Update Arbeitsrecht 18|2023 vom 06.09.2023
Entscheidungsbesprechungen
LAG Berlin-Brandenburg: Information des Betriebsrats über Vorstrafen bei geplanten Beförderungen
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2023, 26 TaBV 920/22
Arbeitgeber müssen dem Betriebsrat im Rahmen eines Antrags nach § 99 BetrVG nur dann Vorstrafen mitteilen, wenn sich aus ihnen Rückschlüsse auf die fachliche Eignung oder eine mögliche Gefährdung des Betriebsfriedens ergeben.
§§ 95 Abs.3; 99; 101 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Rechtlicher Hintergrund
Arbeitgeber sind in Unternehmen mit mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern verpflichtet, den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, § 99 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Das gilt auch bei geplanten (dauerhaften) Beförderungen, da diese eine Versetzung im Sinne von §§ 95 Abs.3 Satz 1; 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG darstellen.
Dabei müssen sie dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen und ihm Auskunft über die Person der Beteiligten und die Auswirkungen der geplanten Maßnahme geben. Auf dieser Grundlage ist die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.
Wird der Betriebsrat in dieser Weise, d.h. ordnungsgemäß informiert, kann er der geplanten Maßnahme innerhalb einer Woche nach der Unterrichtung widersprechen, wenn er dafür einen gesetzlichen Widerspruchsgrund im Sinne von § 99 Abs.2 BetrVG sieht, auf den er sich unter Angabe von Gründen berufen muss.
Fraglich ist, ob der Betriebsrat bei einer geplanten Beförderung verlangen kann, dass der Arbeitgeber ihn im Rahmen der Unterrichtung gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG über etwaige strafrechtliche Verurteilungen des Beförderungskandidaten informiert.
Zu dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg in einer aktuellen Entscheidung positioniert: LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2023, 26 TaBV 920/22.
Sachverhalt
Der Betreiber eines Berufsförderungswerks stritt sich mit seinem Betriebsrat vor dem Arbeitsgericht über die Frage, ob er die Beförderung eines Mitarbeiters zum Bereichsleiter auf Antrag des Betriebsrats aufheben müsste.
Eine solche gerichtliche Anordnung sieht § 101 Satz 1 BetrVG vor, wenn der Arbeitgeber eine zustimmungspflichtige personelle Maßnahme wie z.B. eine Beförderung ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführt.
Das war nach Ansicht des Betriebsrats der Fall. Denn er war zwar am 22.03.2022 (Dienstag) über die geplante Beförderung unterrichtet worden, hatte aber am 24.03.2022 (Donnerstag) vom Arbeitgeber weitere Informationen über die Vorstrafen des Kandidaten erbeten. Konkret wollte er eine Liste aller Verurteilungen und einen aktuellen Auszug aus dem Führungszeugnis.
Das lehnte der Arbeitgeber mit Schreiben vom selben Tag ab. Denn er bewertete die vom Betriebsrat genannten Vorstrafen, die teilweise über zehn Jahre zurücklagen, als unerheblich für die zu besetzende Stelle. Dabei ging es um Verurteilungen wegen Untreue sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Der Betriebsrat widersprach der Beförderung bzw. der Versetzung schriftlich am 01.04.2022 (Freitag), d.h. erst zehn Tage nach der ersten Unterrichtung durch den Arbeitgeber.
Dabei berief er sich auf den Widerspruchsgrund des § 99 Abs.2 Nr.6 BetrVG, d.h. eine mögliche Störung des Betriebsfriedens durch gesetzwidriges Verhalten des beförderten Mitarbeiters.
Das Arbeitsgericht Neuruppin wies den Antrag des Betriebsrats zurück (Beschluss vom 27.07.2022, 5 BV 4/22). Denn der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat bereits mit dem ersten Schreiben vom 22.03.2022 ausreichend informiert, so das Arbeitsgericht. Auf die vom Betriebsrat erbetenen weiteren Auskünfte zu den Vorstrafen des beförderten Mitarbeiters kam es nicht an, so das Arbeitsgericht. Daher hatte der Betriebsrat seinen Widerspruch erst nach Ablauf der gesetzlichen Wochenfrist (§ 99 Abs.3 BetrVG) und damit verspätet eingelegt.
Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
So sah es auch das LAG, das daher die Beschwerde des Betriebsrats zurückwies.
Die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber am 22.03.2022 war ordnungsgemäß im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG, auch wenn darin die vom Betriebsrat zwei Tage später erbetenen Informationen zu den Vorstrafen nicht enthalten waren. Zu diesen Informationen war der Arbeitgeber im Streitfall nicht verpflichtet.
Denn der Arbeitgeber muss ihm bekannte Vorstrafen eines Bewerbers oder Beförderungskandidaten nur dann dem Betriebsrat mitteilen, wenn sich aus ihnen Rückschlüsse auf die fachliche Eignung oder eine mögliche Gefährdung des Betriebsfriedens im Sinne von § 99 Abs.2 Nr.6 BetrVG ergeben.
An dieser Stelle zieht das LAG eine Parallele zum Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung. Auch bei Bewerberinterviews sind nur Fragen zu solchen Vorstrafen zulässig, die einen konkreten Bezug zu den künftigen Aufgaben des Bewerbers haben.
So können Kraftfahrer nach Verurteilungen wegen Verkehrsdelikten gefragt werden, Buchhalter und kaufmännische Angestellte nach Verurteilungen wegen Vermögensdelikten oder Erzieher nach Verurteilungen wegen Sittlichkeitsdelikten. Ein allgemeines, d.h. auf sämtliche denkbaren Vorstrafen bezogenes Fragerecht bei der Einstellung gibt es dementsprechend nicht.
Vor diesem Hintergrund kam es im Streitfall auf die hier gegebenen Vorstrafen des Beförderungskandidaten nicht an, d.h. sie hatten keinen erkennbaren Bezug zu seinen Aufgaben als Bereichsleiter. Der Arbeitgeber war daher nicht verpflichtet, dem Betriebsrat darüber Auskunft zu erteilen.
Als Bereichsleiter musste der beförderte Arbeitnehmer zwar Führungsaufgaben wahrnehmen, doch hatte er keine Kompetenzen in vermögensrechtlichen Angelegenheiten. Auch mit dem Straßenverkehr hatte die Bereichsleiterposition nichts zu tun.
Praxishinweis
Dem LAG ist zuzustimmen. Der Arbeitgeber war im Streitfall korrekt vorgegangen und sich zurecht schützend vor die Privatsphäre des Beförderungskandidaten gestellt.
Aufgrund des fehlenden Bezugs der hier fraglichen Vorstrafen zu den Aufgaben eines Bereichsleiters war auch die vom Betriebsrat gegebene Widerspruchsbegründung nicht überzeugend. Es gab keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beförderungskandidat künftig, d.h. nach seiner Beförderung, in einer gesetzeswidrigen Weise verhalten würde.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2023, 26 TaBV 920/22
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