­ge ge­stellt. In­so­fern ist die Re­ge­lung an sich und ih­re Aus­ge­stal­tung als abs­trak­ter Gefähr­dungs­tat­be­stand ge­eig­net, die Ziel­an­ti­no­mie zu­guns­ten der staat­li­chen Neu­tra­lität und der Grund­rech­te der El­tern und de­ren Kin­der auf­zulösen. Das ent-spricht auch der dem Lan­des­ge­setz­ge­ber in­so­weit zu­ste­hen­den Einschätzungs­präro­ga­ti­ve (vgl. LT-Drucks. 13/4869, S. 9).

(bbb) Das Kopf­tuch­ver­bot ist auch er­for­der­lich, die staat­li­che Neu­tra­lität si­cher­zu­stel­len und ei­ner Gefähr­dung des Ein­rich­tungs­frie­dens in Fol­ge der kol­li­die­ren­den Grund­rechts­po­si­tio­nen vor­zu­beu­gen. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Ver­wirk­li­chung und der ihr zu­grun­de lie­gen­de Kon­flikt auch durch die Aus­ge­stal­tung als Ver­bot mit Er­laub­nis­vor­be­halt hätte er­reicht wer­den können (vgl. da­zu den Ände­rungs­an­trag der Frak­ti­on der SPD zum Ge­setz zur Ände­rung des Kin­der­gar­ten­ge­set­zes vom 02.02.2006, LT-Drucks. 13/5115). Denn auch in­so­weit kommt dem Ge­setz­ge­ber für die Be­ur­tei­lung der Maßnah­me in Be­zug auf sei­ne Wir­kungs­wei­se und auf sei­ne Aus­wir­kun­gen in tatsäch­li­cher Hin­sicht ei­ne Ein-schätzungs­präro­ga­ti­ve zu (BVerfG, Ur­teil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - a. a. O., zu B II 6 b der Gründe = Rd­nr. 66).

(ccc) Das Ver­hal­tens­ge­bot des § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW ist auch an­ge­mes­sen (verhält­nismäßig in en­ge­rem Sin­ne).

Die Ein­schränkung der po­si­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin be­trifft nicht den Kern­be­reich ih­rer Re­li­gi­ons­ausübung. Sie ist le­dig­lich ein äußeres Zei­chen als Anhänge­rin des mus­li­mi­schen Glau­bens. Um Miss­verständ­nis­sen vor­zu­beu­gen, ist mit dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es für die Fra­ge des Schutz­be­reichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht dar­auf an­kommt, ob und in­wie­weit die Ver­schleie­rung für Frau­en von Re­geln des is­la­mi­schen Glau­bens vor­ge­schrie­ben ist. Vor­lie­gend geht es je­doch nicht um die Fra­ge des Schutz­be­reichs, son­dern um die Kon­fliktlösung der wi­der­strei­ten­den Grund­rechts-

 

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po­si­tio­nen nach dem Grund­satz der prak­ti­schen Kon­kor­danz (An­ge­mes­sen­heit). Da­mit wird die in­ne­re Frei­heit, zu glau­ben, nicht berührt. Der Ko­ran als die hei­li­ge Schrift des Is­lams, der zu­sam­men mit den Ha­dit­hen die Sun­na (Über­lie­fe­rung) bil­det, legt Wert auf scham­haf­te Zurück­hal­tung (Es­po­si­to, a. a. O., S. 119), ob­wohl dort an kei­ner Stel­le spe­zi­fi­sche Vor­schrif­ten zur Be­de­ckung des Kop­fes ge­macht wer­den. Zwei Koran­pas­sa­gen lau­ten je­doch wie folgt:

„Su­re 24, Vers 32:
Und sprich zu den gläubi­gen Frau­en, dass sie ih­re Bli­cke zu Bo­den schla­gen und ih­re Keusch­heit wah­ren sol­len und dass sie ih­re Rei­ze nicht zur Schau tra­gen sol­len, bis auf das, was da­von sicht­bar sein muss, und dass sie ih­re Tücher über ih­re Bu­sen zie­hen sol­len und ih­re Rei­ze vor nie­man­den enthüllen als vor ih­ren Gat­ten, oder ih­ren Vätern, oder den Vätern ih­rer Gat­ten, oder ih­ren Söhnen, oder den Söhnen ih­rer Gat­ten, oder ih­ren Brüdern, oder den Söhnen ih­rer Brüder, oder den Söhnen ih­rer Schwes­tern, oder ih­ren Frau­en, oder de­nen, die ih­re Rech­te be­sitzt, oder sol­chen von ih­ren männ­li­chen Die­nern, die kei­nen Ge­schlechts­trieb ha­ben, und den Kin­dern, die von der Blöße der Frau­en nichts wis­sen ...“

„Su­re 33, Vers 60:
Oh Pro­phet! Sprich zu dei­nen Frau­en und zu dei­nen Töchtern und zu den Frau­en der Gläubi­gen, sie sol­len ih­re Tücher tief über sich zie­hen. Das ist bes­ser, da­mit sie er­kannt und nicht belästigt wer­den und Al­lah ist all­ver­zei­hend, barm­her­zig.“ (zi­tiert aus Ko­ran, 7. übe­r­ar­bei­te­te Ta­schen-buch­auf­la­ge, Her­aus­ge­ber: Ver­lag Der Is­lam, 2006).

Die Be­ru­fungs­kam­mer maßt sich nicht an, au­to­ri­siert zu sein, den Ko­ran zu in­ter­pre­tie­ren. Je­doch lässt der Wort­laut der Su­re 24, Vers 32 den Schluss zu, dass je­den­falls ge­genüber Kin­dern („und den Kin­dern, die von der Blöße der Frau­en nichts wis­sen“) wohl ei­ne Aus­nah­me von ei­ner mögli­chen Pflicht zur Be­de­ckung des

 

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Kop­fes be­ste­hen kann. Das kann für die The­se der Be­ru­fungs­kam­mer berück­sich­tigt wer­den.

Für die An­nah­me der Be­ru­fungs­kam­mer, dass das Tra­gen des Kopf­tuchs nicht zum Kern­be­reich der is­la­mi­schen Re­li­gi­on gehört, mag auch die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te vom 15.02.2001 (EGMR 42393/98 - Dah­l­ab/Schweiz, NJW 2871, 2873) spre­chen, wo­nach das Ver­bot des Kopf­tuch­t­ra­gens mit Art. 9 EM­RK ver­ein­bar ist. Mit an­de­ren Wor­ten: Die Kläge­rin wird in ih­rer Glau­bens­frei­heit nur zeit­lich, räum­lich und funk­ti­onsmäßig, mit­hin al­so nur im Rah­men ih­rer ar­beits-ver­trag­lich ge­schul­de­ten Be­rufs­ausübung als Er­zie­he­rin ein­ge­schränkt.

Dem­ge­genüber hat der Staat den Be­reich der Kin­dergärten nicht der ge­sell­schaft­li­chen Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on über­las­sen, son­dern ihn, ähn­lich, wenn auch nicht ganz so in­ten­siv wie den Schul­be­reich, in sei­ne Vor­sor­ge ge­nom­men. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sieht ei­nen Rechts­an­spruch auf den Kin­der­gar­ten­be­such vor. Nach § 22 Abs. 2 SGB VIII soll in den Ein­rich­tun­gen die Ent­wick­lung des Kin­des zu ei­ner ei­gen­ver­ant­wort­li­chen und ge­mein­schaftsfähi­gen Persönlich­keit gefördert, die Er­zie­hung und Bil­dung in der Fa­mi­lie un­terstützt und ergänzt und den El­tern da­bei ge­hol­fen wer­den, Er­werbstätig­keit und Kin­der­er­zie­hung bes­ser mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren zu können. Ent­spre­chen­des ist auch in § 2 Abs. 1 Ki­TaG BW ge­re­gelt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Ki­TaG BW um­fas­sen die­se Auf­ga­ben die Er­zie­hung, Bil­dung und Be­treu­ung des Kin­des zur Förde­rung sei­ner Ge­samt­ent­wick­lung. Im Hin­blick auf die­se der Förde­rung der frühkind­li­chen Ent­wick­lung in Kin­dergärten ge­schul­de­te staat­li­che Ge­samt­kon­zep­ti­on ist für die Kin­der­gar­ten­kin­der die Er­zie­he­rin ih­rer Grup­pe, be­trach­tet man die In­ten­sität der Kon­tak­te und das (ge­rin­ge) Al­ter der Kin­der, ei­ne min­des­tens so wich­ti­ge Be­zugs­per­son wie die Klas­sen­leh­re­rin in der Schu­le. Ei­ne zu­mut­ba­re Aus­weichmöglich­keit zur Rea­li­sie­rung der den El­tern und ih­ren Kin­dern zu­ste­hen­den Grund­rech­ten be­steht nicht. Die Flucht vor der un­erwünsch­ten Glau­bens­be­kun­dung wird tatsächlich schwie­rig oder unmöglich sein. Den El­tern

 

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blie­be in die­sem Fall nur die Möglich­keit, das Kind aus dem Kin­der­gar­ten zu neh­men. Das er­scheint aber ins­be­son­de­re mit Blick auf die er­heb­li­che Förde­rung der frühkind­li­chen Ent­wick­lung in Kin­dergärten nicht zu­mut­bar. Hin­zu­kommt, dass Er­zie­he­rin­nen in Kin­dergärten auf emo­tio­nal und bin­dungsmäßig noch stark be­ein­fluss­ba­re Kin­der tref­fen, die in ih­ren An­schau­un­gen noch nicht ge­fes­tigt sind, Kri­tik­vermögen ge­schwei­ge denn die Aus­bil­dung ei­ge­ner Stand­punk­te erst er­ler­nen sol­len und da­her in ei­ner men­ta­len Be­ein­flus­sung be­son­ders leicht zugäng­lich sind.

dd) Im Er­geb­nis gilt nichts an­de­res für das in Be­tracht kom­men­de all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Kläge­rin gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und die ihr als Deut­sche zu­ste­hen­de Be­rufs­ausübungs­frei­heit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Auch die­sen Grund­rech­ten der Kläge­rin ste­hen die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der be­trof­fe­nen Kin­der nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das el­ter­li­che Er­zie­hungs­recht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 GG und die re­li­giös-welt­an­schau­li­che Neu­tra­litäts­pflicht des Staa­tes ent­ge­gen und ver­drängen die vor­ge­nann­ten Grund­rech­te.

ee) Mit dem Ar­beits­ge­richt ist auch da­von aus­zu­ge­hen, dass § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW nicht ge­gen Eu­ropäisches Ge­mein­schafts­recht oder in sei­ner Um­set­zung er­gan­ge­nes Bun­des­recht im Sin­ne des AGG verstößt. Zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen schließt sich die Be­ru­fungs­kam­mer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG den zu­tref-fen­den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts in­so­weit an. Ergänzend weist die Be­ru­fungs­kam­mer dar­auf hin, dass die­sel­ben Erwägun­gen für ei­ne nach § 8 Abs. 1 AGG ge­recht­fer­tig­te (un­ter­stell­te) Be­nach­tei­li­gung auch für ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung aus Gründen der Re­li­gi­on nach Art. 2 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG gel­ten.

ff) § 7 Abs. 6 Satz 1 Ki­TaG BW steht auch im Ein­klang mit Art. 9 EM­RK. Der mit dem Ver­hal­tens­ge­bot ver­bun­de­ne Ein­griff in die Re­li­gi­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 1 EM­RK ist nach sei­nem Abs. 2 ge­recht­fer­tigt.

aa) Nach Art. 9 Abs. 2 EM­RK, die Kon­ven­ti­on ist als völker­recht­li­cher Ver­trag durch Ra­ti­fi­zie­rung vom 07.08.1952 (BGBl. II S. 585) für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­bind­lich, darf die Frei­heit, sei­ne Re­li­gi­on zu be­ken­nen, nur Ein­schränkun­gen un­ter­wor­fen wer­den, die ge­setz­lich vor­ge­se­hen und in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig sind für die öffent­li­che Si­cher­heit, zum Schutz der öffent­li­chen Ord­nung, Ge­sund­heit oder Mo­ral oder zum Schutz der Rech­te und

 

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Frei­hei­ten an­de­rer. Dem­ent­spre­chend ist der Ein­griff in die Re­li­gi­ons­frei­heit nach dem Maßstab der Verhält­nismäßig­keit zu be­ur­tei­len (Mey­er-La­de­wig, Eu-ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, 2. Auf­la­ge, Art. 9 Rn. 8).

bb) In­so­fern und in­so­weit wird auf die vor­ste­hen­den Ausführun­gen zur Verhält­nis-mäßig­keitsprüfung im Rah­men der kol­li­die­ren­den Ver­fas­sungs­rechtsgüter ver-wie­sen (vgl. auch da­zu Eu­ropäischer Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te vom 15.02.2001 - 42393/98 - a. a. O.; Eu­ropäischer Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te vom 10.11.2005 - 44774/98 - [Ley­la Sa­hin/Türkei], NJW 2006, 1389).

B

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Be­ru­fungs­kam­mer hat die Re­vi­si­on für die Kläge­rin zu­ge­las­sen, weil sie das Vor­lie­gen ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung be­jaht hat, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

1. Ge­gen die­ses Ur­teil kann d. Kläg. nach Maßga­be ih­rer Zu­las­sung im Ur­teils­te­nor schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt
Hu­go-Preuß-Platz 1
99084 Er­furt

ein­ge­hen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,

 

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b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

2. Für d. Bekl. ist ge­gen die­ses Ur­teil ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf § 72a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

gez. Pfeif­fer  

gez. Ha­ber­maas  

gez. Herr­mann

Hin­weis:
Die Geschäfts­stel­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts wünscht die Vor­la­ge der Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Fer­ti­gung, für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re Mehr­fer­ti­gung.

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