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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/056

Ar­beits­zeug­nis - Be­weis­last beim Streit um die No­te

Klagt der Ar­beit­neh­mer auf Ver­bes­se­rung sei­ner Zeug­nis­no­te von be­frie­di­gend auf gut, muss der Ar­beit­ge­ber be­wei­sen, dass die Leis­tun­gen nicht gut wa­ren: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 26.10.2012, 28 Ca 18230/11
Hammer für Auktion oder Gerichtssaal Müs­sen Ar­beit­ge­ber künf­tig die No­te "be­frie­di­gend" vor Ge­richt be­grün­den?

08.03.2013. Wer als Ar­beit­neh­mer mit sei­ner Zeug­nis­no­te nicht ein­ver­stan­den ist, kann vor Ge­richt zie­hen und den (Ex-)Ar­beit­ge­ber dar­auf ver­kla­gen, die Zeug­nis­no­te zu ver­bes­sern, z.B. von der No­te "be­frie­di­gend" auf die No­te "gut" oder "sehr gut".

Wie im­mer bei Ge­richts­pro­zes­sen kommt es auch bei ei­ner Zeug­nis­be­rich­ti­gungs­kla­ge dar­auf an, wer für wel­che Um­stän­de die Be­weis­last trägt. Und bei Kla­gen auf Zeug­nis­be­rich­ti­gung ge­hen die Ar­beits­ge­rich­te seit vie­len Jah­ren da­von aus, dass der Ar­beit­neh­mer sei­ne über­durch­schnitt­li­chen Leis­tun­gen be­wei­sen muss, will er vor Ge­richt ein über­durch­schnitt­li­ches Zeug­nis durch­bo­xen.

Von die­ser Li­nie ist das Ar­beits­ge­richt Ber­lin in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers ab­ge­wi­chen: Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 26.10.2012, 28 Ca 18230/11.

Was ist die rich­ti­ge No­te für ein Ar­beits­zeug­nis, "be­frie­di­gend" oder "gut", und muss was be­wei­sen?

Gemäß § 109 Abs.1 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) hat der Ar­beit­neh­mer bei Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf ein schrift­li­ches Zeug­nis.

Das Zeug­nis muss min­des­tens An­ga­ben zu Art und Dau­er der Tätig­keit (ein­fa­ches Zeug­nis) ent­hal­ten. Der Ar­beit­neh­mer kann aber auch ver­lan­gen (und das tun prak­tisch al­le Ar­beit­neh­mer), dass sich die An­ga­ben auf Leis­tung und Ver­hal­ten im Ar­beits­verhält­nis er­stre­cken. Dann spricht man von ei­nem qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis.

Strei­ten Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer über ein Ar­beits­zeug­nis, geht es in al­ler Re­gel um ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis. Und weil der Ar­beit­neh­mer ei­nen klag­ba­ren An­spruch auf ein sol­ches Zeug­nis hat, könn­te er sich ei­gent­lich bei ei­nem Ge­richts­pro­zess um die Zeug­nis­no­te zurück­leh­nen und den Ar­beit­ge­ber be­wei­sen las­sen, dass ein Zeug­nis mit ei­ner schlech­te­ren No­te als "sehr gut" kor­rekt ist.

Denn an­dern­falls hätte der Ar­beit­ge­ber den Zeug­nis­an­spruch ja nicht ord­nungs­gemäß erfüllt. Und nur dann könn­te er vor Ge­richt ein­wen­den, dass er mit dem von ihm er­teil­ten Zeug­nis, das z.B. der No­te "be­frie­di­gend" oder "gut" ent­spricht, den An­spruch des Ar­beit­neh­mers erfüllt hat.

So läuft es aber vor Ge­richt nicht. Denn die Ar­beits­ge­rich­te ver­tei­len die Dar­le­gungs- und Be­weis­last bei Kla­gen auf Zeug­nis­be­rich­ti­gung ab­wei­chend von den all­ge­mei­nen Grundsätzen in fol­gen­der Wei­se:

Er­teilt der Ar­beit­ge­ber ein un­ter­durch­schnitt­li­ches Zeug­nis, d.h. ein Zeug­nis mit der No­te "aus­rei­chend" oder "man­gel­haft", muss er dar­le­gen und be­wei­sen, dass der Ar­beit­neh­mer un­ter­durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen er­bracht hat. Will der Ar­beit­neh­mer da­ge­gen ein Zeug­nis mit der No­te "gut" oder gar "sehr gut", muss er dar­le­gen und be­wei­sen, dass er über­durch­schnitt­li­che Leis­tun­gen ge­zeigt hat.

Prak­tisch ge­se­hen läuft das dar­auf hin­aus, dass der Ar­beit­ge­ber auf der si­che­ren Sei­te ist, wenn er ein Zeug­nis mit der No­te "be­frie­di­gend" aus­stellt, wenn er dem Ar­beit­ge­ber al­so be­schei­nigt, dass er "stets zu un­se­rer Zu­frie­den­heit" oder "zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit" ge­ar­bei­tet hat. Denn dann muss sich der Ar­beit­neh­mer vor Ge­richt ab­stram­peln und das Ge­richt von sei­nen über­durch­schnitt­li­chen Leis­tun­gen über­zeu­gen. Und das ist sehr schwer.

Der Streit­fall: Arzt­hel­fe­rin möch­te ein Zeug­nis mit der No­te "gut"

In dem vom Ar­beits­ge­richt Ber­lin ging es um ei­ne Arzt­hel­fe­rin, die nach Be­en­di­gung ih­rer Tätig­keit ein Zeug­nis mit der zu­sam­men­fas­sen­den Be­wer­tung ih­rer Leis­tun­gen "stets zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit" ver­lang­te.

Der Ar­beit­ge­ber war da­zu frei­wil­lig nicht be­reit, son­dern hielt dar­an fest, dass das von ihm er­teil­te Zeug­nis rich­tig sei. In die­sem hat­te er die Leis­tun­gen der Arzt­hel­fe­rin mit ei­ner mit­telmäßigen No­te be­wer­tet ("zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit").

Ar­beits­ge­richt Ber­lin: Klagt der Ar­beit­neh­mer auf ein Zeug­nis mit der No­te "gut", muss der Ar­beit­ge­ber be­wei­sen, dass der Ar­beit­neh­mer schlech­te­re Leis­tun­gen er­bracht hat

Das Ar­beits­ge­richt gab der Arzt­hel­fe­rin recht und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zur Be­rich­ti­gung des Zeug­nis­ses.

Da­bei be­rief es sich auf ei­nen Auf­satz, den der ehe­ma­li­ge Vor­sit­zen­de des neun­ten Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) Prof. Düwell En­de 2011 zu­sam­men mit dem Ko­au­tor Dahl in der Neu­en Zeit­schrift für Ar­beits­recht (NZA) veröffent­licht hat­te. In die­sem Auf­satz wird ei­ne em­pi­ri­sche Stu­die von Wis­sen­schaft­lern der Uni­ver­sität Nürn­berg-Er­lan­gen vom Mai 2011 be­spro­chen. Die Au­to­ren der Stu­die ha­ben 802 Ar­beits­zeug­nis­se un­ter­sucht und ka­men zu dem we­nig über­ra­schen­den Er­geb­nis, dass die gu­ten oder sehr gu­ten No­ten deut­lich in der Mehr­zahl wa­ren.

Soll heißen: Die No­te "be­frie­di­gend" be­fin­det sich zwar auf der No­ten­ska­la von gut bis man­gel­haft ge­nau in der Mit­te, aber der fak­ti­sche No­ten­durch­schnitt liegt darüber. Ge­nau­er ge­sagt ent­hal­ten 86,6 Pro­zent der un­ter­such­ten Zeug­nis­se ein Leis­tungs­be­wer­tung, die der No­te "gut" oder "sehr gut" ent­spricht.

Dar­aus wie­der­um lei­te­te das Ar­beits­ge­richt Ber­lin fol­gen­den all­ge­mei­nen Grund­satz ab (Leit­satz 2):

"An­ge­sichts ak­tu­el­ler em­pi­ri­scher Er­kennt­nis­se, wo­nach mitt­ler­wei­le in 86,6 v. H. der er­teil­ten Ar­beits­zeug­nis­se "gu­te" oder bes­se­re Leis­tun­gen be­schei­nigt wer­den (s. da­zu Düwell/Dahl, NZA 2011, 958), kann dem Ar­beit­neh­mer nicht länger der Nach­weis dafür auf­er­legt wer­den, er sei in die Grup­pe der schwächs­ten 13,4 v. H. al­ler Beschäftig­ten zu Un­recht ein­ge­reiht wor­den."

Ob das Ur­teil rich­tig ist, darüber kann man strei­ten. Denn letzt­lich würde es dar­auf hin­aus­lau­fen, dass sich je­der Ar­beit­neh­mer vor Ge­richt oh­ne großen Auf­wand ei­ne Auf­bes­se­rung sei­nes Zeug­nis­ses auf die No­te "gut" er­strei­ten könn­te. Wer sich da­ge­gen mit ei­nem Ar­beits­zeug­nis ab­fin­den würde, das ihm ei­ne "be­frie­di­gen­de" Leis­tung be­schei­nigt, wäre künf­tig der Dum­me. Denn ei­ne so "schlech­te" No­te müss­te man sich nur aus trif­ti­gen Gründen, d.h. bei un­ter­durch­schnitt­li­cher Leis­tung ge­fal­len las­sen.

Das wie­der­um würde aus ei­ner be­frie­di­gen­den No­te ("stets zu un­se­rer Zu­frie­den­heit" oder "zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit") recht­lich ge­se­hen ei­ne un­ter­durch­schnitt­li­che No­te ma­chen, d.h. das No­ten­spek­trum würde sich bei Ar­beits­zeug­nis­sen auf die No­ten "sehr gut" (= über­durch­schnitt­lich), "gut" (= mit­telmäßig") und "be­frie­di­gend" (= schlecht bzw. un­ter­durch­schnitt­lich) ver­en­gen.

Da­durch würde die "In­fla­ti­on der Zeug­nis­no­ten" wei­ter an­ge­heizt. Vor­aus­sicht­lich würde sich dann in ei­ni­gen Jah­ren er­neut die Fra­ge stel­len, ob man es sich ge­fal­len las­sen muss, mit der No­te "gut" ab­ge­speist zu wer­den.

Fa­zit: Über das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin kann man zwar strei­ten, doch kann man ihm im­mer­hin zu­gu­te hal­ten, sich mit dem Pro­blem aus­ein­an­der­zu­set­zen, dass Ar­beit­neh­mer der­zeit nur ge­rin­ge Chan­cen ha­ben, ei­ne dem tatsächli­chen No­ten­durch­schnitt (= No­te "gut") ent­spre­chen­de Be­wer­tung ih­rer Leis­tun­gen vor Ge­richt durch­zu­set­zen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg über den Fall ent­schie­den und sich der Mei­nung des Ar­beits­ge­richts Ber­lin an­ge­schlos­sen. Im wei­te­ren Ver­lauf des Rechts­strei­tes war auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit dem Fall be­fasst und hat das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg und des Ar­beits­ge­richts Ber­lin auf­ho­ben. Nach dem Ur­teil des BAG ist die durch­schnitt­li­che Zeug­nis­no­te recht­lich wei­ter­hin die No­te be­frie­di­gend. In­for­ma­tio­nen zu den Ur­tei­len des LAG Ber­lin-Bran­den­burg und des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. April 2020

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