Update Arbeitsrecht 04|2023 vom 22.02.2023
Entscheidungsbesprechungen
BAG: Vertragsfreiheit ist keine Rechtfertigung für ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21
Frauen haben Anspruch auf das Entgelt, das der Arbeitgeber männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit zahlt.
§§ 3, 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG); §§ 15, 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); Art.157 Abs.1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß Art.157 Abs.1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stellt jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.
Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht, d.h. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können darauf Ansprüche gegen den Arbeitgeber stützen.
In Deutschland wird Art.157 Abs.1 AEUV durch eine Reihe von gesetzlichen Regelungen konkretisiert.
So schreibt § 3 Abs.1 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) vor, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Benachteiligungen wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten sind.
Außerdem enthält § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Beweiserleichterung für Betroffene einer möglichen, vor Gericht streitigen Diskriminierung. Beweist der Kläger Indizien, die eine Benachteiligung z.B. wegen des Geschlechts vermuten lassen, trägt der Beklagte die Beweislast dafür, dass keine Diskriminierung vorlag.
Dazu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor zwei Jahren entschieden, dass Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen als solche ein Indiz für eine geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung sein können (BAG, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19, s. dazu Update Arbeitsrecht 03|2021).
Wie viele besser bezahlte gegengeschlechtliche Vergleichsarbeitnehmer für den Nachweis einer Lohnbenachteiligung „wegen“ des Geschlechts erforderlich sind, hat das BAG bislang allerdings nicht konkret deutlich gemacht.
In einem aktuellen Dresdener Streitfall genügte den Erfurter Richtern ein einziger besser bezahlter männlicher Vergleichsarbeitnehmer. Er hatte bei seiner Einstellung erfolgreicher verhandelt als seine Kollegin, so der Arbeitgeber.
Dieses Argument ließ das BAG nicht gelten: Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21 (Pressemitteilung des Gerichts).
Sachverhalt
Eine Vertriebsangestellte hatte ihren Arbeitgeber, ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, auf weiteres Gehalt und Diskriminierungsentschädigung wegen Lohndiskriminierung verklagt.
Die Angestellte war zu Anfang März 2017 für ein Grundgehalt von 3.500,00 EUR brutto eingestellt worden, während ein zwei Monate zuvor eingestellter männlicher Vertriebsmitarbeiter ein Grundgehalt von 4.500,00 EUR ausgehandelt hatte.
Ab November 2017 war das Grundgehalt der beiden Vertriebler dann vorübergehend wieder gleich. Dann endete die Einarbeitungszeit des männlichen Kollegen und er erhielt wegen einer zusätzlichen erfolgsabhängigen Vergütungskomponente ein verringertes Grundgehalt von 3.500,00 EUR brutto, d.h. ebenso viel wie seine Kollegin.
Im Juli 2018 zog das Grundgehalt des männlichen Kollegen wieder an dem der Angestellten vorbei, denn es wurde von 3.500,00 EUR auf 4.000,00 EUR aufgestockt.
Ab August 2018 galt ein Firmentarifvertrag, den das Unternehmen zugunsten des männlichen Mitarbeiters in der Weise anwandte, dass es ihm ein Grundentgelt von 4.120,00 EUR brutto zahlte.
Die Vertriebsangestellte bekam dagegen 500,00 EUR weniger, d.h. eine Gehaltserhöhung von nur 120,00 EUR bzw. monatlich als erhöhtes Gehalt nur 3.620,00 EUR. Denn der Tarifvertrag sah folgende Übergangsregelung vor:
„Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“.
Unter Berufung auf diese Deckelungsregelung erhöhte das Unternehmen das Grundgehalt der Vertriebsangestellten ab August 2018 von bislang 3.500,00 EUR auf (nur) 3.620,00 EUR brutto.
Die Vertriebsangestellte klagte auf Lohndifferenz von monatlich 1.000,00 EUR brutto für die Zeit von März bis Oktober 2017, von 500,00 EUR für Juli 2018 sowie von monatlich 500,00 EUR brutto für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019.
Das Arbeitsgericht Dresden (Urteil vom 04.10.2019, 5 Ca 638/19) und das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage ab (Sächsisches LAG, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21). Nach Ansicht des LAG war das acht Monate lang um 1.000,00 EUR höhere Grundentgelt des männlichen Vertrieblers durch das Ziel der Mitarbeitergewinnung gerechtfertigt (LAG, Leitsatz 4.).
Entscheidung des BAG
Das BAG gab der Zahlungsklage der Angestellten statt und verurteilte das Unternehmen außerdem zur Zahlung einer Diskriminierungsentschädigung von 2.000,00 EUR gemäß § 15 Abs.2 AGG. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden BAG-Pressemitteilung:
Der Arbeitgeber hatte die Vertriebsangestellte von März bis Oktober 2017 und auch im Juli 2018 aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Denn er hatte ihr, obgleich sie und ihr männlicher Kollege die gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt.
Daher hatte die Vertriebsangestellte Anspruch auf Nachzahlung der Gehaltsdifferenz auf der Grundlage von Art.157 AEUV und von §§ 3 Abs.1; § 7 EntgTranspG.
Die (unstreitige) Tatsache, dass die Vertriebsangestellte für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt bekam als ihr männlicher Kollege, führte zur Vermutung einer Diskriminierung im nach § 22 AGG, d.h. es war zu vermuten, dass die geringere Bezahlung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist.
Dem Arbeitgeber war es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere, so das BAG, konnte er sich für die Zeit von März bis Oktober 2017 nicht darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe eben darauf, dass er es mit Erfolg in dieser Höhe ausgehandelt hatte.
Ab August 2018 ergab sich der streitige Gehaltsanspruch bereits aus dem Tarifvertrag. Die Deckelungsregelung war auf die Klägerin gar nicht anwendbar. Sie hatte nämlich vor Einführung des Tarifvertrags kein tarifliches, sondern vielmehr ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten.
Praxishinweis
Das Urteil des BAG macht deutlich, dass der Lohngleichheitsgrundsatz im außertariflichen Bereich mit der Arbeitsvertragsfreiheit nicht wirklich zusammenpasst.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen werden die Vorgaben des BAG entweder gar nicht umsetzen können oder nur in der Weise, dass man auch „außertarifliche“ Verträge auf der Grundlage tarifvertragsähnlicher Gehaltsgruppen abschließt. Letztlich müssten Arbeitgeber bei der Einstellung Vergütungstabellen verwenden, von denen man weder nach unten noch nach oben abweichen darf.
Gehaltsvereinbarungen „aus dem Bauch“ heraus, die nach traditionellem Rechtsverständnis von der Vertragsfreiheit gedeckt sind, sind dagegen nicht mehr möglich. Sie sind zwar theoretisch zulässig, aber immer mit der Gefahr verbunden, sich in Abhängigkeit von der aktuellen Personalsituation ungewollt diskriminierend auszuwirken.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21 (Pressemitteilung des Gerichts)
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19
Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
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