Update Arbeitsrecht 11|2022 vom 01.06.2022
Leitsatzreport
BAG: Wettbewerbsverbot mit zu weitgehender Anrechnungsregelung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2021, 8 AZR 498/20
§§ 74 Abs.2; 74c Abs.1; 75d Satz 1 Handelsgesetzbuch (HGB); § 110 Gewerbeordnung (GewO)
Leitsatz des Gerichts:
Eine vertragliche Vereinbarung, die eine über die Vorgaben des § 74c Abs.1 HGB hinausgehende Anrechnung eines vom Arbeitnehmer in der Karenzzeit durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erzielten oder aufgrund böswilligen Unterlassens nicht erzielten Erwerbs auf die Karenzentschädigung vorsieht, führt nicht zur Unverbindlichkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots insgesamt, sondern nach § 75d Satz 1 HGB nur dazu, dass die vertragliche Anrechnungsvereinbarung insoweit für den Arbeitnehmer unverbindlich ist, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs.1 Satz 1 HGB hinausgeht.
Hintergrund:
Arbeitsverträge können um ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ergänzt werden. Dann darf der Arbeitnehmer nach seinem Ausscheiden dem Ex-Arbeitgeber keine Konkurrenz machen und erhält dafür eine Karenzentschädigung, die mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen betragen muss. Eine Unterschreitung der Mindestentschädigung macht das Wettbewerbsverbot gemäß § 74 Abs.2 Handelsgesetzbuch (HGB) „unverbindlich“. Dann kann Arbeitnehmer wählen, ob er mit der geringeren Entschädigung leben kann und das Verbot beachten möchte - oder ob er das Verbot lieber nicht einhält. Ein anderweitiger Verdienst ist auf die Entschädigung nur anrechenbar, wenn beides zusammen die zuletzt bezogenen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde, § 74c Abs.1 Satz 1 HGB. Im Streitfall hatte sich eine angestellte Zahnärztin zu einem Wettbewerbsverbot verpflichtet, wobei der Vertrag eine über § 74c Abs.1 Satz 1 HGB hinausgehende Anrechnung enthielt. Danach war jeder anderweitig erzielte und sogar „böswillig“ unterlassener Verdienst voll anzurechnen. Nach Vertragsende hielt sich die Zahnärztin an das Wettbewerbsverbot und klagte auf die (höhere) Karenzentschädigung entsprechend der gesetzlichen Anrechnungsregelung des § 74c Abs.1 Satz 1 HGB. Der Ex-Arbeitgeber meinte, dass die gesetzeswidrig vereinbarte - übermäßige - Anrechnung des Zwischenverdienstes zur Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots führe. Daher hätte die Zahnärztin nur die Wahl, sich entweder an das Verbot zu halten und die geringere Entschädigung zu kassieren - oder das Verbot insgesamt zu ignorieren. Falsch, so das Bundesarbeitsgericht (BAG): Das Verbot war für beide Parteien (!) verbindlich. Und statt der gesetzeswidrigen, zu weit gehenden Anrechnung galt gemäß § 75d Satz 1 HGB die für die Zahnärztin günstigere gesetzliche Regelung des § 74c Abs.1 HGB.
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