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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 08|2023

Update Arbeitsrecht 08|2023 vom 19.04.2023

Entscheidungsbesprechungen

LAG Köln: Außerordentliche Eigenkündigung einer Führungskraft wegen Verweigerung vertragsgemäßer Beschäftigung

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 24.01.2023, 4 SaGa 16/22

Untersagt der Arbeitgeber einer Führungskraft jegliche Kommunikation über ihre Aufgaben, sowohl mit externen als auch mit betriebsinternen Personen, verletzt er damit den Beschäftigungsanspruch der Führungskraft.

§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 60 Abs.1 Handelsgesetzbuch (HGB)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 626 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, die dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Befristung unzumutbar machen.

Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, und es sind die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. 

Besteht der wichtige Grund für eine mögliche Kündigung in einem Pflichtverstoß des Vertragspartners, ist eine fristlose Kündigung im Allgemeinen erst nach einer vorherigen erfolglosen Abmahnung zulässig.

Denn wenn die Vertragsstörung, die durch einen Pflichtverstoß der Gegenpartei entstanden ist, auch durch eine Abmahnung korrigiert bzw. künftig beseitigt werden kann, d.h. durch ein im Vergleich zu einer Kündigung milderes Mittel, wäre eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.

In einem aktuellen Fall musste das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln über die fristlose Eigenkündigung einer Führungskraft und stellvertretenden Geschäftsführerin entscheiden, die diese nach einer wochenlangen einseitigen Freistellung erklärt hatte: LAG Köln, Urteil vom 24.01.2023, 4 SaGa 16/22.

Sachverhalt

Ein Fernsehproduktionsunternehmen bestellte im März 2020 eine neue Geschäftsführerin, die mit der bisherigen stellvertretenden Geschäftsführerin über die inhaltliche Ausrichtung der Produktionen in Streit geriet.

Die seit 2007 im Unternehmen tätige stellvertretende Geschäftsführerin war zugleich als Creative Director für 20 bis 30 Mitarbeiter verantwortlich. Sie bezog ein Gehalt von 12.500,00 EUR brutto.

Mit Dienstanweisung vom 19.08.2022 teilte der Arbeitgeber der seit gut einer Woche erkrankten Angestellten mit, dass sie „mit sofortiger Wirkung für kein Projekt mehr verantwortlich“ sei. Außerdem untersagte er ihr sämtliche Kommunikation zu laufenden Projekten und zu aktuellen Entwicklungen im Unternehmen „vor allem mit Kunden und Dienstleistern, aber auch mit freien und festen Mitarbeitern“

In einer weiteren E-Mail vom 01.09.2022 warf das Unternehmen ihr das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit vor und meinte, das Vertrauensverhältnis sei „derart zerstört, dass auch aus der Sicht der neuen Geschäftsführung eine weitere Zusammenarbeit nicht denkbar erscheint“

Mit E-Mail vom 06.09.2022 stellte der Arbeitgeber die mittlerweile genesene Angestellte widerruflich frei, da man über einen Aufhebungsvertrag sprechen wollte. 

Nachdem diese Gespräche zu keinem Ergebnis geführt hatten, sprach die Angestellte dem Arbeitgeber über einen Anwalt mit Schreiben vom 13.09.2022 eine Abmahnung aus.

Darin forderte der Anwalt der Angestellten u.a., die Dienstanweisung vom 19.08.2022 sowie die Freistellung vom 06.09.2022 zurückzunehmen, der Angestellten mitzuteilen, für welche Projekte sie künftig verantwortlich sei, und ihr wieder Zugang zur betrieblichen IT und zu Kommunikationsmitteln zu eröffnen. Für den Fall der Erfolglosigkeit der Abmahnung wurde eine außerordentliche Kündigung in Aussicht gestellt.

Am 14.09.2022 (Mittwoch) forderte der Arbeitgeber die Angestellte auf, am folgenden Montag zur Besprechung an einem außerhalb des Betriebs gelegenen Ort zu erscheinen, um mit der Geschäftsführung „den zukünftigen Aufgabenbereich zu besprechen“

Nachdem die Angestellte den Termin über ihren Anwalt absagt und vergeblich darum gebeten hatte, ihr den zukünftigen Aufgabenbereich zunächst kurz schriftlich mitzuteilen, forderte der Arbeitgeber sie nochmals mit Schreiben vom 26.09.2022 (Montag) zur Besprechung am 28.09.2022 (Mittwoch) auf. 

Auch dieser Aufforderung leistete die Angestellte keine Folge, sondern sprach am 30.09.2022 eine fristlose Eigenkündigung aus, die dem Unternehmen am 04.10.2022 zuging.

Ab November 2022 arbeitete sie als Geschäftsführerin eines anderen Fernsehproduktionsunternehmens, das im Wettbewerb mit ihrem (Ex-)Arbeitgeber stand.

Der zog vor das Arbeitsgericht Köln, um seiner (Ex-)Angestellten durch eine einstweilige Verfügung diese Tätigkeit untersagen zu lassen.

Aus seiner Sicht war die fristlose Eigenkündigung unwirksam. Daher war die (Ex-)Angestellte für die Dauer der vertraglichen sechsmonatigen Kündigungsfrist, d.h. bis Ende April 2023 an das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot gebunden, so der Arbeitgeber.

Das Arbeitsgericht Köln wies den Eilantrag zurück (Urteil vom 25.10.2022, 16 Ga 60/22).

Entscheidung des LAG Köln

Auch vor dem LAG hatte der Arbeitgeber keinen Erfolg. Das LAG kam wie das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass die fristlose Kündigung der Angestellten wirksam war.

Daher bestand nach dem 04.10.2022, dem Tag des Zugangs der fristlosen Kündigung, zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr. Demzufolge konnte sich das klagende Unternehmen nicht auf § 60 Abs.1 Handelsgesetzbuch (HGB) berufen. 

Nach dieser Vorschrift, die unmittelbar nur für kaufmännische Angestellte, sinngemäß aber für alle Arbeitnehmer gilt, ist es Arbeitnehmern untersagt, ohne Einwilligung des Arbeitgebers in dessen Geschäftszweig für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte zu machen. Dieses sog. arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot endet mit Ablauf des Arbeitsverhältnisses, vorliegend daher mit Ablauf des 04.10.2022.

Die fristlose Kündigung war wirksam, so das LAG, denn die Angestellte hatte den vollständigen Entzug sämtlicher Arbeitsaufgaben mit Dienstanweisung vom 19.08.2022 sowie die am 06.09.2022 erklärte Freistellung mit Schreiben vom 13.09.2022 abgemahnt, worauf der Arbeitgeber allerdings nicht angemessen reagiert hatte.

Er hatte die Angestellte zwar mit zwei Schreiben vom September 2022 kurzfristig zu einer Besprechung eingestellt, angeblich zur Besprechung künftige Arbeitsaufgaben, doch glaubte das LAG dem Arbeitgeber eine solche Absicht nicht. 

Denn er hatte durch sein vorheriges Verhalten deutlich gemacht, kein Interesse mehr an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu haben. Dieses Verhalten stand im Widerspruch zu dem angeblichen Willen, eine weitere Beschäftigung zu ermöglichen. 

Die Angestellte durfte daher aufgrund der erheblichen Pflichtverstöße des Arbeitgebers nach vorheriger Abmahnung fristlos kündigen. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen stellt das LAG darauf ab, dass der Arbeitgeber kein nachhaltiges Interesse an einer vertragsgerechten Beschäftigung der Angestellten hatte.

Praxishinweis

Dem LAG ist zuzustimmen. Die nach der Abmahnung zweimal erklärten Aufforderungen, zu einem Gespräch zu erscheinen, konnten die vorherigen massiven Vertragsverletzungen nicht beseitigen, und sollten dies offenbar auch gar nicht.

Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist zu raten, auch bei erheblichen Pflichtverletzungen vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung im Zweifel eine vorherige Abmahnung auszusprechen.

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 24.01.2023, 4 SaGa 16/22

 

Handbuch Arbeitsrecht: Abmahnung

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