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BAG, Ur­teil vom 22.09.2016, 9 AZR 170/14

   
Schlagworte: Urlaubsanspruch
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 170/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.09.2016
   
Leitsätze:

1. Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, gehen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres unter. Der Verfall tritt nicht bereits vor diesem Zeitpunkt tageweise ein.

2. Der entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch ist vererbbar.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Zwickau, Urteil vom 07.06.2013, 7 Ca 118/13
Landesarbeitsgericht Sachsen, Urteil vom 21.02.2014, 3 Sa 467/13
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 170/14
3 Sa 467/13 Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Verkündet am
22. Sep­tem­ber 2015

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes!

UR­TEIL

In Sa­chen

 

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

1.
Kläge­rin zu 1., Be­ru­fungs­be­klag­te zu 1. und Re­vi­si­ons­be­klag­te zu 1.,

2.
Kläge­rin zu 2., Be­ru­fungs­be­klag­te zu 2. und Re­vi­si­ons­be­klag­te zu 2.,

3.
Kläge­rin zu 3., Be­ru­fungs­be­klag­te zu 3. und Re­vi­si­ons­be­klag­te zu 3.,

- 2 - 

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 22. Sep­tem­ber 2015 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow und Klo­se so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Spie­ker­mann und Vogg für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 21. Fe­bru­ar 2014 - 3 Sa 467/13 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Das Ru­brum des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Zwi­ckau vom 7. Ju­ni 2013 - 7 Ca 118/13 - wird mit der Maßga­be be­rich­tigt, dass 1. H, 2. B und 3. J Kläge­rin­nen in Er­ben­ge­mein­schaft nach dem am 15. Mai 2013 ver­stor­be­nen M sind.

3. Der Te­nor des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Zwi­ckau vom 7. Ju­ni 2013 - 7 Ca 118/13 - wird zur Klar­stel­lung neu ge­fasst:

Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin­nen in Er­ben­ge­mein­schaft nach M 2.217,71 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 26. Ju­li 2011 zu zah­len.

4. Der Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

 

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

 

Die Par­tei­en strei­ten in der Re­vi­si­ons­in­stanz noch über die Ab­gel­tung von 14,33 ge­setz­li­chen Ur­laubs­ta­gen des vor­ma­li­gen Klägers (Erb­las­ser).

Die Kläge­rin­nen sind die Er­ben des am 15. Mai 2013 ver­stor­be­nen M (Erb­las­ser). Die­ser war beim Be­klag­ten im Rah­men ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che als Leh­rer beschäftigt. Seit dem 9. Ja­nu­ar 2008 war er als schwer­be­hin­der­ter Mensch an­er­kannt und ab die­sem Zeit­punkt bis zu sei­nem Tod ar­beits­unfähig

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krank. Kraft ein­zel­ver­trag­li­cher In­be­zug­nah­me fand auf das Ar­beits­verhält­nis der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder vom 12. Ok­to­ber 2006 (TV-L) in sei­ner je­weils gel­ten­den Fas­sung An­wen­dung. Die­ser ent­hielt in den vom 1. März 2009 bis zum 31. De­zem­ber 2012 gel­ten­den Fas­sun­gen ua. fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

„§ 26

Er­ho­lungs­ur­laub

(1) Beschäftig­te ha­ben in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub un­ter Fort­zah­lung des Ent­gelts (§ 21). Bei Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit auf fünf Ta­ge in der Ka­len­der­wo­che beträgt der Ur­laubs­an­spruch in je­dem Ka­len­der­jahr

...
nach dem voll­ende­ten
40. Le­bens­jahr 30 Ar­beits­ta­ge.

...
(2) Im Übri­gen gilt das Bun­des­ur­laubs­ge­setz mit fol­gen­den Maßga­ben:

a) Im Fal­le der Über­tra­gung muss der Er­ho­lungs­ur­laub in den ers­ten drei Mo­na­ten des fol­gen­den Ka­len­der­jah­res an­ge­tre­ten wer­den. Kann der Er­ho­lungs­ur­laub we­gen Ar­beits­unfähig­keit oder aus be­trieb­li­chen/dienst­li­chen Gründen nicht bis zum 31. März an­ge­tre­ten wer­den, ist er bis zum 31. Mai an­zu­tre­ten.

b) Be­ginnt oder en­det das Ar­beits­verhält­nis im Lau­fe ei­nes Jah­res, steht als Er­ho­lungs­ur­laub für je­den vol­len Mo­nat des Ar­beits­verhält­nis­ses ein Zwölf­tel des Ur­laubs­an­spruchs nach Ab­satz 1 zu; § 5 Bun­des­ur­laubs­ge­setz bleibt un­berührt.

c) Ruht das Ar­beits­verhält­nis, so ver­min­dert sich die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­laubs ein­sch­ließlich ei­nes et­wai­gen ta­rif­li­chen Zu­satz­ur­laubs für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat um ein Zwölf­tel.
...

§ 33
Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses oh­ne

Kündi­gung

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...

(2) Das Ar­beits­verhält­nis en­det fer­ner mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der Be­scheid ei­nes Ren­ten­ver­si­che­rungs­trägers (Ren­ten­be­scheid) zu­ge­stellt wird, wo­nach die/der Beschäftig­te voll oder teil­wei­se er­werbs-ge­min­dert ist. Die/Der Beschäftig­te hat den Ar­beit­ge­ber von der Zu­stel­lung des Ren­ten­be­scheids un­verzüglich zu un­ter­rich­ten. Be­ginnt die Ren­te erst nach der Zu­stel­lung des Ren­ten­be­scheids, en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des dem Ren­ten­be­ginn vor­an­ge­hen­den Ta­ges. Liegt im Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne nach § 92 SGB IX er­for­der­li­che Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes noch nicht vor, en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Ta­ges der Zu­stel­lung des Zu­stim­mungs­be­scheids des In­te­gra­ti­ons­am­tes. Das Ar­beits­verhält­nis en­det nicht, wenn nach dem Be­scheid des Ren­ten­ver­si­che­rungs­trägers ei­ne Ren­te auf Zeit gewährt wird. In die­sem Fall ruht das Ar­beits­verhält­nis für den Zeit­raum, für den ei­ne Ren­te auf Zeit gewährt wird; be­ginnt die Ren­te rück­wir­kend, ruht das Ar­beits­verhält­nis ab dem ers­ten Tag des Mo­nats, der auf den Mo­nat der Zu­stel­lung des Ren­ten­be­scheids folgt.

...

§ 37
Aus­schluss­frist

(1) Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit von den Beschäftig­ten oder vom Ar­beit­ge­ber schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Für den­sel­ben Sach­ver­halt reicht die ein­ma­li­ge Gel­tend­ma­chung des An­spruchs auch für später fälli­ge Leis­tun­gen aus.
...“

Die Deut­sche Ren­ten­ver­si­che­rung Bund be­wil­lig­te dem Erb­las­ser ab 3 Mai 2009 ei­ne be­fris­te­te Ren­te we­gen teil­wei­ser Er­werbs­min­de­rung und ab März 2011 ei­ne un­be­fris­te­te Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung. Der Be­klag­te teil­te ihm in ei­nem Schrei­ben vom 1. März 2011 mit, das Ar­beits­verhält­nis en­de gemäß § 33 Abs. 2 TV-L mit Ab­lauf des 17. März 2011.

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Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 17. März 2011 for­der­te der Erb­las­ser den Be­klag­ten auf, ins­ge­samt 95 Ur­laubs­ta­ge aus den Jah­ren 2008 bis 2011 ab­zu­gel­ten.

Der Be­klag­te galt un­ter Zu­grun­de­le­gung ei­nes zwi­schen den Par­tei­en un­strei­ti­gen Ab­gel­tungs­be­trags iHv. 154,76 Eu­ro brut­to pro Ur­laubs­tag zunächst 37 Ur­laubs­ta­ge mit 5.726,12 Eu­ro brut­to und später wei­te­re drei Ur­laubs­ta­ge mit 464,28 Eu­ro brut­to ab.

Mit sei­ner dem Be­klag­ten am 25. Ju­li 2011 zu­ge­stell­ten Kla­ge hat der Erb­las­ser zu­letzt noch die Ab­gel­tung von wei­te­ren 26 Ur­laubs­ta­gen ver­langt.

Der Erb­las­ser hat erst­in­stanz­lich zu­letzt be­an­tragt, 

den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn den Be­trag von 4.023,76 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz hier­aus seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Der Be­klag­te hat zu sei­nem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Ur­laubs­an­spruch aus dem Jahr 2009 sei im Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 17. März 2011 be­reits größten­teils ver­fal­len ge­we­sen. Der Erb­las­ser hätte vom 18. bis zum 31. März 2011 nur noch zehn Ur­laubs­ta­ge in An­spruch neh­men können. Im Übri­gen sei ein et­wai­ger Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch nicht ver­erb­bar.

Das Ar­beits­ge­richt hat den Be­klag­ten zur Zah­lung wei­te­rer Ur­laubs­ab­gel­tung iHv. 2.217,71 Eu­ro brut­to für 14,33 Ur­laubs­ta­ge ver­ur­teilt und die Kla­ge im Übri­gen ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Be­klag­te sein Ziel der vollständi­gen Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge-

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richts mit Recht zurück­ge­wie­sen. Der Erb­las­ser hat­te gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG An­spruch auf die ihm von den Vor­in­stan­zen zu­ge­spro­che­ne wei­te­re Ur­laubs­ab­gel­tung. Die­ser An­spruch ist auf die Kläge­rin­nen in Er­ben­ge­mein­schaft über­ge­gan­gen. Das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil war al­ler­dings nach § 319 Abs. 1 ZPO im Hin­blick auf die schon vor der Ur­teils­verkündung ein­ge­tre­te­ne Erb­fol­ge zu be­rich­ti­gen.

I. Dem Erb­las­ser stan­den bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 17. März 2011 aus dem Ur­laubs­jahr 2009 noch 25 Ur­laubs­ta­ge zu (§ 3 BUrlG, § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

1. Der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch im Um­fang von 25 Ar­beits­ta­gen ist zu Be­ginn des Jah­res 2009 un­abhängig da­von ent­stan­den, dass der Erb­las­ser seit dem 9. Ja­nu­ar 2008 krank­heits­be­dingt ar­beits­unfähig war. Auch der Be­zug der Er­werbs­min­de­rungs­ren­te ab Mai 2009 war für den Fort­be­stand des Ur­laubs­an­spruchs un­er­heb­lich. Der ge­setz­li­che Er­ho­lungs­ur­laub (§§ 1, 3 BUrlG) und der schwer­be­hin­der­ten Men­schen zu­ste­hen­de Zu­satz­ur­laub (§ 125 Abs. 1 SGB IX) set­zen kei­ne Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers im Ur­laubs­jahr vor­aus (BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 8, BA­GE 142, 371). Ge­setz­li­che Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen auch dann, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne be­fris­te­te Ren­te we­gen Er­werbs­min­de­rung be­zieht und dies nach ei­ner ta­rif­li­chen Re­ge­lung das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses zur Fol­ge hat. Die Vor­schrift des § 26 Abs. 2 Buchst. c TV-L ist je­den­falls in­so­weit un­wirk­sam, als sie auch die Ver­min­de­rung ge­setz­li­cher Ur­laubs­ansprüche von Ar­beit­neh­mern und schwer­be­hin­der­ten Men­schen er­fasst, die aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht die ih­nen nach dem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­de Leis­tung er­bracht ha­ben. Ei­ne sol­che Ver­min­de­rung ge­setz­li­cher Ur­laubs­ansprüche lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu (vgl. zu der ent­spre­chen­den Re­ge­lung im TVöD BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 9, aaO).

2. Mit Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, dass der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch des Erb­las­sers aus dem Jahr 2009 zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 17. März 2011 noch nicht ver­fal­len war. Der Se­nat hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 7. Au­gust 2012 (- 9 AZR

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353/10 - Rn. 32, BA­GE 142, 371) ein­ge­hend be­gründet, wes­halb die ge­setz­li­chen Ur­laubs­ansprüche ar­beits­unfähi­ger Ar­beit­neh­mer auf­grund uni­ons­rechts-kon­for­mer Aus­le­gung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG erst 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res un­ter­ge­hen.

a) Die Auf­fas­sung des Be­klag­ten, dem Erb­las­ser ha­be ein wei­te­rer Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch nicht zu­ge­stan­den, weil sein Ur­laub aus dem Jahr 2009 be­reits ta­ge­wei­se vor dem 31. März 2011 un­ter­ge­gan­gen sei, be­ruht auf der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt vor­mals ver­tre­te­nen Sur­ro­gats­theo­rie. Der Se­nat hat die Recht­spre­chung zum Cha­rak­ter des Ab­gel­tungs­an­spruchs als Sur­ro­gat des Ur­laubs­an­spruchs je­doch ins­ge­samt auf­ge­ge­ben (BAG 19. Ju­ni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 15, BA­GE 142, 64). In der Fol­ge der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on vom 20. Ja­nu­ar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 - Slg. 2009, I-179) ist das tra­gen­de Fun­da­ment der Sur­ro­gats­theo­rie ent­fal­len, krank­heits­be­dingt ar­beits­unfähi­ge und aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den­de Ar­beit­neh­mer nicht bes­ser­zu­stel­len als im Ar­beits­verhält­nis ver­blei­ben­de ar­beits­unfähi­ge Ar­beit­neh­mer (BAG 19. Ju­ni 2012 - 9 AZR 652/10 - Rn. 17 ff., aaO). Das Ar­gu­ment des Be­klag­ten, der Ur­laubs­an­spruch sei mit der Frist „be­las­tet“ und die­se set­ze sich im Ab­gel­tungs­an­spruch fort, trägt des­halb nicht. Der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ist an­ders als nach der auf­ge­ge­be­nen Sur­ro­gats­theo­rie ein rei­ner Geld­an­spruch. Er ver­dankt sei­ne Ent­ste­hung zwar ur­laubs­recht­li­chen Vor­schrif­ten. Ist er ent­stan­den, ist er nicht mehr Äqui­va­lent zum Ur­laubs­an­spruch, son­dern bil­det ei­nen Teil des Vermögens des Ar­beit­neh­mers und un­ter­schei­det sich in recht­li­cher Hin­sicht nicht von an­de­ren Zah­lungs­ansprüchen des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber (BAG 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13 - Rn. 18 mwN).

b) So­weit in der Li­te­ra­tur un­abhängig von der Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs ver­ein­zelt ein suk­zes­si­ver Un­ter­gang des Ur­laubs­an­spruchs vor Ab­lauf des Über­tra­gungs­zeit­raums ver­tre­ten wird (vgl. Bach­mann in GK-BUrlG 5. Aufl. § 7 Rn. 122), be­ruht dies auf der Prämis­se, bei der Ur­laubs­schuld des Ar­beit­ge­bers han­de­le es sich um ei­ne ab­so­lu­te Fix­schuld. Die­se An­nah­me steht frei­lich im Wi­der­spruch zur Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. nur

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BAG 28. No­vem­ber 1990 - 8 AZR 570/89 - zu II 3 c der Gründe, BA­GE 66, 288).

c) Würde der Ur­laub gemäß der An­sicht des Be­klag­ten suk­zes­si­ve ver­fal­len, würde im Er­geb­nis der Über­tra­gungs­zeit­raum verkürzt. Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on folgt aus Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG (Ar­beits­zeit­richt­li­nie), dass im Fal­le der Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers der Über­tra­gungs­zeit­raum die Dau­er des Be­zugs­zeit­raums, für den der Ur­laub gewährt wird, deut­lich über­schrei­ten muss (EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Nei­del] Rn. 41; 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, Slg. 2011, I-11757). Da der Be­zugs­zeit­raum nach dem BUrlG das Ka­len­der­jahr ist, muss der Über­tra­gungs­zeit­raum deut­lich länger als zwölf Mo­na­te sein. Wäre der Ur­laubs­an­spruch ent­spre­chend der An­sicht des Be­klag­ten mit dem Ab­lauf der Über­tra­gungs­frist „be­las­tet“, hätte dies zur Fol­ge, dass ein Teil der Ur­laubs­ansprüche des Erb­las­sers aus dem Jahr 2009 be­reits im Fe­bru­ar 2011 un­ter­ge­gan­gen wäre. Man­gels ei­nes suk­zes­si­ven Ver­falls der Ur­laubs­ansprüche des Erb­las­sers aus dem Jahr 2009 nach dem na­tio­na­len Recht be­darf die Fra­ge, ob im Fal­le der Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers ein Über­tra­gungs­zeit­raum von we­ni­ger als 14 Mo­na­ten noch als „deut­lich länger“ als ein Jahr iSd. Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on an­ge­se­hen wer­den kann (ver­nei­nend Bau­er/v. Me­dem NZA 2012, 113, 115), kei­ner Ant­wort.

II. Der Erb­las­ser er­warb mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nen Ab­gel­tungs­an­spruch für die im Jahr 2009 ent­stan­de­nen ge­setz­li­chen Ur­laubs­ansprüche im Um­fang von 25 Ar­beits­ta­gen. Auf­grund des zwi­schen den Par­tei­en un­strei­ti­gen Ab­gel­tungs­an­spruchs iHv. 154,76 Eu­ro brut­to pro Tag stand dem Erb­las­ser da­mit ein An­spruch iHv. 3.869,00 Eu­ro brut­to zu (vgl. zu der auf ein Ka­len­der­jahr be­zo­ge­nen Ur­laubs­ab­gel­tungs­for­de­rung als ein­heit­li­cher Streit­ge­gen­stand BAG 22. Ok­to­ber 2009 - 8 AZR 865/08 - Rn. 30; vgl. auch BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 21, BA­GE 142, 371). Die­sen An­spruch hat der Erb­las­ser mit dem an­walt­li­chen Schrei­ben vom 17. März 2011 iSd. § 37 Abs. 1 TV-L recht­zei­tig gel­tend ge­macht. Der An­spruch ist bis auf

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2.217,71 Eu­ro brut­to durch Zah­lung des Be­klag­ten gemäß § 362 Abs. 1 BGB er­lo­schen. Auch hierüber be­steht zwi­schen den Par­tei­en kein Streit.

III. Der ver­blei­ben­de Zah­lungs­an­spruch iHv. 2.217,71 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen ist mit dem Tod des Erb­las­sers gemäß § 1922 BGB auf die Kläge­rin­nen in Er­ben­ge­mein­schaft über­ge­gan­gen. Aus der Ein­ord­nung des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs als rei­ner Geld­an­spruch folgt, dass die­ser An­spruch we­der von der Erfüll­bar­keit oder Durch­setz­bar­keit des Ur­laubs­an­spruchs abhängt noch mit dem Tod des Ar­beit­neh­mers un­ter­geht. Viel­mehr ist er ver­erb­bar (so auch: ErfK/Gall­ner 15. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 81; AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 141; Schu­bert RdA 2014, 9, 14 ff.; Höpfner RdA 2013, 65, 69 f.; bis­her of­fen­ge­las­sen von BAG 20. Sep­tem­ber 2011 - 9 AZR 416/10 - Rn. 12, BA­GE 139, 168). So­weit das Bun­des­ar­beits­ge­richt in der Ver­gan­gen­heit nur ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch, nicht aber den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch selbst als ver­erb­lich an­ge­se­hen hat (BAG 19. No­vem­ber 1996 - 9 AZR 376/95 - zu I 2 c der Gründe mwN, BA­GE 84, 325), wird hier­an nach der vollständi­gen Auf­ga­be der Sur­ro­gats­theo­rie nicht mehr fest­ge­hal­ten.

IV. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts führt den Erb­las­ser als Kläger auf, ob­wohl er im Zeit­punkt der Verkündung be­reits ver­stor­ben war. Auch wenn der Tod zunächst un­be­kannt bleibt, tre­ten die Rechts­nach­fol­ger an die Stel­le des Ver­stor­be­nen; das Ur­teil wirkt für und ge­gen die Er­ben (§ 1922 BGB; § 325 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH 8. Fe­bru­ar 1993 - II ZR 62/92 - zu 2 b der Gründe, BGHZ 121, 263). Die An­ga­be des Na­mens des Ver­stor­be­nen im Ru­brum des Ur­teils ist ei­ne of­fen­ba­re Un­rich­tig­keit, die von Amts we­gen zu be­rich­ti­gen ist (zu § 118 Abs. 1 Vw­GO vgl. BVerwG 27. Ju­ni 2002 - 5 C 65.01 - zu 1 der Gründe). Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ist als das mit der Sa­che be­fass­te Rechts­mit­tel­ge­richt für die Be­rich­ti­gung zuständig (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 733/07 - Rn. 28 mwN, BA­GE 130, 101).

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V. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 20

 

Brühler 

Suckow 

Klo­se

Spie­ker­mann 

Vogg

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