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LAG München, Urteil vom 03.12.2009, 4 Sa 602/09
Schlagworte: | Lohn und Gehalt, Sittenwidrigkeit | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht München | |
Aktenzeichen: | 4 Sa 602/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 03.12.2009 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | 4 Ca 315/07 Tr Arbeitsgericht Rosenheim Kammer Traunstein | |
4 Sa 602/09
4 Ca 315/07 Tr (ArbG Rosenheim - Kammer Traunstein -)
Verkündet am: 03.12.2009
Hömberg Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht München
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
L.
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtssekretärin B. und Kollegen
gegen
Firma S. GdbR
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. K.
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger und die ehrenamtlichen Richterin Bilobrk sowie den ehrenamtlichen Richter Weyrich
4 Sa 602/09
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für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim – Kammer Traunstein - vom 07. April 2009 – 4 Ca 315/07 Tr – in den Ziffern 1. und 2. abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 25.686,94 EUR (i.W.: fünfundzwanzigtausendsechshundertsechsundachtzig 94/100 EUR) brutto nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus einem Betrag von 1.106,14 EUR brutto seit 01.05.2005,
- aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.06.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.07.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.08.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.09.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.10.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.11.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.12.2005, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.01.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.02.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.03.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.04.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.05.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.06.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.07.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.08.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.09.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.10.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.11.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.12.2006, - aus einem weiteren Betrag von 1.229,04 EUR brutto seit 01.01.2007
zu bezahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d :
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten als ihrer ehemaligen Arbeitgeberin Vergütungsnachzahlungsansprüche wegen angenommener Nichtigkeit der arbeitsvertraglichen Entgeltvereinbarung aufgrund deren Sittenwidrigkeit geltend.
Die - ausweislich der vorgelegten Unterlagen: am 00.00.1975 geborene - Klägerin ist staatlich anerkannte Altenpflegerin (in Kopie vorgelegte Urkunde der Regierung von Oberbayern vom 01.04.2000 über die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpflegerin“ in Anl. K4, Bl. 42 d. A.). Nach dem unbestritten gebliebenen erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten hatte sie nach Beschäftigungsverhältnissen in anderen Senioreneinrichtungen im Zeitraum vom Januar 2004 bis insgesamt Februar 2005 eine „persönliche Pause“ genommen und sodann eine Kur absolviert. Mit Schreiben vom 02.03.2005 (Anl. B1 und B2, Bl. 197/198 d. A.) bewarb sich die Klägerin bei der Beklagten, die ein Seniorenheim mit, nach ihren Angaben, 51 Bewohnerplätzen – mit unterschiedlicher Bewohnerstruktur, wobei etwa 60 % der Bewohner in einer Pflegestufe eingestuft seien - betreibt, als „Altenpflegekraft/Altenpflegehilfskraft“. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 04.04.2005 (Anl. K1, Bl. 9 bis 11 d. A.) wurde die Klägerin von der Beklagten zunächst befristet als „Altenpflegerin“ eingestellt. In diesem Arbeitsvertrag ist u. a. näher bestimmt:
„...
4. ARBEITSZEIT
Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 42 Stunden in der Woche. Beginn und Ende
der täglichen Arbeitszeit richten sich nach dem Dienstplan des Arbeitgebers.Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, im gesetzlich zulässigen Rahmen Sonntags- und Feiertagsarbeit zu leisten. Die arbeitsfreien Tage richten sich nach dem Dienstplan. Nicht ausdrücklich von der Heimleitung angeordnete Überstunden werden nicht vergütet.
...
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6. LOHN UND GEHALT
Der Arbeitnehmer erhält ein(en) Monatsgehalt (-lohn) von 750,-- € brutto und 100,-- € Zuschläge.
...
13. GELTENDMACHUNG VON ANSPRÜCHEN
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bezüglich Mehrarbeit, rückständigem Lohn u. ä. sind innerhalb von zwei Monaten geltend zu machen Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind alle daraus herrührenden sonstigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach Beendigung geltend zu machen. Nach Ablauf der genannten Fristen ist der Anspruch verwirkt.
...“
Die Klägerin war nach ihrem unbestritten gebliebenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung in Schichtarbeit im Früh- und Spätdienst (von 6.30 Uhr bis insgesamt 21.00 Uhr) - nicht im Nachtdienst -, regelmäßig auch an Wochenenden und an Feiertagen, tätig. Nach den Gehaltsabrechnungen erhielt sie neben der vereinbarten Bruttomonatsvergütung von 750,-- € jeweils eine „Nachtzulage“ von 50,-- € monatlich sowie einen „Sonn-Feiertag-Zuschlag“ von ebenfalls 50,-- € monatlich - beide Beträge dort offensichtlich jeweils als steuerfreie Bezüge angesetzt -. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.12.2006.
Im vorliegenden Rechtsstreit, der mit Klageschriftsatz vom 09.05.2007 eingeleitet wurde, macht die Klägerin Entgeltnachzahlungsansprüche für den gesamten Beschäftigungszeitraum vom 04.04.2005 bis 31.12.2006 mit der Begründung geltend, dass die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung im Hinblick auf die tarifvertragliche als hierbei maßgebliche übliche Vergütung von ca. 2.000,-- € brutto/Monat - bei einer jeweils geringeren Arbeitsstundenzahl/Woche - wegen Sittenwidrigkeit nichtig und die Beklagte deshalb zur Nachzahlung entsprechender Gehaltsdifferenzansprüche verpflichtet sei.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 07.04.2009, das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24.06.2009 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses die Klage in der Sache mit der Begründung abgewiesen hat, dass die Kläge-
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rin keine Tatsachen vorgetragen habe, aus denen sich ergeben würde, dass die arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. StGB) oder gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 2 oder Abs. 1 BGB) verstoßen hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sei bei der Prüfung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung der objektive Wert der Leistung des Arbeitnehmers zu beurteilen, wobei Ausgangspunkt hierfür in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges seien, wenn dort üblicherweise der Tariflohn gezahlt werde; andernfalls sei bei der Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung vom allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass im Landkreis T. Arbeitskräfte im Bereich der Altenhilfe nur zu Tariflohnsätzen gewonnen werden könnten, da sich nach dem Vortrag der Klägerin dort 18 vergleichbare Heime befänden, von denen neun Heime tarifgebunden, damit ebenfalls neun Heime privater Träger nicht tarifgebunden seien. Die verkehrsübliche Vergütung im Landkreis T. entspreche daher nicht einer tariflichen Vergütung, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass von privaten Trägern Arbeitskräfte nur zu den Tariflohnsätzen gewonnen werden könnten, was auch gerichtsbekannt sei. Es sei deshalb vom allgemeinen Lohnniveau bei den privaten Trägern im Landkreis T. auszugehen, wobei bei solchen Trägern ohne Tarifvertrag die Einkommenshöhe für examinierte Altenpflegekräfte nach eigenem Vortrag der Klägerin ca. 1.600,-- € brutto bei einer 40-Stunden-Woche betrage. Die Klägerin hätte hinsichtlich des maßgeblichen objektiven Wertes ihrer Arbeitsleistung auch Tatsachen dazu darlegen müssen, dass ihre Leistungen für die Beklagte den Tätigkeiten einer Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung entsprochen hätten, was die Klägerin nur pauschal behauptet habe. Aufgrund der besonderen Umstände, dass die Klägerin vor Beginn ihrer Tätigkeit bei der Beklagten im April 2005 wegen einer persönlichen Ruhepause und einer anschließenden Kur 14 Monate nicht berufstätig gewesen sei und ihre Tätigkeit bei der Beklagten sich deshalb als ein „Wiedereinstieg“ in den Beruf dargestellt habe, könne nach dem ersten Anschein nicht davon ausgegangen werden, dass ihre Tätigkeit bei der Beklagten nach deren objektivem Wert tatsächlich dem einer Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung entsprochen habe. Wenngleich sie als solche eingestellt gewesen sei, habe eine Tätigkeitsbeschreibung gefehlt, weshalb eine Beurteilung des objektiven Wertes der Leistung der Klägerin für das Gericht nicht vorgetragen und eine Prüfung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen ihrer Leistung und der Gegenleistung für das Gericht
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nicht möglich gewesen seien. Die Frage eines Verfalls von etwaigen Ansprüchen der Klägerin nach der Ausschlussfristenregelung in Ziffer 13 des Arbeitsvertrages, wie von der Beklagten ebenfalls eingewandt, nach dessen Inhaltskontrolle könne damit dahingestellt bleiben.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin mit Schriftsatz vom 22.07.2009, am selben Tag zunächst per Telefax beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung sie mit am selben Tag zunächst wiederum per Telefax eingegangenem Schriftsatz vom 24.08.2009 ausgeführt hat, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Üblichkeit der Tarifvergütung dann angenommen werden könne, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden seien oder diese mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigten. Da vorliegend die organisierten Arbeitgeber, die die größeren Heimeinrichtungen mit einer damit höheren Bettenzahl und auch mehr Personal im Landkreis T. betrieben, deshalb mehr als 50 % der Arbeitnehmer beschäftigten, sei als übliche Vergütung die tarifliche Vergütung zugrunde zulegen. Die Klägerin habe die arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten einer Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung im Bereich der Grundpflege und ebenso im Bereich der Behandlungspflege auch tatsächlich ausgeführt. Sie habe wie alle übrigen Pflegekräfte der Beklagten, auch deren Altenpflegerinnen und Altenpflegehelferinnen, gelegentlich geputzt und gekehrt. Schichtleitungstätigkeiten, wie von der Beklagten eingewandt, gehörten nicht zwingend zum Aufgabengebiet einer examinierten Altenpflegerin und seien deshalb für eine Unterscheidung zwischen den Tätigkeiten einer Altenpflegerin und einer Altenpflegehelferin untauglich. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen spreche auch nicht ein „Wiedereinstieg“ bei der Beklagten dafür, dass die Tätigkeit der Klägerin nicht der einer Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung entsprochen hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liege ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dann vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreiche. Als tarifüblich sei vorliegend ein Monatslohn nach den Tarifverträgen für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt anzusehen, da die Tarifverträge der Verbände der freien Wohlfahrtspflege die branchenübliche Vergütung darstellten. Unter Zugrundelegung eines allgemeinen Lohnniveaus sei für eine Altenpflegerin eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 1.600,-- € brutto bei einer 40-
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Studen-Woche anzusetzen. Auch hiernach habe die Klägerin mit einer Vergütung von nur 750,-- € brutto/Monat nicht einmal 50 % des üblichen Lohnes erhalten. Die Klägerin habe sich aufgrund ihrer vorangegangenen Biografie und des Umstandes, Alleinverdienerin zu sein, in einer Zwangslage befunden, da das Finden einer „ordentlichen“ Beschäftigung erkennbar nicht einfach gewesen sei. Die Beklagte habe diese offensichtliche Schwächesituation der Klägerin ausgebeutet, weshalb Lohnwucher im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB vorliege, mindestens ein wucherähnliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe nach der allgemeinen Lebenserfahrung Kenntnis der üblichen und tariflichen Vergütungen für Altenpflegekräfte und Altenpflegehilfskräfte und deshalb gewusst, dass ein solches Missverhältnis zwischen der Tätigkeit der Klägerin und einer Vergütung von 750,-- € brutto/Monat bei einer 42-Stunden-Woche vorliege.
Die Klägerin beantragt:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim - Kammer Traunstein - vom 24.03.2009 (4 Ca 315/07 Tr) wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin folgende Beträge zu bezahlen:
2. € 1.106,14 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2005.
3. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2005.
4. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.07.2005.
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6. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2005.
7. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.10.2005.
8. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.11.2005.
9. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.12.2005.
10. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2006.
11. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2006.
12. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.03.2006.
13. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.04.2006.
14. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.05.2006.
15. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.06.2006.
16. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.07.2006.
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17. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.08.2006.
18. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2006.
19. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.10.2006.
20. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.11.2006.
21. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.12.2006.
22. € 1.229.04 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2007.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihres Antrages auf Zurückweisung der Berufung vor, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Üblichkeit der Tarifvergütung dann angenommen werden könne, wenn entweder mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden seien oder die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigten. Nach dem Sachvortrag der Klägerin werde erstere Alternative nicht erfüllt, da nicht mehr als 50 % der Arbeitgeber tarifgebunden seien und im Übrigen ein Landkreis nicht automatisch eine Wirtschaftsregion darstelle. Hinsichtlich der zweiten Variante trage die Klägerin nichts ausreichend Konkretes vor, sondern äußere lediglich eine Vermutung. Die Klägerin nenne keinerlei konkrete Zahlen hinsichtlich einer Mitarbeiterzahl, sondern beschränke sich im Wege einer fragwürdigen pauschalen Vermutung darauf zu behaupten, Heime mit einer größeren Bettenzahl würden mehr Arbeitnehmer beschäftigen. Des Weiteren sei es falsch, dass die Klägerin als Altenpflegerin tätig gewesen sei, zumal sich die Tätigkeiten einer Altenpflegekraft einerseits und einer Altenpflegehilfskraft andererseits zu allenfalls 40 % überschnitten. Dokumentationsaufgaben könnten durchaus auch
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von einer Altenpflegehilfskraft erledigt werden. Die Verteilung der von einer Altenpflegekraft bereitgestellten Medikamente könne, ebenso wie das Blutdruckmessen etc., unter Aufsicht einer Altenpflegekraft auch von einer Altenpflegehilfskraft vorgenommen werden. Die von ihr (umfangreich) aufgelisteten Tätigkeiten der Behandlungspflege habe die Klägerin nicht erbracht - sie habe kein Insulin gespritzt, keine Medikamente bereitgestellt und Bewohner nicht im Hinblick auf Reaktionen auf die Medikamente usw. beobachtet. Die Zubereitung von Sondennahrung, das Anschließen und die Überwachung der Verabreichung der Sondennahrung, das Anlegen eines Katheters sowie die Beobachtung des Urins im Hinblick auf die Konzentration, die Blutanteile ... seien die typischen Aufgaben einer Schichtleiterin, als welche die Klägerin nie tätig gewesen sei. Jede Schicht, in der die Klägerin gearbeitet habe, sei von einer Altenpflegekraft geführt worden, wobei die Klägerin eher im Bereich einer Stationshilfe mitgearbeitet, die Grundpflege erledigt, die Mahlzeiten ausgegeben und bereitgestellte Medikamente unter Aufsicht verteilt habe usw. Da die Klägerin vor ihrer Einstellung zwei Monate im Rahmen einer psychosomatischen Kur wegen Mobbings in der Vergangenheit verbracht gehabt habe, seien sich die Parteien im Rahmen der Einstellung einig gewesen, dass die Klägerin Hilfstätigkeiten ausüben würde, um die Belastung in der Vergangenheit zu vermeiden. Die Klägerin selbst habe den Vorschlag unterbreitet, dass ihr ein Wiedereinstieg gewährt werden solle, weshalb sie auch bereit gewesen sei, mit geringerwertigen Tätigkeiten betraut zu werden, und sie auch mit der Vergütung einverstanden gewesen sei. Unter Berücksichtigung der pauschalierten Zuschläge in Höhe von 100,-- € errechne sich ein Nettoverdienst von über 700,-- €. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin wäre jedenfalls im Hinblick auf die Ausschlussfristenregelung in Ziffer 13 Satz 2 des Arbeitsvertrages erloschen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 24.08.2009 und vom 12.10.2009 sowie ihre Einlassungen im Rahmen ihrer Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung am 19.11.2009 gemäß der Feststellungen in der dortigen Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I.
Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Entgegen der, mit der vorliegenden Begründung kaum nachvollziehbaren, Ansicht des Arbeitsgerichts war die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung gemäß § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig (dazu 2.), weshalb die Beklagte die eingeklagte Differenz zur üblichen Vergütung im geltend gemachten Umfang vollständig zu zahlen hat (dazu 3.), ohne dass dem ein, teilweise oder vollständiger, Verfall der Ansprüche nach der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung entgegensteht (dazu 4.).
1. Die Leistungsklage konnte gegen die Beklagte als BGB-Gesellschaft unmittelbar gerichtet werden, da - was keiner näheren Begründung bedarf – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts als solche aktiv und passiv parteifähig ist (BAG, U. v. 01.12.2004, 5 AZR 597/03, und U. v. 17.07.2007, 9 AZR 819/06, AP Nrn. 14 und 17 zu § 50 ZPO; BGH, U. v. 29.01.2001, II ZR 331/00, BGHZ 146, S. 341 f):
2. Die im Arbeitsvertrag der Parteien vom 04.04.2005 getroffene Vergütungsvereinbarung verstößt gegen die guten Sitten und ist deshalb nach § 138 BGB nichtig.
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a) Die Sittenwidrigkeit der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung kann sich aus dem Vorliegen von Wucher im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB bzw. eines wucherähnlichen Tatbestandes im Rahmen der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB ergeben.
In beiden Fällen liegt ein einschlägiger Sachverhalt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen und weitere als sittenwidrig zu beurteilende Umstände hinzukommen, also diese Vertragsregelung nach ihrem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter - zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses - mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Hierbei sind weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich - es genügt vielmehr, dass der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt (vgl. nur BAG, U. v. 26.04.2006, 5 AZR 549/05, AP Nr. 63 zu § 138 BGB - Rzn. 16 f der Gründe, m. w. N. zur Rspr. des BGH und des BAG -).
Ein derartiges auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, wie es sowohl der spezielle Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB als auch der wucherähnliche Tatbestand im Rahmen der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB voraussetzen, ist näher gegeben, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten regelmäßigen Tariflohns, des üblichen Tarifentgeltes des betreffenden Wirtschaftszweiges im betreffenden Wirtschaftsgebiet - hilfsweise das allgemeine Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet -, als Vergleichsmaßstab für die übliche und angemessene Vergütungshöhe erreicht. Maßgebend als Referenzwert ist hierbei die tarifliche Regelvergütung, ohne besondere Zuschläge, Zulagen o. ä.
Eine Üblichkeit der Tarifvergütung als pauschalierter Marktwert der Arbeitsleistung kann hiernach zugrunde gelegt werden, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen (so jetzt, im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH zum Tatbestand des Lohnwuchers nach § 302 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB aF, BAG, U. v. 22.04.2009, 5 AZR 436/08, NZA 2009, S. 837 f - Rzn. 13 f, m. w. N. -).
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b) Hier hat die Klägerin nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung eine Vergütung von weit weniger als zwei Dritteln - nicht viel mehr als ein Drittel - der maßgeblichen Tarifentlohnung als verkehrsüblicher Vergütung erhalten.
aa) Es kann aufgrund der nachfolgenden Ausführungen im Ergebnis und letztlich offen bleiben, ob als maßgebliches „Wirtschaftsgebiet“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BAG – also eines nach seinen tatsächlichen Bedingungen/Verhältnissen repräsentativen Referenzgebietes - nur die Träger und die Struktur von Altenpflegeeinrichtungen im Landkreis T. im Engeren zugrunde gelegt wird, wie dies die Klägerin ohne weiteres ansetzen will – was die Beklagte zurecht angreift - , oder ein jedenfalls größeres geographisches Referenzgebiet - etwa der Regierungsbezirk Oberbayern als nächstgrößere Verwaltungsebene oder der Freistaat Bayern (ggf. auch das Bundesgebiet - das Gebiet der alten Bundesländer - insgesamt) -. Die Trägerstruktur von Altenpflegeeinrichtungen ist - gerichtsbekannt - in allen geographischen Teileinheiten zunächst im Gebiet des Freistaates Bayern, außerhalb letztlich unmaßgeblicher spezifischer regionaler Trägerkonzentrationen und Schwerpunkten im Einzelfall, zumindest ähnlich und vergleichbar, wie es sich unschwer aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere den - im Internet und in ausgedruckter Form jederzeit und unproblematisch verfügbaren - Statistischen Berichten des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung ergibt (etwa: „Heime der Altenhilfe in Bayern“ von Juni 2007, Stand 15.12.2006, mit umfassenden tabellarischen Übersichten der Heime der Altenhilfe in Bayern nach Heimarten, Art des Träges, weiter nach Größe, verfügbaren und belegten Plätzen (Bewohner/innen), Personal und Personalstruktur, Qualifikationsniveau der Beschäftigten u. a. und differenziert nach Regierungsbezirken/Gemeinden/kreisfreien Städten und Landkreisen - auf das sich, nach einer älteren Fassung, ansatzweise auch die Klägerin in der Anlage K3 – Bl. 39 f d.A. – bezieht). Es macht sonach im Ergebnis keinen entscheidenden Unterschied, welche geographische Referenzeinheit als „Wirtschaftsgebiet“ und damit maßgebliche Vergleichsfolie herangezogen wird.
Hiernach sind zunächst im Regierungsbezirk Oberbayern wie im Gesamtgebiet des Freistaates Bayern die Rechtsträger der weit überwiegenden Zahl von Altenheimen/Altenpflegeeinrichtungen (einschließlich von Abteilungen für betreutes Wohnen, geronto-psychiatrischen Betreuungsbereichen/Stationen u. ä.) zum einen öffentliche Träger
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entweder unmittelbar - insbesondere öffentlichrechtliche Gebietskörperschaften wie Gemeinden, Städte, Landkreise – oder als formal privatrechtlich organisierte Rechtsträger, deren Kapital sich unmittelbar in öffentlicher Hand befindet – zahlreiche GmbHs/gGmbHs, z. B. MünchenStift gGmbH als „Tochtergesellschaft“ der Landeshauptstadt München mit etwa 13 meist sehr großen Altenpflegeeinrichtungen im Gebiet der Landeshauptstadt München -, und zum anderen die großen Träger der Freien Wohlfahrtspflege (v.a. Arbeiterwohlfahrt, Bayerisches Rotes Kreuz und dessen Unterorganisationen, Caritasverbände der bayerischen Diözesen der Katholischen Kirche, Diakonisches Werk und Innere Mission im Bereich der evangelischen Kirche, Paritätischer Wohlfahrtsverband). Die kommunalen und sonstigen öffentlichen Träger, auch in der formal privatrechtlichen Organisationsstruktur insbesondere der (g)GmbH, und die Träger der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt – Bezirks- und Kreisverbände - , die Einrichtungen des Bayerischen Roten Kreuzes und die kirchlichen Heimeinrichtungen) unterhalten weiter überproportional die, nach Zahl der Bewohner und damit nahezu übereinstimmend korreliert der Beschäftigten, größeren/großen Einrichtungen der Altenhilfe:
Nach dem nämlichen statistischen Bericht „Heime der Altenhilfe in Bayern“ des Bayerischen Statistischen Landesamtes mit dem - letzterreichbaren und im streitgegenständlichen Zeitraum aktuellen - Stand vom 15.02.2006 haben von insgesamt 1.344 Heimen/stationären Einrichtungen der Altenhilfe in Bayern-Altenheim/Altenwohnheime und Altenpflegeheime, Schwesternaltenheime - 211 Heime (= ca. 14,3 %) öffentliche Träger und 752 Einrichtungen (= ca. 56 %) Träger der Freien Wohlfahrtspflege, dagegen nur 400 Einrichtungen (= ca. 29,8 %) private (gewerbliche) Träger (wie dies ersichtlich die Beklagte ist).
Nach Bewohnerplätzen differenziert verfügen hiernach die Heime der Altenhilfe - Altenheime/Altenwohnheime und Altenpflegeheime sowie Schwesternaltenheime insgesamt – in öffentlicher Trägerschaft in Bayern sogar über 15.710 (= ca. 15,30 %) von insgesamt 102.655 verfügbaren Bewohnerplätzen, die Träger der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Einrichtungen des Bayerischen Roten Kreuzes, die gesamten kirchlichen Träger, Paritätischer Wohlfahrtsverband etc.) über 60.537 (= ca. 59 %) von insgesamt 102.655 verfügbaren Bewohnerplätzen, private (gewerbliche) Träger nach diesem statistischen Differenzierungsmodell dagegen über nur 26.408 (= ca. 25,7 %) der gesamten Bewohnerplätze. Im Verhältnis ähnlich sind in den Heimen der Altenhilfe in Bayern - Altenheime/Altenwohnheime, Altenpflegeheime sowie Schwesternaltenheime insgesamt
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– von den insgesamt 82.530 (in allen Tätigkeitsbereichen) dort Beschäftigten 12.876 Personen (= ca. 15,60 %) bei öffentlichen Trägern und 51.503 Personen (= ca. 62,4 %) bei den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege tätig, nur 18.151 Personen (= ca. 22 %) bei privaten (gewerblichen) Trägern.
Vergleichbare Zahlen ergeben sich in denselben Veröffentlichungen des Bayerischen Statistischen Landesamtes jeweils und insgesamt – außerhalb letztlich unmaßgeblicher regionaler Schwerpunktsetzungen und tradierter Trägerkonzentrationen - bei Differenzierung dieser Parameter jeweils nach Regierungsbezirken – hier dem Regierungsbezirk Oberbayern - , Gemeinden, kreisfreien Städten und Landkreisen in Bayern – hier dem Landkreis T. -.
Gerundet haben somit die Heime/stationären Einrichtungen der Altenhilfe in Bayern insgesamt zu etwa 70 % öffentliche Träger und Rechtsträger der Freien Wohlfahrtspflege, dort befinden sich sogar etwa 75 % der Bewohnerplätze und (überproportional) parallel über 75 % der Beschäftigten dieses Sozialbereichs. Letzterem liegt nahezu auf der Hand liegend auch zu Grunde, dass jedenfalls die Mehrzahl der größeren Einrichtungen dieses Sozialbereiches, die Altenheime etc. mit vergleichsweise vielen Bewohnerplätzen, im Regelfall von öffentlichen Trägern und den etablierten großen Trägern der Freien Wohlfahrtspflege unterhalten werden, während die Heime in privater (gewerblicher) Trägerschaft im typischen und Durchschnittsfall eher – nach Zahl der Bewohnerplätze und Arbeitnehmern - kleinere Einrichtungen (wie im vorliegenden Fall) sind. Dies ist ebenso gerichtsbekannt wie die Tatsache, dass sich die Personalschlüssel – und damit die Beschäftigtenzahlen - sämtlicher Einrichtungen schon aufgrund der üblichen Verträge mit den Kostenträgern nach dem SGB XI und den Sozialhilfeträgern (s. u.) und der diesen inhärenten Kostenkalkulationsstruktur gewöhnlich nicht signifikant unterscheiden.
Bei den öffentlichen Rechtsträgern und den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege gelten jedoch - unbestritten und auch unzweifelhaft und gerichtsbekannt - die tarifvertraglichen Regelungen nunmehr des TVöD (ggf. des TV-L) und vergleichbarer Tarifverträge. Diese Rechtsträger sind nahezu ausnahmslos, auch bei einer formalen Organisation öffentlicher Rechtsträger in der Rechtsform der (g)GmbH, tarifgebunden und nehmen im Übrigen in aller Regel und etabliert des weiteren einzelvertraglich, qua Verweisungsklausel, auf diese tarifvertraglichen Bestimmungen Bezug. Bei den Rechtsträgern der Freien
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Wohlfahrtspflege gelten ebenso, mit dem TVöD/TV-L vergleichbare, tarifvertragliche Bestimmungen bzw. solche der kirchenspezifischen Arbeitsvertragsrichtlinien (Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Arbeitswohlfahrt (BMT-AW II), Haustarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes – der im wesentlichen auf den, nunmehr, TVöD verweist -, AVR des Deutschen Caritasverbandes, Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk Bayern angeschlossen sind - AVR-Bayern -; AVR des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ... , zum Teil wenden einzelne kirchliche Träger gerichtsbekannt die einschlägigen tariflichen Bestimmungen auch unmittelbar an). Die Tarifverträge der Arbeiterwohlfahrt und der Haustarifvertrag des Bayernischen Roten Kreuzes - der seinerseits im Wesentlichen auf die tarifrechtlichen Regelungen des TVöD in dynamisierter Form und Fassung verweist - sind mit derselben Gewerkschaft (Dienstleistungsgewerkschaft ver.di) abgeschlossen wie der TVöD, sodass die Entgeltregelungen, die Wochenarbeitszeit usw. weitgehend mit denjenigen des TVöD übereinstimmen. Gleiches gilt für die kirchenspezifischen AVR-Regelungen, die im wesentlichen die tarifvertraglichen Regelungen – auch und gerade deren Vergütungsniveau, vielfach bis ins Detail – übernehmen oder sich eng hieran orientieren. Die von der Klägerin bereits im Klageschriftsatz vom 09.05.2007 und in der Tabelle der dortigen Anlage 1 (Bl. 12 d. A.) aufgelisteten – identischen bzw. sehr ähnlichen - Vergütungssätze für Altenpflegeheime nach diesen tarifvertraglichen bzw. AVR-Regelungen sind von der Beklagten auch nicht bestritten.
Bei den übrigen privaten/gewerblichen Rechtsträgern gemäß der Differenzierungssystematik der einschlägigen Veröffentlichungen des Bayerischen Statistischen Landesamtes ist wiederum, auch gerichtsbekannt, zu berücksichtigen, dass diese Einrichtungen zum einen, gerade im oberbayerischen Voralpenland (dem Gebiet der Einrichtung der Beklagten), in einer nicht zu vernachlässigenden Größenordnung im Wesentlichen exklusiv das „gehobene“ Segment, von, nach ihrem Verständnis und ihrer Positionierung, anspruchsvolleren (und „teureren“) Seniorenwohnstiften bedienen, und im Übrigen - wiederum gerichtsbekannt - die privaten (gewerblichen) Einrichtungsträger auch im normalen „Heimmarkt“ (Grund-)Gehälter im Regelfall vergleichbar oder übereinstimmend mit denjenigen des öffentlichen Dienstes bzw. den bei den genannten Trägern der Freien Wohlfahrtspflege und im frei gemeinnützigen Bereich generell zahlen – anbieten werden müssen, da diese angesichts des eben von den Arbeitgebern des öffentli-
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chen Dienstes und der Freien Wohlfahrtspflege dominierten Arbeitsmarktes auf der Hand liegend sonst kaum ausreichend qualifiziertes Personal (das schon im Hinblick auf die Verträge mit den Pflegekassen nach dem SGB XI und die Auflagen der Heimaufsicht usw. in einer bestimmten Quote vorgehalten werden muss) rekrutieren könnten ... (was nicht nur im normalen Heimmarkt, sondern erst recht im gehobenen Segment der Seniorenwohnstifte gilt). Woher das Arbeitsgericht seine lapidare und durch nichts begründete andere Auffassung nehmen will, bleibt sein Geheimnis.
Die tarifliche Vergütung - nach dem TVöD (TV-L) und den vergleichbaren Entgelttarifverträgen/Tarifregelungen bei den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, ebenso, im Wesentlichen übereinstimmend, bei den kirchlichen Rechtsträgern (Caritasverbände, Diakonisches Werk ...) - stellt damit im obigen Sinn die – unabhängig von der Frage der geographischen Abgrenzung des „Wirtschaftsgebietes“ - maßgebliche übliche Vergütung als Referenzmaßstab für die rechtliche Beurteilung eines etwa auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB dar.
bb) (1) Die Durchschnittsvergütung für als solche ausgebildete Altenpfleger/innen beträgt nach den einschlägigen tarifvertraglichen und kirchlichen AVR-Bestimmungen, auch nach der – unbestritten gebliebenen - Auflistung der Klägerin in Anlage K2 zum Klageschriftsatz, innerhalb eines sehr engen Korridors, etwa 2.000,- € brutto/Monat (bei einer niedrigeren Wochenarbeitszeit als der im Arbeitsvertrag der Parteien hier vereinbarten).
(2) Selbst ohne - im Sinne einer konsequenten systematischen Vergleichbarkeit der Vergütungsregelungen allerdings gebotene - Umrechnung auf die unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten (s.u.) erhielt die Klägerin bei einer Vergütung von 750,-- € brutto/Monat gemäß der arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit der Beklagten wenig mehr als ein Drittel dieser üblichen Vergütung als Tarifvergütung (bzw. Vergütung nach den kirchlichen AVR-Regelungen) - nicht etwa erst im Bereich von lediglich etwa knapp zwei Dritteln dieser Referenzvergütung als Maßstab im Sinne des § 138 BGB.
Anders ausgedrückt: Der üblichen, weil tarif- bzw. AVR-vertraglichen, (Anfangs-!)Vergütung von Altenpflegerinnen von, etwa 2.00 € brutto/Monat liegt, je nach kon-
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kreter Wochenarbeitszeitregelung von jeweils ca. 39/40 Wochenstunden, ein rechnerischer Stundensatz von ca. 11,50/12,-- € brutto zugrunde. Die Vergütungsvereinbarung mit der Klägerin entspricht, angesichts auch einer 42-stündigen Wochenarbeitszeit, einem Stundenentgelt von (750,- € brutto/Monat x drei Monate/Quartal : 13 Wochen/Quartal : 42 Stunden/Woche =) 4,12 € brutto ...
(3) Unmaßgeblich – und vom Ergebnis her letztlich irrelevant - ist hierbei, dass die Klägerin nach dem Arbeitsvertrag neben der Grundvergütung von 750,-- € brutto/Monat weiter einen Betrag von 100,-- € als „Zuschläge“ erhalten sollte:
Zum einen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (U. v. 22.04.2009, aaO - Rz. 18 der Gründe -) (tarifliche) Zulagen und Zuschläge für besondere Arbeiten und Arbeitszeiten usw. bei der Vergleichsberechnung im Rahmen des § 138 BGB nicht zu berücksichtigen - maßgeblich soll nur die regelmäßig gezahlte Vergütung, also das Grundentgelt sein -.
Auch wenn dies ohne Weiteres und uneingeschränkt auch bei, naturgemäß und regelmäßig, von (Wechsel)Schichtarbeit geprägten Pflegetätigkeiten und den besonderen Arbeitsbedingungen in stationären Einrichtungen der Altenhilfe (wie etwa der Krankenhäuser) – also bei damit typischerweise zeitzuschlags- und auch zulagenrelevanten Tätigkeiten - gelten sollte, können die pauschalen monatlichen „Zuschläge“ von 100,-- € gemäß Arbeitsvertrag der Parteien hier nicht etwa als zusätzlicher und in die Vergleichsberechnung - mit welchem Ergebnis auch immer - einzubeziehendes Grundentgelt, mit Lohnunterschiede nivellierender Wirkung, berücksichtigt werden: Wie in solchen stationären Pflegeeinrichtungen typisch und zwangsläufig hat die Klägerin nach ihrem unbestritten gebliebenen Vorbringen in den beiden praxisüblichen Tagschichten - Frühdienst und Spätdienst, mit einer Schichtspreizung von 14,5 Stunden - gearbeitet. Die Klägerin hätte damit ohne Weiteres Anspruch auf angemessene – und nicht nur tarif-/AVR-rechtlich übliche und durchgängig normierte ! - Erschwerniszuschläge für die Leistung von Arbeitsstunden zu ungünstigen Zeiten (Sonntags-, Feiertags-, ggf. Samstagsarbeit) – bei dieser Schichtspreizung auch auf die seit 1989 im gesamten Tarifrecht und in sämtlichen AVR-Bestimmungen etablierte monatliche Schichtzulage - und auf Ersatzruhetage für Arbeit an Sonn- und Feiertagen gehabt (§ 11 Abs. 3 und Abs. 4 ArbZG, auch Ziff. 6. Satz 5 des Arbeitsvertrages vom 04.04.2005).
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Dass nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – ersichtlich im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelung über (insgesamt) 100,-- € Zuschläge monatlich - monatlich jeweils ein pauschaler „Sonn-Feiertag-Zuschlag“ von 50,-- € und eine weitere pauschale „Nachtzulage“ von ebenfalls 50,-- € (obwohl die Klägerin unbestritten keine Nachtarbeit geleistet hat - was jedoch in dieser Deklarierung die volle Steuerfreiheit einer solchen „Zulage“ indizieren/generieren mag ...) gezahlt wurden, führt entgegen der Ansicht der Beklagten und des Arbeitsgerichts nicht dazu, dass diese monatlichen „Zuschläge“, als hier offensichtlich pauschalierte Erschwerniszuschlagssätze für die geleisteten Dienste zu ungünstigen Zeiten, etwa als weiteres - qua weitgehender gesetzliche Steuerfreiheit von Erschwerniszuschlägen: netto ausgezahltes - Grundentgelt so angesetzt und damit das Gesamtgehalt der Klägerin auf eine fiktive höhere Bruttogesamtgröße hochgerechnet – bzw. eine real höhere Nettovergütung angenommen -, also Differenzen tendenziell nivelliert werden könnten.
cc) Ebenso sind besondere Gründe, zugunsten der Beklagten von der Zwei-Drittel-Grenze gemäß der einschlägigen Rechtsprechung des BAG abzuweichen, hier nicht gegeben.
Die Klägerin muss sich, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts und der Beklagten, nicht entgegenhalten lassen, dass sie die Tätigkeit einer Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung eigentlich nicht in ausreichender Weise erbracht habe:
Die Klägerin, die ausgebildete Altenpflegerin mit staatlicher Anerkennung ist (Urkunde vom 01.04.2000, Bl. 42 d. A.), hatte sich bei der Beklagten zunächst allgemein als „Altenpflegekraft/Altenpflegehilfskraft“ (Anl. B1, Bl. 197 d. A.) beworben und wurde von dieser sodann mit Arbeitsvertrag vom 04.04.2005 ausdrücklich und eindeutig als „Altenpflegerin“, also als ausgebildete Altenpflegekraft, eingestellt. Eben diese Tätigkeit war damit Inhalt ihrer maßgeblichen vertraglich geschuldeten Tätigkeit - nicht diejenige einer Hilfskraft. Ein Einsatz einer Altenpflegerin auch als „Schichtleiterin“, wie die Beklagte dies bezeichnet, - also wohl ein von der zuständigen Heimaufsichtsbehörde und auch aus haftungsrechtlichen Gründen im Regelfall gebotener Einsatz jedenfalls einer voll ausgebildeten (Alten-)Pflegekraft in einer Schicht, neben weniger qualifizierten Beschäftigten -, ist primär ein organisatorisches Innenproblem der Beklagten als kleinerer Pflegeeinrichtungen als ein Tatbestand, der zumal bereits den finanziellen Wert der Arbeitsleistung
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der Klägerin maßgebend mindern, die Beklagte vor allem ohne weiteres zu einer fiktiven und den eigentlichen „Wert“ der Arbeitsleistung der Klägerin abbildenden Lohnminderung oder hypothetisch reduzierten Vergütungsbewertung berechtigen könnte (unabhängig in diesem Zusammenhang davon, ob die Beklagte etwa auch aufgrund der Beschäftigung der Klägerin als voll ausgebildeter Altenpflegerin nach Außen die von der staatlichen Heimaufsicht und den Kostenträgern regelmäßig verlangte 50 %ige Fachkraftquote erfüllte – und ggf. wie die Beklagte im Rahmen der Pflegevergütungsvereinbarungen mit den Kostenträgern (etwa nach §§ 82, 84 (84 Abs. 5 Nr. 2) f SGB XI) die kalkulierten Personalkosten für voll ausgebildetes Fachpersonal, im Fall der Klägerin, verrechnet haben mag ...).
Auch die der Beschäftigung bei der Beklagten vorausgegangene persönliche Auszeit der Klägerin kann nicht ohne weiteres dazu führen, dass die Klägerin – auch entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung - allererst wieder angelernt/“wiedereingegliedert“ und der „Wert“ ihrer Arbeitsleistung zumindest für eine anfängliche Phase geringer angesetzt hätte werden müssen/können. Dass solches, außerhalb einer üblichen Einarbeitungszeit, nach einer (lediglich) einjährigen Unterbrechung bei einer 30-jährigen ausgebildeten Altenpflegerin mit üblichen Aufgaben der Grund- und Behandlungspflege in einem Altenpflegeheim „üblichen“ Zuschnitts überhaupt anzunehmen sein sollte, dafür fehlt es an jeglichem ausreichend nachvollziehbaren, schlüssigen und substantiierten, Vorbringen der Beklagten und Anhaltspunkten sonst.
dd) Eine etwa bestehende - von dieser auch nicht eingewandte - geringere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Einrichtung der Beklagten ist hinsichtlich der Frage der Geltung, ggf. der Unterschreitung, der Zwei-Drittel-Grenze unerheblich (BAG, U. v. 22.04.2009, aaO - Rz. 23 -).
ee) Nach allem unterschreitet hier die arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung mit einer (Grund-)Vergütung von 750,-- € brutto/Monat bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden die ein auffälliges Missverhältnis und damit auf den ersten Blick deren Sittenwidrigkeit im Sinn des § 138 BGB begründende Grenze von zwei Dritteln der üblichen Vergütung nicht etwa knapp - die Vergütung der Klägerin betrug vielmehr nicht sehr viel mehr als lediglich ein Drittel der maßgeblichen Referenzvergütung.
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Selbst wenn – darauf sei nur ergänzend hingewiesen - als übliche Vergütung die tarifvertraglichen bzw. AVR-rechtlichen Vergütungssätze für Altenpflegehilfskräfte angesetzt würden, könnte die Bewertung nicht anders aussehen, da auch dann zumindest die maßgebliche Zwei-Drittel-Grenze evident, weil weit unterschritten würde ...
c) Auch eine abschließende Gesamtwürdigung der streitgegenständlichen Vergütungsvereinbarung kann nichts an deren Bewertung als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB ändern. Besondere Umstände des vorliegenden Falls, die gegen die objektiv - hier allerdings evident - gegebene Sittenwidrigkeit der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung sonst sprechen würden, sind nicht erkennbar. Nach ihrem Gesamtcharakter ist die¬se mit den guten Sitten in evidenter Weise nicht zu vereinbaren. Wie ausgeführt sind hierbei weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, es genügt, dass die für die Beklagte Handelnden, also zunächst deren Inhaber, die Tatsachen kennen, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt (BAG, U. v. 25.04.2006, aaO - Rz. 16 der Gründe, m. w. N. -).
Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst erkennbar, dass die Beklagte sich etwa nur in einem besonderen Segment von Bewohnern mit geringerem Pflege-/Betreuungsaufwand, etwa entsprechend geringeren Honorierungsbedingungen und damit Qualifizierungsanforderungen und Personalkosten bewegen würde. Im Gegenteil befinden sich in der Einrichtung der Beklagten nach ihrer Einlassung im Rahmen ihrer Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren dort 60 % der Bewohner in einer Pflegestufe (I bis III) nach § 15 Abs. 1 SGB XI.
Dass die Inhaber der Beklagten die einschlägigen - nicht nur verbreiteten, sondern in den großen und etablierten Einrichtungen des Altenheimsektors üblichen, veröffentlichten und weitgehend identischen Vergütungsbedingungen nicht gekannt haben sollten, wäre nachgerade abwegig zu unterstellen - die Beklagte wendet dies auch nicht ein.
Die Beklagte hat die Klägerin, die sich in offener Form sowohl als Altenpflegefachkraft als auch, alternativ, als Altenpflegehilfskraft (Altenpflegehelferin) bei ihr beworben hatte, aufgrund ihrer formalen Qualifikation dezidiert als Fachkraft eingestellt (mögli-
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cherweise aus, sich eigentlich aufdrängenden, Gründen auch nach Außen, s.o.) und sie auch im üblichen (Tag-)Schichtdienst eingesetzt. Die Beklagte hat ersichtlich die, von ihr in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren hervorgehobene, Situation „ausgenutzt“, dass die Klägerin sich selbst nach einer persönlichen Auszeit, offensichtlich initiativ, bei der Beklagten beworben hatte. Hätte die Beklagte die Klägerin als bloße Hilfskraft, als Stationshilfe o. ä. – einstellen und beschäftigen wollen, mit einer entsprechenden – die Sittenwidrigkeitsvoraussetzungen/-grenze nicht berührenden - Vergütungsregelung, hätte sie dies so tun müssen. Wenn die Beklagte die Klägerin ausdrücklich als qualifizierte Fachkraft einstellt, schuldet die Klägerin eine entsprechende Leistung - die Beklagte kann nicht im Nachhinein den, streitigen, „Wert“ der Arbeitsleistung der Klägerin, zumal entscheiden, „herunterrechnen“. Auch die Tatsache, dass die Klägerin sich - angesichts des Jahr 2005 in diesem Bereich gerichtsbekannt noch tendenziell, regional differenziert, etwas engeren Arbeitsmarktes als aktuell - „freiwillig“ auf eine solche Vergütungsregelung eingelassen hat, wie die Beklagte weiter einwendet, kann nichts an deren rechtlicher Beurteilung im Rahmen des § 138 BGB ändern (nach ihren Einlassungen ebenfalls in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren habe der Klägerin ein anderer Beschäftigter der Beklagten („stellvertretender Stationsleiter“ o.ä.) anfänglich angedeutet, dass sie nach einer Probezeit schon besser bezahlt werden dürfte ...).
Auch nach einer Gesamtbetrachtung kann an der, unter den vorliegenden Umständen auf der Hand liegenden, Beurteilung der Sittenwidrigkeit der streitgegenständlichen Vergütungsvereinbarung nach Auffassung der Berufungskammer kein vernünftiger Zweifel bestehen.
3. Wegen Verstoßes der Vergütungsvereinbarung gegen § 138 BGB ist diese nichtig, weshalb die Klägerin Anspruch auf den objektiven Wert der Arbeitsleistung hat, der sich nach der verkehrsüblichen Vergütung gemäß § 612 Abs. 2 BGB bestimmt (BAG, U. v. 26.04.2005, aaO - Rz. 26 der Gründe -). Maßgeblich ist hiernach die übliche Vergütung im vergleichbaren Wirtschaftskreis und Wirtschaftsgebiet (BAG, aaO), ggf. – hilfsweise - auch das dort herrschende allgemeine Lohnniveau (BAG, U. v. 23.05.2001, 5 AZR 527/99, EzA Nr. 29 zu § 138 BGB - II. 2. a der Gründe -; U. v. 24.03.2004, 5 AZR 303/03, AP Nr. 59 zu § 138 BGB).
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a) Als die hiernach als „üblich“, weil weitestgehend verbreitet und in allen – den empirisch zahlenmäßig weit überwiegenden - Einrichtungen des stationären Altenhilfebereiches in Bayern (und außerhalb Bayerns) mit öffentlichen Trägern und Trägern der Freien Wohlfahrtspflege angewendet, anzusehende (Referenz-)Vergütung ist die entsprechende (Grund-)Vergütung für Altenpfleger/innen ohne herausgehobene Funktion nach den dort einschlägigen tarifvertraglichen bzw. AVR-Regelungen anzusehen, die im streitgegenständlichen Zeitraum ca./etwas mehr als 2.000,- € brutto/Monat betrug (insbesondere: Vergütungsgruppe Kr IV gemäß Anlage 1b Abschnitt A. zum BAT bzw., nach „Überleitung“ in den TVöD mit dessen Inkrafttreten zum 01.10.2005, Entgeltgruppe 4a ff TVöD (Anlagen zum TVÜ-VKA vom 13.09.2005) - ebenso TV-L -, und die einschlägigen/entsprechenden haustarifrechtlichen Regelungen bei der Arbeiterwohlfahrt und dem Bayerischen Roten Kreuz; Anl. 2a zu den AVR-Caritasverband; Eingruppierungsordnung und Entgelttabellen in den Anlagen 2 und 3 zu den AVR-Diakonie-Bayern, jeweils in deren 2005/2006 geltender Fassung). Die von der Klägerin bereits im Klageschriftsatz in Bezug genommenen und in der Anlage hierzu tabellarisch aufgelisteten regelmäßigen – tarifvertraglichen bzw. AVR-rechtlichen - Vergütungssätze, ohne Zuschläge/Zulagen etc., betragen, bei einer Wochenarbeitszeit von in der Regel 38,5 bis 40 Stunden (§ 6 Abs. 1 TVöD-AT/-BT-B und die sonstigen tariflichen Bestimmungen; § 1 Abs. 1 der Anl. 5 AVR-Caritasverband; § 16 Abs. 1 AVR Diakonie-Bayern), eben ca./mindestens 2.000,-- € brutto/Monat, was auch von der Beklagten nicht angegriffen wird.
Angesichts dort leicht unterschiedlich zugrundeliegender Wochenstundenfestlegungen in den tariflichen bzw. AVR-Vergütungsbestimmungen, die in ihre Differenzierung bei der Hochrechnung der Klägerin in der tabellarischen Auflistung zum Klageschriftsatz augenscheinlich nicht (voll) eingeflossen sind, ergibt sich eine als üblich anzusehende Referenzvergütung von, bei einer Wochenarbeitszeit von 42 Stunden wie derjenigen der Klägerin, etwa 2.100,--/2.150,-- € brutto/Monat - was beim Ergebnis der Klägerin mit einem von ihr angesetzten Durchschnittsbetrag von 2.179,04 € brutto/Monat in etwa berücksichtigt ist.
Da die Klägerin bei ihrer Berechnung im Klageschriftsatz zum geltend gemachten Unterschiedsbetrag zwischen der arbeitsvertraglichen Vergütung bei der Beklagten (750,-- € brutto/Monat) und der üblichen (Referenz-)Vergütung von ca. 2.180,-- € brutto/Monat selbst nochmals einen „Abschlag“ von 200,-- € brutto/Monat (also knapp 10 %
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des von ihr ermittelten Referenzwerts) auf noch 1.979,04 € brutto vornimmt (§ 308 Abs. 1 BGB), ist eine greifbare Grundlage für eine weitergehende Reduzierung des Referenzwertes und/oder des Differenzbetrages nicht erkennbar, auch nicht etwa mittels einer auf seriösen Grundlagen fundierenden Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO denkbar.
Damit schuldet die Beklagte nach § 612 Abs. 2 BGB den eingeklagten Differenzbetrag zwischen der arbeitsvertraglichen Vergütung von 750,-- € brutto/Monat und der von ihr in bereits reduzierter Form angesetzten üblichen (Referenz-)Vergütung von somit 1.229,04 € brutto je vollen Kalendermonat, für April 2005 anteilig, für den gesamten Beschäftigungszeitraum vom 04.04.2005 bis 31.12.2006 in vollem Umfang.
b) Die Entscheidung zu den geltend gemachten Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Ziff. 1 und 614 BGB.
4. Diese Differenzvergütungsansprüche sind nicht nach der Ausschlussfristenregelung in Ziffer 13 des Arbeitsvertrages vom 04.04.2005 verfallen.
Die dortige Regelung unterscheidet - wie tarifsystematisch nicht unüblich - grundsätzlich zwischen Ansprüchen „aus dem Arbeitsverhältnis“ (bzgl. Mehrarbeit, rückständigen Lohnes u. ä.) - worum es sich bei den streitgegenständlichen Entgeltnachzahlungsforderungen der Klägerin handelt – einerseits (Satz 1) und allen aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses „herrührenden sonstigen Ansprüche(n)“ andererseits (Satz 2).
Dass die einzelvertragliche Ausschlussfristenregelung unter Satz 1 dieser Bestimmung als, unstreitig, AGB-Regelung (vgl. §§ 305 Abs. 1, 310 Abs. 3 Ziff. 1 und Ziff. 2 BGB) nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hierzu, weil eine Frist von drei Monaten unterschreitend, nach § 307 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 307 Abs. 2. Nr. 1 BGB rechtsunwirksam ist (seit U. v. 28.09.2005, 5 AZR 52/05, AP Nr. 7 zu § 307 BGB; U. v. 12.03.2008, 10 AZR 152/07, AP Nr. 10 zu § 305 BGB - Rz. 22 der Gründe -), muss nicht näher begründet werden - dem wird auch seitens der Beklagten nicht entgegengetreten. Eine geltungserhaltende Reduktion dieser Vertragsregelung scheidet aus (ebenfalls ständ. Rspr. des BAG und des BGH - was auch die Beklagte wiederum nicht in Anspruch nehmen will).
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Selbst wenn nach dem „blue-pencil-test“ die weitere Ausschlussfristenbestimmung unter Nr. 13 Satz 2 des Arbeitsvertrages isoliert rechtswirksam sein sollte, wie die Beklagte mit nicht unnachvollziehbaren Überlegungen hierzu geltend macht - weil sprachlich teilbar, eindeutig abtrennbar, als Verfallsregelung für spezifisch mit der Vertragsbeendigung zusammenhängende restliche Ansprüche aus sich heraus und für sich verständlich (BAG, zuletzt U. v. 06.05.2009, 10 AZR 443/08, AP Nr. 43 zu § 307 BGB - Rz. 11 der Gründe -; U. v. 12.03.2008, 10 AZR 152/07, AP Nr. 10 zu § 305 BGB - Rzn. 28 f der Gründe -) -, würde diese Bestimmung, falls nicht ihrerseits wiederum als intransparent und damit unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB und die einschlägige Rechtsprechung hierzu) anzusehen, jedenfalls tatbestandlich keine Anwendung finden können. Diese Regelung betrifft ausdrücklich allein aus einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses herrührende („sonstige“) Ansprüche - somit dezidiert nicht solche, die davor, im laufenden Arbeitsverhältnis, entstanden waren. Die streitgegenständlichen Vergütungsdifferenzansprüche betreffen jedoch die einzelnen Monate des aktiven Arbeitsverhältnisses der Parteien von April 2005 bis 31.12.006, damit allein solche vor dessen Beendigung.
4. Damit hat die Berufung der Klägerin in vollem Umfang Erfolg.
III.
Die Beklagte hat damit die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen (§§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
IV.
Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.
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Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.
Burger
Bilobrk
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