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LAG Bremen, Urteil vom 07.11.2023, 1 Sa 53/23
Schlagworte: | Sachverhaltsverwertungsverbot, Datenschutz, Persönlichkeitsrecht | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Bremen | |
Aktenzeichen: | 1 Sa 53/23 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 07.11.2023 | |
Leitsätze: | 1. Tatsachen von denen ein Arbeitgeber dadurch Kenntnis erlangt, dass er nach einem lediglich vagen Hinweis auf das Vorliegen einer Straftat, die auf dem Dienstrechner einer Arbeitnehmerin über die Anwendung "WhatsApp-Web" einzusehende WhatsApp-Korrespondenz eines ersichtlich ausschließlich privat genutzten WhatsApp-Accounts gelesen und im Hinblick auf das Vorliegen etwaiger Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin ausgewertet hat, unterliegen wegen des hiermit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin regelmäßig einem Sachvortragsverwertungsverbot. Dies gilt auch, wenn die private Nutzung des Dienstrechners untersagt war.(Rn.38) 2. Der Diebstahl von Bargeld zu Lasten einer Arbeitskollegin stellt einen an sich wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar. Je nach den Umständen des Einzelfalls, kann sich die Überzeugung des Gerichts, ob die behauptete Entwendung von Bargeld als wahr zu erachten ist, gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Wesentlichen auf die Aussage einer Zeugin stützen, die bekundet, dass die Klägerin ihr gegenüber die Entwendung des Bargelds zugestanden hat.(Rn.34) (Rn.40) 3. Bei überzahlter Arbeitsvergütung kann der Arbeitgeber nicht mit einer Bruttoforderung aufrechnen. Eine derartige Aufrechnung ist gem. § 394 S. 1 BGB unzulässig. (Anschluss an LAG Hamm, Urteil vom 11.12.2019 - 6 Sa 912/19 -)(Rn.49) |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 25.04.2023, 12 Ca 12231/22 | |
Landesarbeitsgericht Bremen
1 Sa 53/23
12 Ca 12231/22
Im Namen des Volkes!
Urteil
In dem Rechtsstreit
– Klägerin und Berufungsbeklagte –
Prozessbevollmächtigter:
g e g e n
– Beklagter und Berufungskläger –
Prozessbevollmächtigter:
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07. November 2023 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts sowie die ehrenamtlichen Richter und für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts BremenBremerhaven vom 25.04.2023 – 12 Ca 12231/22 – abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für 15 restliche Urlaubstage für das Kalenderjahr 2022 1.453,85 € brutto zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.
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Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über das gezahlte Gehalt für den Monat Oktober 2022 eine Abrechnung zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen
3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Beklagte zu 28 %, die Klägerin zu 72 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 10 %, die Klägerin zu 90 %.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
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TATBESTAND:
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, über Zahlungsansprüche sowie über die Erteilung einer Abrechnung.
Der Beklagte betreibt als Fachanwalt für Strafrecht eine Rechtsanwaltskanzlei in Bremen. Er beschäftigt weniger als 10 Arbeitnehmer. Die Klägerin war ab dem 26. Juli 2020 zunächst als Aushilfe und sodann seit dem 02. November 2020 als Rechtsanwaltsfachangestellte bei dem Beklagten beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug zuletzt 2.100,00 Euro. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 17. Oktober 2020 (Anlage 1, Bl. 8 f. d.A. des Arbeitsgerichts) vereinbarten die Parteien zudem u.a. eine dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende (§ 7 Abs. 2) und einen Jahresurlaubsanspruch von 23 Arbeitstagen (§ 3 Abs. 4). Die Klägerin war bei dem Beklagten u.a. für die Überweisung von Löhnen zuständig, wobei die Gehaltsabrechnungen regelmäßig durch einen Steuerberater erstellt wurden. Der Klägerin war es u.a. untersagt, den Arbeitsplatzrechner für private WhatsApp-Korrespondenz zu nutzen. Im Zeitraum vom 06. Februar 2022 bis zum 16. Februar 2022 befand sich die Klägerin aufgrund einer Corona-Infektion in behördlich angeordneter Quarantäne. Ab dem 17. Februar 2022 war die Klägerin weiter bis zum 25. Februar 2022 durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankgeschrieben. Neben der Klägerin arbeitete als weitere Mitarbeiterin Frau R. für den Beklagten sowie auf geringfügiger Basis Frau F. , bei welcher es sich um eine Studentin der Rechtswissenschaften handelt. Am 25. Oktober 2022 nahm Frau R. einen 50-Euro-Schein in ihrem Portemonnaie mit auf die Arbeit. Am frühen Abend des 25. Oktober 2022 teilte Frau R. dem Beklagten mit, dass ihr diese 50,00 Euro gestohlen worden seien und hierfür nur die Klägerin in Frage käme. Daraufhin kontrollierte der Beklagte den Arbeitsplatzrechner der Klägerin und die auf dem Arbeitsplatzrechner einsehbaren privaten WhatsApp-Nachrichten der Klägerin. Wegen des Inhalts der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin an Dritte vom 06. Februar, vom 18. Februar sowie vom 25. Oktober 2022 wird auf den diesbezüglichen Vortrag des Beklagten (Bl. 100, 102 und 103 d.A. des Arbeitsgerichts verwiesen). Am 26. Oktober 2022 hat der Beklagte die Klägerin, obwohl er von einem Diebstahl der Klägerin überzeugt war, noch arbeiten lassen. Am Vormittag des 26. Oktober 2022 überwies die Klägerin die Löhne für Oktober 2022, unter anderem überwies sie sich selber das volle Gehalt für Oktober 2022. Die Umstände der Überweisungen sind zwischen den Parteien streitig. Um ungefähr 15:00 Uhr übergab der Beklagte der Klägerin sein Kündigungsschreiben vom 26. Oktober 2022 (Bl. 12 d.A. des Arbeitsgerichts), mit welchem er das Arbeitsverhältnis fristlos kündigte. Die Klägerin hat im Gegenzug die Büroschlüssel ausgehändigt. Der an derselben Adresse in Bürogemeinschaft mit dem Beklagten tätige Rechtsanwalt K. erklärte der Klägerin kurz
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darauf, dass man genau wisse, dass sie das Geld von Frau R. genommen habe. Am 26. Oktober 2022 bestand für das Jahr 2022 noch ein Resturlaubsanspruch der Klägerin im Umfang von 15 Tagen. In der Berufungsinstanz ist unstreitig geworden, dass die Klägerin am 26. Oktober 2022 nach dem Erhalt des Kündigungsschreibens mit Frau F. telefoniert hat. In dem Telefonat hat die Klägerin Frau F. gebeten, ihr den Schlüssel für die Kanzleiräume auszuleihen, damit sie in der folgenden Nacht einen 50-Euro-Schein im Arbeitsbereich von Frau R. deponieren könne. Diese Bitte hat Frau F. abgelehnt. Der weitere Inhalt des Telefonats ist zwischen den Parteien streitig. Am 08. November 2022 nahm die Klägerin ein neues Arbeitsverhältnis auf. Mit Schreiben vom 07. November 2022 (Bl. 14 bis 16 d. A. des Arbeitsgerichts), der Klägerin zugegangen am 11. November 2022, erhielt die Klägerin von dem Beklagten Gehaltsabrechnungen für Februar und Oktober 2022, wobei der Abrechnung für Oktober 2022 u.a. die Position „Festbezug Gehalt“ 1.820,00 € zu entnehmen war (Bl. 17 bis 18 d.A. des Arbeitsgerichts). In dem Schreiben forderte der Beklagte die Klägerin zudem u.a. zur Zahlung von 50,00 Euro auf, die ihre Kollegin (Frau R. ) an ihn abgetreten habe. Mit E-Mail vom 21. November 2022 erklärte die Klägerin dem Beklagten unter anderem, dass sie bereit sei, die 50,00 Euro zu zahlen. Wegen des weiteren Inhalts der E-Mail vom 21. November 2022 wird auf Blatt 106 d.A. des Arbeitsgerichts verwiesen.
Mit ihrer Klage vom 16. November 2022, dem Beklagten am 24. November 2022 zugestellt, hat sich die Klägerin gegen die ausgesprochene Kündigung gewendet und die Feststellung begehrt, dass ein Urlaubsanspruch von 15 Tagen für 2022 entstanden und nicht verfallen sei und die nachträgliche Änderung der Gehaltsabrechnung für Februar 2022 unzulässig sei. Mit Schriftsatz vom 11. April 2023, dem Beklagtenvertreter am 12. April 2023 zugegangen, hat die Klägerin darüber hinaus die Zahlung von Annahmeverzugslohn bis zum 31. Januar 2023, Urlaubsabgeltung sowie Zeugniserteilung begehrt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 25. April 2023 hat sie ihre Klage teilweise abgeändert und teilweise zurückgenommen. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der Verhandlung (Bl. 154 – 157 d.A. des Arbeitsgerichts) verwiesen.
Die Klägerin hat bestritten, dass die sich im Februar 2022 absichtlich mit Corona angesteckt habe. Die seitens des Beklagten zur Akte gereichte WhatsApp-Korrespondenz sei nicht vollständig. Die ausgewählten Nachrichten seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Die Klägerin habe sich höchstwahrscheinlich (unabsichtlich) bei ihrer Mutter angesteckt. Nach der Quarantäne sei die Klägerin weiterhin krank gewesen, was sie mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen habe. Im Übrigen handele es sich bei der WhatsApp-Korrespondenz um eine private Korrespondenz, die der Beklagte unter Verstoß gegen Datenschutzrechte der Klägerin verwendet habe. Es bestehe insofern
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ein Verwertungsverbot. Sie habe keine Party im Büro gefeiert und lediglich Wochenendarbeit im Büro geleistet. Es werde bestritten, dass Frau R. 50,00 Euro abhandengekommen seien. Die Klägerin sei hierfür zumindest nicht verantwortlich. Am 26. Oktober 2022 hätten der Klägerin noch keine Gehaltsabrechnungen des Steuerberaters vorgelegen, was unüblich gewesen sei. Ihr sei nicht mitgeteilt worden, dass sich an der Höhe der Nettolöhne diesen Monat etwas ändere, daher habe sie dem Beklagten, als dieser am Vormittag das Büro verlies, mitgeteilt, dass sie die Überweisung in der üblichen Höhe durchführen werde. Die Reaktion des Beklagten dazu habe sie als Zustimmung interpretiert. In ihrer Schreibtischschublade hätten sich lediglich legale Tabletten befunden, die ihr ärztlich verordnet worden seien, sie habe die Schublade nicht so zurückgelassen wie sie auf dem Foto des Beklagten zu sehen sei. Da das Arbeitsverhältnis frühestens zum 31. Januar 2023 ende, habe die Klägerin für den Zeitraum von November 2022 bis Januar 2023 einen Annahmeverzugslohnanspruch, der sich um den Verdienst aus ihrer Anschlussbeschäftigung reduziere. In diesem Arbeitsverhältnis habe sie in Teilzeit einen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 1.150,00 Euro erzielt. Im Übrigen habe der Beklagte für 15 Urlaubstage aus dem Jahr 2022 sowie für 2 Urlaubstage aus dem Jahr 2023 Urlaubsabgeltung zu leisten und eine Abrechnung für den für Oktober 2022 tatsächlich gezahlten Betrag sowie ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem Beklagten nicht durch die Kündigung vom 26.10.2022 aufgelöst worden ist,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für 15 restliche Urlaubstage für das Kalenderjahr 2022 Brutto 1.575,00 € zu zahlen,
3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 210,00 € Brutto für zwei auf den Januar 2023 entfallende Urlaubstage zu zahlen,
4. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Monat Oktober 2022 über den voll ausgezahlten Betrag eine Abrechnung zu erteilen,
5. an die Klägerin für den Monat November 2022 ein Bruttogehalt in Höhe von 950,00 € zu zahlen,
6. an die Klägerin für den Monat Dezember 2022 ein Bruttogehalt in Höhe von 950,00 € zu zahlen,
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7. an die Klägerin für den Monat Januar 2023 ein Bruttogehalt in Höhe von 950,00 € zu zahlen,
8. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei, da sich die Klägerin mehrfach in besonders schwerer Weise vertragswidrig verhalten habe. So habe sich die Klägerin u.a. im Februar 2022 vorsätzlich mit Corona infiziert und damit sowohl die Quarantäneanordnung als auch die Krankschreibung bewusst herbeigeführt. Dies ergebe sich aus dem Inhalt der WhatsApp-Nachricht der Klägerin vom 06. Februar 2022. Nach Beendigung der Quarantäne habe die Klägerin dann durch Vorspiegelung falscher Tatsachen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erwirkt, obwohl ihre Corona-Werte wieder unterhalb der Schwelle der Ansteckungsmöglichkeit gelegen hätten und sie tatsächlich nicht mehr krank gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Inhalt der WhatsApp-Nachricht der Klägerin vom 18. Februar 2022. Des Weiteren habe die Klägerin die Kanzleiräume unerlaubt für private Zwecke genutzt und unbefugt Dritten Zugang zu den Kanzleiräumen verschafft. So sei sie mit ihrem Lebensgefährten mehrfach am Wochenende und in den Abendstunden in der Kanzlei von der Reinigungskraft angetroffen worden. Einmal sei sie nur mit Unterwäsche bekleidet gewesen, einmal habe sie dort gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten eine Party gefeiert. Am 25. Oktober 2022 habe Frau R. beim Einkaufen nach der Arbeit bemerkt, dass sich der 50,00 Euro-Schein nicht mehr in ihrem Portemonnaie befindet. Die Klägerin habe den 50-Euro Schein entwendet. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus dem Inhalt der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin vom 25. Oktober 2022, insbesondere aus der Nachricht um 12:24 Uhr. Auch diein der E-Mail vom 21. November 2022 geäußerte Bereitschaft der Klägerin, die 50,00 Euro an den Beklagten zu zahlen, sei als Eingeständnis der Klägerin zu werten. Aufgrund dieser Erkenntnisse habe der Beklagte die Schreibtischschublade der Klägerin geöffnet und dort kleine leere Plastiktüten, in denen sich nur Drogen befunden haben können, einen zusammengerollten Geldschein sowie diverse weitere Tabletten gefunden. Darüber hinaus sei die fristlose Kündigung auch deswegen gerechtfertigt, weil sich die Klägerin am 26. Oktober 2022 entgegen der Anweisung des Beklagten das Gehalt für den Monat Oktober 2022 überwiesen habe. Die Lohnabrechnungen würden nach der Erstellung durch den Steuerberater erst von dem Beklagten geprüft. Sofern die Überweisung entsprechend der
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Lohnabrechnungen erfolgen sollte, habe der Beklagte diese mit der konkreten Anweisung zur Auszahlung an die Klägerin weitergeleitet, die sodann die Überweisungen durchführte. Am 26. Oktober 2022 habe die Klägerin dem Beklagten ein verschlossenes Schreiben vom Steuerberater mit dem Hinweis übergeben, dass darin die Lohnabrechnungen seien und ihn ausdrücklich gefragt, ob sie sich den Lohn überweisen dürfe. Dies habe der Beklagte ausdrücklich abgelehnt und mitgeteilt, dass er die Lohnabrechnungen erst prüfen und ihr danach eine Anweisung erteilen werde. Unmittelbar nach diesem Gespräch habe die Klägerin sich den vollen Lohn für Oktober 2022 überwiesen. Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn stehe der Klägerin auch bei einer Unwirksamkeit der Kündigung nicht zu. Die Klägerin habe es böswillig unterlassen, ihre Arbeitskraft für ein Vollzeitarbeitsverhältnis zu verwenden. Die Klägerin hätte aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation in Bremen sofort einen Vollzeitarbeitsplatz finden können.
Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven hat der Klage auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2023 teilweise stattgegeben. Es hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31. Januar 2023 beendet wurde, den Beklagten zur Zahlung von Annahmeverzug in Höhe von jeweils 950,00 Euro brutto für die Monate November 2022 bis Januar 2023, zur Zahlung von Urlaubsabgeltung und zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses sowie einer Abrechnung über das für Oktober 2022 gezahlte Gehalt verurteilt. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB könne nicht festgestellt werden. Aus dem Inhalt der vorgelegten WhatsApp-Korrespondenz könne weder geschlossen werden, dass die Klägerin ihre Corona-Infektion im Februar 2022 absichtlich herbeigeführt habe, noch, dass sie für den Zeitraum vom 17. Februar bis zum 25. Februar 2023 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erlangt habe. Der Inhalt der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin vom 25. Oktober 2022 belege nicht, dass die Klägerin Frau R. 50,00 Euro entwendet hat. Auf das Vorliegen eines Sachvortragsverwertungsverbotes im Hinblick auf die WhatsAppNachrichten der Klägerin komme es folglich nicht an. Die E-Mail der Klägerin vom 21. November 2022 sei nicht als Schuldeingeständnis der Klägerin zu werten. Die Überweisung des Gehaltes für Oktober 2022 an sich selber stelle bei Wahrunterstellung des beklagtenseitigen Vortrages zwar eine Pflichtverletzung der Klägerin dar, diese könne jedoch mangels Vorliegens einer einschlägigen Abmahnung keinen wichtigen Grund darstellen. Die weiteren vorgetragenen Kündigungsgründe – Feiern in den Kanzleiräumen und Drogen in der Arbeitsplatzschublade – seien durch den Beklagten so pauschal vorgetragen, dass sie nicht geeignet seien einen wichtigen Grund darzustellen. Das Arbeitsverhältnis habe jedoch zum 31. Januar 2023 sein Ende gefunden, da die fristlose Kündigung des Beklagten gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umzudeuten sei, die aufgrund der Größe des Betriebs gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG keiner sozialen
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Rechtfertigung bedürfe. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ergebe sich aus § 7 Abs. 4 BUrlG, der Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses aus § 109 Abs. 1 S. 3 GewO und der Anspruch auf Erteilung einer Gehaltsabrechnung für Oktober 2022 aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO. Der begehrte Annahmeverzugslohn sei der Klägerin in voller Höhe zuzusprechen gewesen, da der diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen habe, aus denen sich Anhaltspunkte für das böswillige Unterlassen eines höheren Zwischenverdienstes durch die Klägerin ergeben hätten.
Gegen dieses Urteil, das dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 16. Juni 2023 zugestellt wurde (Bl. 181 d. A. des Arbeitsgerichts), hat er mit Schriftsatz vom 12. Juli 2023, beim Landesarbeitsgericht am selben Tage eingegangen (Bl. 1 - 7 d. A.), Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Der Beklagte hält das Urteil des Arbeitsgerichts für rechtsfehlerhaft. Tatsächlich habe ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung vorgelegen. Nach der Gerichtsverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 25. April 2023 habe der Beklagte seinen Mitarbeiterinnen Frau F. und Frau Re. berichtet, dass sich das Arbeitsgericht im Rahmen der Erörterungen dahingehend positioniert habe, dass keine ausreichenden Tatsachen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes dargelegt worden seien. Daraufhin habe Frau F. dem Beklagten mitgeteilt, dass die Klägerin ihr in einem Telefonat am 26. Oktober 2022 gestanden habe, am Vortag 50,00 Euro aus der Geldbörse der Mitarbeiterin R. gestohlen zu haben, da sie das Geld unbedingt benötigt habe. Erst im weiteren Verlauf des Telefonats habe die Klägerin sie gebeten, ihr den Schlüssel für die Kanzleiräume auszuleihen, um im Arbeitsbereich der Mitarbeiterin R. einen 50 EuroSchein deponieren zu können. Diesbezüglich beruft sich der Beklagte auf den Inhalt der eingereichten Versicherung an Eides statt der Zeugin F. (Bl. 6 – 7 d.A.). Aufgrund der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung zum 26. Oktober 2022 sei im Hinblick auf das vollständig ausgezahlte Bruttogehalt der Klägerin für Oktober 2022 ein Rückzahlungsanspruch im Umfang von 5/31 von 2.100,00 Euro brutto, also i.H.v. 338,70 Euro brutto entstanden. Insoweit werde die Aufrechnung mit dem Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung für 15 Urlaubstage für das Jahr 2022 erklärt, sodass diesbezüglich lediglich 1.236,30 Euro brutto durch den Beklagten zu zahlen seien. Für Oktober 2022 habe der Beklagte keine Abrechnung mehr zu erteilen, da er für den zutreffenden Zeitraum bis zum 26. Oktober 2022 bereits eine Abrechnung erteilt habe.
Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 25.04.2023, Aktenzeichen 12 Ca 12231/22 abzuändern und die Klage hinsichtlich der Anträge 1, 3, 5, 6, 7 und 8 abzuweisen sowie hinsichtlich des Antrages zu Ziffer 2 den Beklagten lediglich zu verurteilen, an die Klägerin als Urlaubsabgeltung € 1.236,30 brutto zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die Berufung des Beklagten bereits für unzulässig, da in der Berufungsbegründung keine Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts enthalten sei. Der Beklagte berufe sich ausschließlich auf neues tatsächliches Vorbringen, welches als verspätet zurückzuweisen sei. Zumindest sei die Berufung unbegründet. Der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin F. sei ersichtlich falsch, dies spreche gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugin. Der Beklagte könne der Zeugin nicht bereits am 25. April 2023 erzählt haben, dass er vor dem Arbeitsgericht verloren habe, da die Entscheidung des Arbeitsgerichts in Abwesenheit der Parteien verkündet wurde und das Sitzungsprotokoll erst am 26. April 2023 versendet worden sei. Die Klägerin habe gegenüber Frau F. in dem Telefonat am 26. Oktober 2022 nicht zugegeben, die 50,00 Euro entwendet zu haben. Möglicherweise habe Frau F. die Bitte der Klägerin, ihr die Schlüssel für die Kanzleiräume auszuleihen, damit sie dort 50,00 Euro deponieren könne, als Schuldeingeständnis gewertet. Tatsächlich sei die Klägerin wegen des plötzlichen Verlustes ihres Arbeitsplatzes in Panik geraten und habe mit allen Mitteln verhindern wollen, dass der ihr gegenüber erhobene unberechtigte Vorwurf des Diebstahls zurückgenommen wird. Nur deswegen habe sie die 50,00 Euro im Arbeitsbereich der Mitarbeiterin R. deponieren wollen.
Wegen des Ergebnisses der Vernehmung der Zeugin V. F. wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07. November 2023 Bezug genommen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie wegen ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.
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A.
Die Berufung ist zulässig.
I.
Die Berufung ist gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft. Sie ist im Sinne der §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden.
II.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Berufung ebenfalls im Sinne der §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO hinreichend begründet worden.
1.
Die Berufungsbegründung muss gemäß der §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 520 Abs. 3 S. 2 ZPO und § 67 ArbGG neben den Berufungsanträgen die Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt, die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten oder die Bezeichnung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie die Tatsachen, aufgrund derer diese zuzulassen sind. Die Berufungsbegründung muss damit die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der angegriffenen Entscheidung ergibt. Dabei kann die Berufung gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 S. 2 Z. 4 ZPO auch ausschließlich auf neu vorgebrachte Tatsachen gestützt werden, wenn zugleich begründet wird, weshalb das erstinstanzliche Urteil bei Berücksichtigung der neu vorgebrachten Tatsachen unrichtig ist und wenn die neu vorgebrachten Tatsachen zu berücksichtigen und nicht als verspätet zurückzuweisen sind (BeckOK ZPO/Wulf, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 520 Rn. 26). In Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten ist zu beachten, dass sich die Zulässigkeit des Vortrages neuer Tatsachen nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, sondern nach § 67 ArbGG richtet, welcher lex speciales ist (GMP/Schleusener, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 64 Rn. 82) und § 520 Abs.3 ZPO insgesamt nur insoweit gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG zur Anwendung kommen kann, als ihm nicht die Tatsache entgegensteht, dass die Berufungsinstanz im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz ist (GMP/Schleusener, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 66 Rn. 1). Nach § 67 Abs. 2 und 3 ArbGG sind Angriffs- und Verteidigungsmittel die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist oder entgegen § 282 Abs. 1, 2 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, zuzulassen, wenn entweder ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht
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verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt bzw. der Vortrag im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen wurde. Eine Verzögerung liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung, wobei die zeitliche Verschiebung der Beendigung nicht ganz unerheblich sein darf. Entscheidend ist allein die Verzögerung in der Berufungsinstanz, nicht jedoch, ob bei rechtzeitigem Vorbringen in der ersten Instanz die Tatsachen bereits in dem Urteil des Arbeitsgerichts hätten berücksichtigt werden können (GMP/Schleusener, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 67 Rn. 9).
2.
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze hat der Beklagte seine Berufung ausreichend begründet. Der Berufungsbegründung ist zu entnehmen, dass der Beklagte die Auffassung vertritt, dass unter Berücksichtigung der neu vorgebrachten Tatsache, dass die Klägerin Frau F. am 26. Oktober 2022 berichtet haben soll, dass sie die 50,00 Euro entwendet hat, entgegen des Urteils des Arbeitsgerichts entschieden werden müsse, dass die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 26. Oktober 2022 aufgelöst hat. Mithin hat der Beklagte die Umstände bezeichnet, aus denen sich aus seiner Sicht die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils ergibt und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der angegriffenen Entscheidung erläutert. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte die neu vorgetragene Tatsache im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist oder entgegen § 282 Abs. 1, 2 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht hat und ob die etwaige Verspätung entschuldigt ist bzw. der Vortrag nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen wurde. Denn der etwaig verspätete Vortrag führt nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits. Denn der Beklagte hat bereits in der Berufungsbegründung so substantiiert zu dem Inhalt des Telefonates zwischen der Klägerin und Frau F. vorgetragen und Beweis angeboten, dass sich die Klägerin in der Berufungserwiderung zu dem Vortrag einlassen konnte und es dem Gericht möglich war, Frau F. als Zeugin zu dem ersten Kammertermin zu laden. Eine Verzögerung ist damit nicht festzustellen, weswegen es sich um zulässigen neuen Tatsachenvortrag gehandelt hat.
B.
Die Berufung ist überwiegend begründet.
I.
Auf die Berufung des Beklagten ist die Feststellung des Arbeitsgerichtes aufzuheben, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 26. Oktober 2022 nicht vor dem 31. Januar 2023 aufgelöst wurde. Denn der zulässige
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Klageantrag zu 1 ist unbegründet. Die Kündigungserklärung vom 26. Oktober 2022 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fristlos mit dem 26. Oktober 2022 aufgelöst.
1.
Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung am 26. Oktober 2022 lag ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB vor. Die Kammer ist bei Würdigung des erhobenen Beweises, der Vernehmung der Zeugin F. , in ausreichenden Maß im Sinne des § 286 ZPO davon überzeugt, dass die Klägerin ihrer Kollegin Frau R. am 25. Oktober 2022 50,00 Euro aus ihrem Portmonee entwendet hat.
a.
Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei der Prüfung, ob eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, zunächst zu fragen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne besondere Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Sodann sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die gegenseitigen Interessen abzuwägen und alle vernünftigen in Betracht kommenden Umstände vollständig unter Berücksichtigung der konkret berührten Interessen widerspruchsfrei zu berücksichtigen (vgl. nur BAG, Urteil v. 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 - m. w. N.). Bei einer verhaltensbedingten, ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung ist zudem grundsätzlich erforderlich, dass der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung bereits wegen eines vergleichbaren Verhaltens abgemahnt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 17.02.1994, AP Nr. 116 zu § 626 BGB m. w. N.). Von Arbeitnehmern gegenüber Arbeitgebern, Arbeitskollegen oder Kunden begangenen Diebstähle stellen dabei in der Regel, also wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, einen an sich wichtigen Grund dar und berechtigen den Arbeitgeber regelmäßig auch ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung (Fischermeier in KR 11. Aufl. § 626 BGB Rn.461).
b.
Vorliegend ist die Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme in einem nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO ausreichenden Umfang davon überzeugt, dass die Klägerin ihrer Kollegin
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Frau R. am 25. Oktober 2022 einen 50-Euro-Schein entwendet hat. Maßgeblich hierfür ist der Inhalt der glaubhaften Aussage der glaubwürdigen Zeugin F. . Nicht zu berücksichtigen war dagegen der unstreitige Inhalt der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin vom 25. Oktober 2022, denn dieser unterliegt einem Sachvortragsverwertungsverbot, da der Beklagte den Inhalt der WhatsApp-Nachrichten auf der Grundlage eines schwerwiegenden Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ermittelt hat.
Hierzu im Einzelnen:
aa.
Nach dem in § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO normierten Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist ein Beweis erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme (und der mündlichen Verhandlung mit etwaiger Parteianhörung) und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Diese danach erforderliche Überzeugung erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, es reicht vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit aus, der Zweifeln Schweigen gebietet. Nicht zu berücksichtigen sind angebotene Beweismittel, wenn sie einem Beweisverwertungsverbot unterliegen und unstreitiger Parteivortrag, soweit er einem Sachvortragsverwertungsverbot unterliegt. Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK) kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa von § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BAG, Urteil vom 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16 – (Keylogger-Entscheidung) juris Rn. 16). Das Lesen des Inhalts von E-Mails oder anderen elektronischen Nachrichten, die an private Bekannte gerichtet sind, die nichts mit dem Betrieb zu tun haben und die nicht aus betrieblichem Anlass versandt wurden, stellt dabei einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar
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(Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21. September 2018 – 10 Sa 601/18 –, Rn.90, juris). Kontrolliert ein Arbeitgeber, nach einem lediglich vagen Hinweis auf eine Straftat oder Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, die erkennbar private elektronische Kommunikation eines Arbeitnehmers, so ist die Datenerhebung und Datenverarbeitung nicht nach den Art. 5ff. DSGVO i.V.m. § 26 BDSG gerechtfertigt (vgl. ebenso: Hessisches Landesarbeitsgericht, a.a.O. – 10 Sa 601/18 –, Rn. 91, juris). Ein solch schwerwiegender Verstoß gegen § 26 BDSG sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führt nicht bloß zu einem Beweisverwertungsverbot, sondern regelmäßig zu einem Sachvortragsverwertungsverbot. Die bloße Annahme eines Beweisverwertungsverbots würde dazu führen, dass der von der schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung betroffene Arbeitnehmer gehalten wäre, den im Regelfall schwer zu bestreitenden Inhalt der elektronischen Kommunikation wahrheitswidrig zu bestreiten oder alternativ eine Perpetuierung der Persönlichkeitsrechtsverletzung hinzunehmen (vgl. im Einzelnen mit jeweils ausführlicher Begründung: Hessisches Landesarbeitsgericht, a.a.O., juris Rn. 102ff, BAG, Urteil vom 27. Juli 2017 a.a.O. sowie BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –juris Rn. 16). Dies gilt regelmäßig auch, wenn die Nutzung des Arbeitsplatzrechners für private Kommunikation untersagt war, soweit der Arbeitgeber bei der Kontrolle des Arbeitsplatzrechners, z.B. durch Kennzeichnung eines Ordners auf dem Arbeitsplatzrechner als „privat“, erkennen kann, dass in diesem Bereich keine dienstlichen Daten zu erwarten sind.
bb.
Vorliegend ist auf der Grundlage der vorgenannten Grundsätze der unstreitige Inhalt der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin vom 25. Oktober 2022 im Rahmen der Beweiswürdigung nicht zu berücksichtigen, es besteht ein Sachvortragsverwertungsverbot. Der Beklagte hat nach eigenem Vortrag bei der Kontrolle des Arbeitsplatzrechners der Klägerin festgestellt, dass dort jedenfalls Teile der privaten WhatsApp-Korrespondenz der Klägerin aufrufbar waren; vermutlich über die Anwendung „WhatsApp-Web“. Nach dem Vortrag des Beklagten sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er davon ausgehen konnte, dass es sich hierbei um eine dienstliche Kommunikation der Klägerin handelte. Damit hat der Beklagte offensichtlich bewusst die private WhatsApp-Korrespondenz der Klägerin auf Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen kontrolliert. Aus dem Umstand, dass der Beklagte auch den Inhalt von WhatsAppNachrichten der Klägerin aus Februar 2022 vorgetragen hat, ist ersichtlich, dass der Beklagte einen mindestens achtmonatigen Zeitraum der privaten WhatsAppKorrespondenz der Klägerin gelesen und kontrolliert haben muss. Dies stellt einen schwerwiegenden und umfassenden Eingriff des Beklagten in den Kernbereich des
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allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin dar. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt gewesen. Der Beklagte hat lediglich pauschal und ohne den Vortrag konkreter Tatsachen dargelegt, dass Frau R. ihm am 25. Oktober 2022 nach Feierabend mitgeteilt habe, dass ihr 50,00 Euro abhandengekommen seien und lediglich die Klägerin als Täterin in Betracht käme. Der Beklagte hat nicht erläutert, aufgrund welcher vor der Kontrolle des Arbeitsplatzrechners der Klägerin bekannter Tatsachen, nur die Klägerin als Täterin in Betracht gekommen sein soll. Damit scheidet eine Rechtfertigung der Datenerhebung nach den Grundsätzen der Art. 5ff. DSGVO i.V.m. § 26 BDSG offensichtlich aus. Nur ergänzend wird daher darauf hingewiesen, dass die heimliche Kontrolle privater WhatsAppKorrespondenz durch den Arbeitgeber, ohne vorherige Information des Arbeitnehmers, auch im Falle konkreter Verdachtstatsachen im Hinblick auf einen Diebstahl nach der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte unverhältnismäßig sein dürfte.
Die Kammer ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch auch ohne Berücksichtigung des Inhalts der WhatsApp-Nachrichten der Klägerin vom 25. Oktober 2022 in einem nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO ausreichenden Maß davon überzeugt, dass die Klägerin ihrer Kollegin Frau R. am 25. Oktober 2022 einen 50-Euro-Schein entwendet hat. Die Aussage der Zeugin F. war ergiebig. Die Zeugin hat die Behauptung des Beklagten, dass die Klägerin ihr in dem unstreitigen Telefonat am 26. Oktober 2022 die Entwendung des Geldes gestanden habe, bestätigt. Die Kammer hält die Zeugin im Ergebnis für glaubwürdig und ihre Aussage für glaubhaft. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin mag aufgrund der beruflichen Verbindung zum Beklagten geringfügig eingeschränkt sein. Zugunsten der Glaubwürdigkeit der Zeugin ist jedoch zu berücksichtigen, dass es der Kammer schwer vorstellbar erscheint, dass die Zeugin als Studentin der Rechtswissenschaft ihre berufliche Zukunft durch eine vorsätzliche Falschaussage gefährden würde. Die Aussage war insgesamt glaubhaft. Die Zeugin hat umfangreich und widerspruchsfrei sowohl den Inhalt des Telefonats wie auch dessen Begleitumstände geschildert und die Behauptung des Beklagten ausdrücklich bestätigt. Die Zeugin hat umfangreich den Ablauf der Kommunikation mit der Klägerin am Nachmittag des 26. Oktober 2022 geschildert und dabei nicht nur den Inhalt ihrer zuvor abgegebenen Versicherung an Eides statt wiederholt, sondern im Einzelnen geschildert, wer im Rahmen der Kommunikation welche WhatsApp-Nachrichten gesendet und wer wen angerufen hat. Dabei hat sie nachvollziehbar geschildert, was die Klägerin zu ihr ungefähr gesagt hat, ohne vorzugeben, sich nach über einem Jahr noch an den genauen Wortlaut erinnern zu können. So hat die Zeugin auf Nachfrage z.B. eingeräumt, dass sie nicht mehr genau wisse, ob die Klägerin von Entwendung von genau 50,00 Euro oder lediglich von der Entwendung von Geld geredet habe. Nachvollziehbar hat sie zudem geschildert, dass sie aufgrund ihrer und der Arbeitszeiten von Frau R. diese am 26. Oktober 2022 nicht im
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Büro gesehen und vermutlich deswegen vor der Kontaktaufnahme durch die Klägerin nichts von dem mutmaßlichen Diebstahl mitbekommen habe. Im Ergebnis spricht es auch nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage, dass sich die Zeugin nach eigenem Bekunden erst am 25. April 2023 dazu entschlossen habe, dem Beklagten von dem Inhalt des Telefonats zu erzählen. Denn die Zeugin hat nachvollziehbar erläutert, dass sie mit der Klägerin ein sehr gutes kollegiales Verhältnis hatte, diese sich an sie gewendet hatte und sie ihr auf der Grundlage des guten Verhältnisses versprochen hatte, nichts weiter zu sagen. Zudem hat die Zeugin erläutert, dass sie aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin mit Frau R. am 25. Oktober 2022 allein im Büro gewesen sei und dem übrigen Inhalt der Arbeitsgerichtsakte ohnehin davon ausgegangen sei, dass es auf ihre Aussage im vorliegenden Gerichtsverfahren nicht entscheidungserheblich ankommen werde. Mithin ist es für die Kammer plausibel, dass sich die Zeugin erst am 25. April 2023 zur Aussage entschieden hat, nachdem der Beklagte ihr nach der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht berichtet hatte, dass es nicht so gut gelaufen sei und sie sich danach noch mit ihrer neuen Kollegin Frau Re. beraten habe. Zudem spricht es auch, entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, dass die Zeugin in ihrer Versicherung an Eides statt weitergehend oder zumindest missverständlich angegeben hat, dass der Beklagte ihr am 25. April 2023 mitgeteilt habe, dass er durch das Arbeitsgericht zu einer Zahlung an die Klägerin verurteilt worden sei. Denn die Zeugin hat in ihrer Vernehmung plausibel zugestanden, dass sie diese Formulierung, trotz ihrer juristischen Ausbildung, nicht wortwörtlich in rechtstechnischen Sinne gemeint habe, sondern damit nur habe ausdrücken wollen, dass der Beklagte sinngemäß geäußert habe, dass es nicht so gut gelaufen sei und sie daraus geschlossen habe, dass er wahrscheinlich verurteilt werden würde und sie es deswegen als ungerecht ansah, durch ihr Verschweigen zu diesem ungerechten Urteil beizutragen. Entscheidend ist vorliegend die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugenaussage und nicht das exakte Zutreffen des Inhalts der Versicherung an Eides statt. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kann die Kammer ebenfalls nicht erkennen, dass der durch die Zeugin geschilderte Zeitablauf nicht mit dem Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 25. April 2023 übereinstimmen kann. Denn unstreitig begann die auf 11:00 Uhr angesetzte mündliche Verhandlung leicht verspätet und dauerte ungefähr 1 Stunde, also ungefähr bis 12:30 Uhr, höchstens bis 13:00 Uhr. Die Kanzlei des Beklagten befindet sich lediglich in ungefähr 600 m Entfernung vom Justizzentrum, sodass keine Zweifel daran bestehen, dass der durch die Zeugin geschilderte ungefähre zeitliche Ablauf, nach welchem sie nach der Unmutsbekundung des Beklagten und einem beratenden Gespräch mit Frau Re. um spätestens 14:00 Uhr
das Gespräch mit dem Beklagten geführt habe, zutreffend sein kann. Entscheidend für die Aussage der Zeugin spricht zudem, dass sie ohne diesbezügliche Nachfrage des Gerichts
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von sich aus erklärt hat, dass die Kammer Einblick in ihren WhatsApp-Chat-Verlauf mit der Klägerin vom 26. Oktober 2022 nehmen könne. Denn im Falle einer, von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterstellten, Falschaussage, wäre sie durch dieses Angebot ein erhebliches Aufdeckungsrisiko eingegangen, da sie unmittelbar zuvor ausdrücklich geschildert hatte, dass sie in WhatsApp-Nachrichten nach dem Telefonat am 26. Oktober 2022 unter Bezugnahme auf das Geständnis der Klägerin mit dieser geschrieben habe. Damit ist die Kammer im Ergebnis von der Wahrheit der Behauptung des Beklagten überzeugt, dass die Klägerin der Zeugin F. in einem Telefonat am 26. Oktober 2022 zumindest erklärt hat, dass sie Geld von Frau R. entwendet hat, auch wenn nicht mit Sicherheit feststeht, dass sie erklärt hat, dass sie genau 50,00 Euro entwendet hat. Unter Zugrundelegung der Wahrheit dieser Tatsache hat die Kammer keine Zweifel an der Wahrheit der durch den Beklagten behaupteten Tatsache, dass die Klägerin Frau R. am 25. Oktober 2022 den von ihr mitgeführten Geldschein und damit 50,00 Euro entwendet hat. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, weswegen die Klägerin der Zeugin F. die Entwendung des Geldes hätte gestehen sollen, wenn sie sie tatsächlich nicht begangen haben sollte. Auf die Bewertung der Beweiskraft des Inhalts der E-Mail der Klägerin vom 21. November 2022 an den Beklagten kommt es damit nicht an. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung am 26. Oktober 2022 lag ein an sich wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor. Maßgeblich ist entgegen der im Berufungsverfahren geäußerten Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung bereits Kenntnis von allen maßgeblichen Tatsachen hatte. Maßgeblich ist vielmehr, ob zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung bereits die objektiven Tatsachen – hier die Entwendung des Geldscheins - vorlagen, die einen wichtigen Grund darstellen.
c.
Die bei der Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB stets im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung geht vorliegend ebenfalls zulasten der Klägerin aus.
aa.
Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des
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Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (vgl. im Einzelnen: BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 –, juris Rn. 28 - 29). Von Arbeitnehmern gegenüber Arbeitgebern, Arbeitskollegen oder Kunden begangenen Diebstähle berechtigen den Arbeitgeber dabei regelmäßig, also wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, auch ohne vorherige Abmahnung zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung (Fischermeier in KR 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 461 m.w.N).
bb.
Vorliegend ist dem Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls auch nicht bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Januar 2023 zumutbar gewesen. Zunächst ist zugunsten der Klägerin der mehr als dreijährige störungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Auf bisherige Störungen des Arbeitsverhältnisses kann sich der Beklagte nicht berufen, da aufgrund des oben erläuterten Sachvortragsverwertungsverbotes keine Anhaltspunkte für das bewusste Herbeiführen einer Quarantäneanordnung und das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit durch die Klägerin ersichtlich sind und der Vortrag hinsichtlich der unerlaubten Privatnutzung der Kanzleiräume im August 2022 sowie des Aufbewahrens von unerlaubten Drogen in einer Schreibtischschublade trotz des Bestreitens der Klägerin unzureichend pauschal geblieben ist. Auch die Überweisung des Lohns für Oktober 2022 kann im Rahmen der Interessenabwägung nicht zulasten der Klägerin berücksichtigt werden, da die Klägerin den Vorgang der Lohnüberweisung bereits in der Klageschrift substantiiert anders dargestellt hat als der Beklagte in seiner Klageerwiderung und der beweisbelastete Beklagte bezüglich der abweichend
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geschilderten Tatsachen beweisfällig geblieben ist. Entscheidend zulasten der Klägerin ist jedoch das aufgrund eines Diebstahls gegenüber einer Kollegin entscheidend gestörte Vertrauensverhältnis zu berücksichtigen. Dem Beklagten ist das Risiko, dass die Klägerin während das Ablaufes der Kündigungsfrist weitere Eigentums- oder Vermögensdelikte zulasten von Kollegen, dem Beklagten oder Kunden begeht, nicht zumutbar. Außergewöhnliche Umstände zugunsten der Klägerin sind nicht feststellbar, sodass auch die vorherige Erteilung einer Abmahnung entbehrlich war.
2.
Der Beklagte hat die Ausschlussfrist von zwei Wochen gemäß § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, da er nur einen Tag nach der Entwendung des Geldes die fristlose Kündigung ausgesprochen hat. Nicht entscheidend ist, dass der Beklagte, was für die Kammer schwer nachvollziehbar ist, die Klägerin trotz des erheblichen Vorwurfes am 26. Oktober 2022 noch hat arbeiten lassen, da § 626 Abs. 2 BGB Arbeitgebern bewusst eine zweiwöchige Überlegungsfrist einräumt.
II.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, soweit der Beklagte mit seiner Berufung begehrt, ihn auf den Klageantrag zu Ziffer 2 lediglich dahingehend zu verurteilen, an die Klägerin als Urlaubsabgeltung für das Jahr 2022 1.236,30 Euro brutto statt 1.453,85 Euro brutto zu zahlen.
1.
Zugunsten der Klägerin ist gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ein Urlaubsabgeltungsanspruch für im Jahr 2022 15 nicht gewährte Urlaubstage i.H.v. 1.453,85 Euro brutto entstanden. Das Beschwerdegericht folgt insoweit den zutreffenden Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies hiermit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Ergänzend wird lediglich darauf hingewiesen, dass sich an der Anzahl der abzugeltenden Urlaubstage aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 26. Oktober 2022 und damit vor Jahresende nichts ändert, da § 5 Abs. 1 c) BUrlG eine Kürzung des für ein Kalenderjahr entstandenen Vollurlaubsanspruchs nur bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres vorsieht.
2.
Der Anspruch der Klägerin ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht teilweise gemäß der §§ 387 ff. BGB durch Aufrechnung erloschen.
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Die im Berufungsverfahren erklärte Aufrechnung ist gemäß § 394 BGB unzulässig, da der Beklagte gegen den bestehenden Bruttourlaubsabgeltungsanspruch mit einem nach seiner Auffassung bestehenden Bruttorückzahlungsanspruch, nämlich mit 5/31 des Bruttolohnanspruches für Oktober 2022 die Aufrechnung erklärt hat, ohne darzulegen, inwieweit hiermit gegen einen Nettolohnanspruch und inwieweit gegen den im Sinne von § 394 BGB unpfändbaren Anspruch auf Abführung von Sozialabgaben und Steuern aufgerechnet werden soll. Im Ergebnis hat der Beklagte damit in einem nicht bestimmbaren Teil gegen den unpfändbaren Anspruch auf Abführung von Sozialabgaben und Steuern aufgerechnet, indem er einen Bruttolohnanspruch gegen einen Bruttolohnanspruch aufgerechnet hat.
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat diesbezüglich zuletzt zutreffend das Folgende ausgeführt:
„Die Beklagte kann schließlich auch keinen Gegenanspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB wegen vermeintlicher Überzahlung in Höhe eines Betrags von 2.466,67 Euro brutto im Wege der Aufrechnung geltend machen. Denn diese ist gemäß § 394 S. 1 BGB unzulässig. Gemäß § 394 S.1 BGB kann gegen Arbeitseinkommen aufgerechnet werden, soweit dieses der Pfändung unterliegt. Gemäß § 850 Abs. 1 ZPO ist Arbeitseinkommen nach Maßgabe der §§ 850a bis l ZPO pfändbar. Nach § 850e Ziffer 1 S. 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens die Beträge, die unmittelbar aufgrund sozialversicherungsrechtlicher und steuerrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind, nicht mitzurechnen. Der Arbeitgeber kann daher regelmäßig nur gegen den entsprechenden Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers aufrechnen. Dies gilt auch deshalb, weil die Frage des Bestehens einer schuldrechtlichen Grundlage für eine Zahlung grundsätzlich unabhängig von der Frage zu beurteilen ist, auf welcher Rechtsgrundlage Steuern und Beiträge abgeführt worden sind. Ein schuldrechtlicher Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers im Hinblick auf eine ggf. ohne Rechtsgrund erbrachte Zahlung begründet nicht gleichermaßen und ohne weiteres eine Erstattungspflicht des Arbeitnehmers im Hinblick auf die durch den Arbeitgeber abgeführten Steuern und Beiträge (BAG 24. Oktober 2000 - 9 AZR 610/99; BAG 13. November 1980 - 5 AZR 572/78; im Übrigen zum Brutto-bzw. Nettorückforderungsanspruch des Arbeitgebers umfassend: Linck in: SchaubArbeitsrechtshandbuch, 18. Auflage 2019, § 73 Rdn. 9 und § 74, Rdn. 5 ff.; ErfK/Preis, 20. Aufl. 2020, § 611a BGB, Rdn. 450)[…] Zum einen hat die Beklagte vorliegend gegen den Brutto-Vergütungsanspruch für den Monat August 2018 - unzulässig - mit einem vermeintlichen Brutto-Gegenanspruch aufgerechnet statt gegen den Netto-
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Vergütungsanspruch mit einem Netto-Gegenanspruch.“ (LAG Hamm Urt. v. 11.12.2019 – 6 Sa 912/19 -juris Rn.82 - 84)
III.
Die Berufung des Beklagten ist begründet, soweit er die Aufhebung der Ziffern 3, 6, 7 und 8 des erstinstanzlichen Urteils, nämlich die Aufhebung der Verurteilung zur Zahlung von Urlaubsabgeltung für zwei Urlaubstage des Kalenderjahres 2023 sowie zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate November 2022 bis Januar 2023 begehrt. Dies ergibt sich aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung zum 26. Oktober 2022, aufgrund derer weder ein Annahmeverzugslohnanspruch für die Monate November 2022 bis Januar 2023 noch ein Urlaubsanspruch für das Jahr 2023 entstehen konnte.
IV.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, soweit dieser die Aufhebung der Verurteilung zur Erteilung einer Abrechnung über das gezahlte Gehalt für Oktober 2022 wendet. Der Anspruch der Klägerin folgt, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO.
1.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO ist dem Arbeitnehmer „bei Zahlung des Arbeitsentgelts“ eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Wie bereits aus dem Wortlaut der Norm folgt, ist die Abrechnung bei tatsächlicher Zahlung des Entgelts zu erteilen. Die Abrechnung bezweckt die Information über die erfolgte Zahlung. Die Regelung dient der Transparenz. Der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält (vgl. nur: BAG, Urteil vom 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22 –, juris Rn. 41). Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung einer Abrechnung seines Arbeitsentgeltes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO entsteht, wenn das Arbeitsentgelt gezahlt wird. Der Arbeitgeber hat dann darzulegen, wie er das gezahlte Arbeitsentgelt im Einzelnen berechnet hat (BeckOK GewO/Schulte, 59. Ed. 1.6.2023, GewO § 108 Rn. 12a).
2.
Vorliegend hat der Beklagte der Klägerin (durch deren Auszahlungsanweisung) das vollständige Bruttomonatsgehalt i.H.v. 2.100,00 Euro für Oktober 2022 geleistet. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und wurde durch den Beklagten zuletzt selber in seiner Berufungsbegründung im Hinblick auf die abgegebene Aufrechnungserklärung vorgetragen. Der Beklagte hat nicht behauptet, der Klägerin über diese tatsächlich geleistete Zahlung eine Abrechnung erteilt zu haben. Vielmehr hatte der Beklagte selber
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vorgetragen, dass er der Klägerin für Oktober 2022 lediglich die aus seiner Sicht dem materiellrechtlichen Anspruch der Klägerin entsprechende Abrechnung vom 03. November 2022 erteilt hat, die einen „Festbezug Gehalt“ i.H.v. 1.820,00 Euro brutto abzgl. 35,00 Euro brutto für einen halben Fehltag statt des tatsächlich ausbezahlten vollen Bruttomonatsgehaltes aufweist. Arbeitgeber schulden jedoch, wie erläutert, nach § 108 Abs. 1 S. 1 GewO nicht eine Abrechnung über den aus ihrer Sicht materiellrechtlich bestehenden Anspruch, sondern eine Abrechnung über tatsächlich ausbezahlten Beträge, aus der Arbeitnehmer die in § 108 Abs. 1 S. 2 und 3 GewO aufgeführten Informationen entnehmen können müssen. Im vorliegenden Fall ist der Beklagte daher verpflichtet, zunächst eine Abrechnung über den tatsächlich ausbezahlten Betrag nebst abgeführter Abzüge zu erteilen, um auf dieser Grundlage gegebenenfalls eine Korrekturabrechnung zur Berechnung seines etwaigen Rückzahlungsanspruches zu erstellen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren ist der Beklagte auf der Grundlage der vorliegenden Entscheidung noch im Hinblick auf die Zahlung von Urlaubsabgeltung für 2022 (1.453,85 Euro), die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses (2.100,00 Euro) sowie die Erteilung einer Abrechnung für Oktober 2022 (105,00 Euro), also insgesamt im Umfang von 3.640,85 Euro unterlegen. Dies ergibt bezogen auf den Kostenstreitwert des erstinstanzlichen Verfahrens in Höhe von 8.784,70 Euro die tenorierte abgeänderte Kostenquote (28 % zu 72 %). Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 3.366,40 Euro. Hiervon obsiegte die Klägerin lediglich im Hinblick auf die Gehaltsabrechnung für Oktober 2022 (105,00 Euro) sowie in Bezug auf den Teil ihres Urlaubsabgeltungsanspruches, mit welchem der Beklagte die Aufrechnung erklärt hat (217,55 Euro). Hieraus ergibt sich die für das Berufungsverfahren tenorierte Kostenquote. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ArbGG nicht gegeben sind. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72a ArbGG wird ausdrücklich hingewiesen.
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