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BVerwG, Urteil vom 23.03.2016, 10 C 23.14
Schlagworte: | Handwerksinnung, Tarifbindung, OT-Mitgliedschaft | |
Gericht: | Bundesverwaltungsgericht | |
Aktenzeichen: | 10 C 23.14 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 23.03.2016 | |
Leitsätze: | 1. Die gesetzliche Konzeption der Mitgliedschaft in einer Handwerksinnung schließt es aus, dem Mitglied eine Wahlmöglichkeit darüber zu belassen, ob es durch die von der Innung geschlossenen Tarifverträge gebunden sein will. 2. Die Verantwortung der Innungsversammlung als Hauptorgan umfasst alle wesentlichen Entscheidungen und lässt eine Übertragung der Wahrnehmung einer gesamten Aufgabe der Innung auf einen Ausschuss nach § 67 HwO nicht zu. 3. Die Zuständigkeit der Innungsversammlung für die Feststellung des Haushaltsplans der Innung schließt es nach dem Grundsatz der Vollständigkeit und Einheit des Haushalts aus, Entscheidungen über Rücklagen für tarifpolitische Maßnahmen ausschließlich einem Ausschuss zu überlassen. |
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Vorinstanzen: | Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil vom 19.12.2013, VG 1 A 58/13 Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 25.09.2014, OVG 8 LC 23/14 |
|
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 23.14
OVG 8 LC 23/14
Verkündet
am 23. März 2016
...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. März 2016
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:
Das am 20. Oktober 2014 berichtigte Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. September 2014 wird geändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 19. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
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G r ü n d e :
I
Die Klägerin ist eine Handwerksinnung im Bezirk der beklagten Handwerkskammer. Sie begehrt die Genehmigung der Beklagten für eine Satzungsänderung, mit der eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (sogenannte OT-Mitgliedschaft) eingeführt werden soll.
Bereits 2007 beantragte die Klägerin die Genehmigung einer Neufassung ihrer Satzung, mit der eine auf den jeweiligen Tarifvertrag bezogene OT-Mitgliedschaft eingeführt werden sollte. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 17. März 2010 ab.
Die Innungsversammlung der Klägerin hielt an ihrer Absicht der Einführung einer OT-Mitgliedschaft fest. Sie beschloss zunächst am 6. März 2012 sowie - nachdem diese Satzungsänderung von der Beklagten mit Bescheid vom 26. Oktober 2012 auch wegen anderer, hier nicht streitgegenständlicher Bestimmungen abgelehnt worden war - erneut am 14. November 2012 jeweils einstimmig eine Neufassung ihrer Satzung. Sie lautet dazu auszugsweise:
§ 6a
(1) Die Innung führt zwei Gruppen von Mitgliedern, nämlich Mitglieder mit der Bindung an die von der Innung abgeschlossenen Tarifverträge ("T-Mitglieder") und Mitglieder ohne Bindung an die von der Innung abgeschlossenen Tarifverträge ("OT-Mitglieder").
(2) Die Mitglieder, die der Innung als OT-Mitglieder angehören wollen, haben dies gegenüber dem Innungsvorstand zusammen mit ihrem Beitrittsantrag zu erklären. Innungsmitglieder können beantragen, ihre Mitgliedschaft von einer solchen mit Tarifbindung in eine solche ohne Tarifbindung oder auch umgekehrt zu wechseln. Der Wechsel bedarf der satzungsgemäßen Annahme. Die Art der Mitgliedschaft kann nicht rückwirkend begründet oder gewechselt werden.
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(3) OT-Mitglieder nehmen an Willens- und Entscheidungsbildungen der Innung über Innungstarifverträge oder Arbeitskämpfe, welche die Innung oder deren Mitglieder betreffen, sowie an hiermit im Zusammenhang stehenden sozialpolitischen Maßnahmen nicht teil. Im Übrigen haben sie dieselben Rechte und Pflichten wie Innungsmitglieder mit Tarifbindung.
§ 37
(...)
(4) Die Innungsversammlung errichtet einen sozialpolitischen Ausschuss. Der Ausschuss besteht aus einem Vorsitzenden sowie aus zwei weiteren Mitgliedern. Der Ausschuss kann zur Erörterung und zur Willensbildung weitere von der sozialpolitischen Maßnahme betroffene T-Mitglieder heranziehen. Der Ausschuss kann sich eine Geschäftsordnung geben. Ihm können nur Mitglieder mit Tarifbindung (T-Mitglieder) angehören. Dem sozialpolitischen Ausschuss obliegen die Willens- und Entscheidungsbildungen über Innungstarifverträge oder Arbeitskämpfe, welche die Innung oder deren Mitglieder betreffen, sowie über hiermit im Zusammenhang stehenden sozialpolitischen Maßnahmen. Er kann Rücklagen für sozialpolitische Maßnahmen organisieren. OT-Mitglieder sind ausgeschlossen von der Verfügungsgewalt über etwaige Streik- und/oder Aussperrungsfonds. Die Geschäftsordnung des sozialpolitischen Ausschusses sowie deren Ergänzungen, Änderungen oder Aufhebung werden von den Mitgliedern mit Tarifbindung (T-Mitglieder) beschlossen. Diese Beschlüsse sind für den Ausschuss und für alle Mitglieder mit Tarifbindung (T-Mitglieder) verbindlich.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2013 lehnte die Beklagte eine Genehmigung der Satzungsänderungen ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2013 abgewiesen. Die Handwerksordnung sehe als Formen der Mitgliedschaft ausschließlich die Vollmitgliedschaft und eine Gastmitgliedschaft vor. Eine weitere Differenzierung sei nicht zulässig.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit dem am 20. Oktober 2014 berichtigten Urteil vom 25. September 2014 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Beklagte zur Genehmigung der Satzungsänderung verpflichtet. Die Satzungsbestimmungen hielten sich im Rahmen der gesetzli-
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chen Regelungsermächtigung zur Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der Mitglieder. Die Regelungen über die Voraussetzungen einer Vollmitgliedschaft sprächen nicht dagegen, eine Differenzierung zwischen Gruppen ordentlicher Mitglieder mit verschiedenen Rechten und Pflichten einzuführen. Es sei zulässig, die Willens- und Entscheidungsbildung über Tarifverträge und damit zusammenhängende Maßnahmen auf einen Ausschuss zu übertragen. Die Innung sei auch nicht verpflichtet, für alle ordentlichen Mitglieder Tarifverträge abzuschließen.
Die Beklagte macht zur Begründung Revision im Wesentlichen geltend, die Einführung neuer Mitgliedschaftsformen in Innungen sei dem Gesetzgeber vorbehalten. Die gesetzliche Vollmitgliedschaft und die der Innung verliehene Tarifbefugnis erforderten einen einheitlichen Abschluss von Tarifverträgen für alle Innungsmitglieder. Andernfalls werde die tarifliche Schlagkraft der Innung geschwächt. Tarifpolitische Entscheidungen dürften nicht lediglich einem Teil der Innungsmitglieder vorbehalten bleiben. Die tarifliche Situation drohe intransparent zu werden, wenn Innungsmitglieder an Tarifverträge des Innungsverbandes gebunden, gleichzeitig aber von der Tarifbindung an die Innungstarifverträge freigestellt seien.
Die Beklagte beantragt,
das am 20. Oktober 2014 berichtigte Urteil des Nieder-sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. September 2014 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 19. Dezember 2013 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Berufungsurteil und trägt im Wesentlichen vor, mit der OT-Mitgliedschaft werde keine handwerksrechtliche Differenzierung der Mitgliedschaft, sondern eine Option hinsichtlich der Tarifbindung der Mitglieder eingeführt. Dies könne der Innung weitere Mitglieder erschließen und damit die Erfül-
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lung ihrer fachlichen Pflichtaufgaben stärken. Die Innung dürfe von ihrer Tarifbefugnis in sachlich differenzierender Weise Gebrauch machen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und unterstützt die Argumentation der beklagten Handwerkskammer.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das angegriffene Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung der Vorschriften der Handwerksordnung über Handwerksinnungen und der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Tarifautonomie (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Das zwischen den Beteiligten ergangene und rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. März 2010 steht der Zulässigkeit der Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2013 nicht entgegen. Es betrifft eine in ihrer rechtlichen Ausgestaltung wesentlich andere Satzungsregelung zur Einführung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung und damit einen anderen Streitgegenstand. Auch die Bestandskraft des Bescheides vom 26. Oktober 2012, durch den die Beklagte die Genehmigung einer Satzungsänderung der Klägerin abgelehnt hatte, die eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wortgleich mit der erneut im November 2012 beschlossenen und vorliegend streitgegenständlichen Fassung einführen sollte, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Die Beklagte hat insoweit mit ihrem Bescheid vom 18. Januar 2013 eine erneute Sachentscheidung getroffen, die der Klägerin eine eigenständige Klagemöglichkeit eröffnet.
2. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nach § 61 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 8 der Handwerksordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 24. September 1998 (BGBl. I S. 3074; 2006, S. 2095), zuletzt geändert durch Art. 283 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474), - HwO - einen Anspruch auf Genehmigung der von ihr beschlossenen Satzungsänderung, weil die Einführung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ma-
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teriell in Einklang mit den Vorschriften der Handwerksordnung über Innungen stehe. Diese Annahme steht nicht in Einklang mit revisiblem Recht.
a) Nach der Satzung sollen sich die einzelnen Innungsmitglieder bei ihrem Eintritt oder während ihrer Mitgliedschaft für eine gegenüber der sonst bestehen-den Vollmitgliedschaft gesonderte Mitgliedschaftsform ohne Bindung an Tarifverträge der Innung entscheiden können. Eine solche Wahlmöglichkeit ist mit der gesetzlichen Konzeption der Vollmitgliedschaft in einer Innung nach § 58 HwO nicht in Einklang zu bringen. In einer Handwerksinnung werden Inhaber eines Handwerksbetriebes oder eines handwerksähnlichen Gewerbebetriebes zur Förderung ihrer gemeinsamen gewerblichen Interessen nach ihrem freien Beitrittsentschluss zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zusammengeschlossen (§§ 52, 53 HwO). Der Gesetzgeber hat zwar insbesondere zur Wahrung der Tarifautonomie davon abgesehen, eine Pflichtmitgliedschaft in der Innung einzuführen oder zu ermöglichen (vgl. Fröhler, Das Recht der Handwerksinnung, 1959, S. 19). Die freiwillig erworbene Vollmitgliedschaft nach § 58 HwO zieht jedoch alle Rechte und Pflichten nach sich, die sich aus der gemeinsamen Wahrnehmung der zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen in § 54 HwO festgelegten öffentlichen Aufgaben der Innung ergeben. Die Innungsmitgliedschaft ist auf gleiche Mitwirkung an allen wesentlichen Angelegenheiten der öffentlich-rechtlichen Personalkörperschaft angelegt. Der historische Gesetzgeber hat mit der Zugehörigkeit zu einer Innung die gemeinsame, im Grundsatz unteilbare Verantwortung für die Erfüllung der den Innungen gesetzlich anvertrauten Aufgaben verknüpft. Dabei ist unerheblich, ob es sich nach § 54 HwO um Pflichtaufgaben, Soll-Aufgaben oder Kann-Aufgaben handelt. Der mit der Vollmitgliedschaft hergestellte Zusammenhang zwischen Vorteilen und Bindungen aus der Innungsmitgliedschaft kann nicht durch eine Willenserklärung des einzelnen Mitglieds aufgelöst werden, mit der es als nachteilig empfundene Folgen aus der Wahrnehmung einzelner Aufgaben der Innung für sich ausschließen, an den übrigen Ergebnissen der Innungstätigkeit hingegen teilhaben möchte (vgl. § 58 Abs. 4 HwO).
b) Die Innung kann ihre freiwillige Aufgabe, Tarifverträge abzuschließen, soweit und solange solche Verträge nicht durch den Innungsverband für den Bereich
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der Handwerksinnung geschlossen sind (§ 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO), nur für alle Vollmitglieder der Innung gemeinsam wahrnehmen. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung der Handwerksordnung an die historisch überkommene Tariffähigkeit von Innungen angeknüpft. Die Verleihung der Tariffähigkeit an Innungen begünstigt in dem von kleinen Betrieben geprägten Bereich des Handwerks den Abschluss von Tarifverträgen. Das Zustandekommen einer umfassenden tariflichen Ordnung wird gerade dadurch befördert, dass Tarifverträge nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO durch eine mit den Vorteilen der beruflichen Förderung verbundene und deshalb auch für Inhaber kleinerer Handwerksbetriebe attraktive öffentlich-rechtliche Körperschaft abgeschlossen werden können (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1966 - 1 BvL 24/65 - BVerfGE 20, 312 <318 f.>). Der gesetzgeberische Zweck, einen hinreichenden Schutz der Beschäftigten in den zumeist vergleichsweise kleinen Handwerksbetrieben zu erreichen, kann nur gewährleistet werden, wenn nicht jedes einzelne Mitglied seine Tarifgebundenheit durch Erklärung ausschließen und gleichzeitig die fachlich-berufsständischen Vorteile der Mitgliedschaft in der Innung genießen kann. Eine individuelle Ausschlussmöglichkeit würde schon wegen des hohen Konkurrenzdrucks im Handwerk und des dadurch ausgelösten Anreizes, eine Bindung an Tariflöhne möglichst zu vermeiden, dazu führen, dass Tarifabschlüsse der Innungen nur einen begrenzten Wirkungsbereich hätten. Dies würde die vom Gesetzgeber bezweckte Stellung der Innung als Tarifpartner, der an der Herstellung einer umfassenden tariflichen Ordnung im Handwerk mitwirkt, schwächen und die in der Aufgabenzuweisung an Innungen angelegte Verknüpfung ihrer Tätigkeitsbereiche durchbrechen. Die Innung kann die gesetzlich vorgegebene Verknüpfung fachlicher Aufgaben mit der Befugnis zu tariflicher Tätigkeit in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nicht durch Satzung auflösen. Ob angesichts gewandelter Verhältnisse im Arbeitsleben und der zunehmenden Verbreitung tarifungebundener Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden eine Lockerung des historisch gewollten Zusammenhangs zwischen berufsständischer Aufgabenwahrnehmung und tariflicher Tätigkeit der Innungen ermöglicht werden soll, bleibt der Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers vorbehalten.
Auch aus der Subsidiarität der Tarifbefugnis der Innung gegenüber der Tarifbe-
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ständigkeit Tarifverträge nur für sämtliche Vollmitglieder abschließen darf. Die in der Rechtswirklichkeit vorrangig als Tarifpartner im Handwerksbereich auftretenden Landesinnungsverbände können nach § 82 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 HwO zum Zweck der Förderung der den Handwerksinnungen angehörenden Mitglieder Tarifverträge abschließen. Diese Befugnis ist ihnen im Interesse sämtlicher und nicht nur eines Teils der Mitglieder der Innungen in ihrem Bezirk anvertraut. Wenn der Gesetzgeber Innungen nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO die Tarifbefugnis lediglich verliehen hat, soweit und solange der Innungsverband für ihren Bereich solche Verträge nicht geschlossen hat, stellt dies einen inhaltlichen Bezug zur Tarifbefugnis der Innungsverbände her und bedingt, dass auch Tarifverträge der Innungen für sämtliche Innungsmitglieder zur Förderung ihrer gewerblichen Interessen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 HwO) abgeschlossen werden müssen.
c) Die von der Klägerin beschlossene Satzungsregelung, wonach tarifpolitische und mit ihnen in Zusammenhang stehende sozialpolitische Entscheidungen von einem sozialpolitischen Ausschuss getroffen werden, verletzt zudem die in § 61 HwO niedergelegten Rechte der Innungsversammlung als zentralem Beschlussorgan der Innung, in dem sämtliche Innungsmitglieder an Entscheidungen mitwirken.
Nach § 37 Abs. 4 der geänderten Satzung der Klägerin hätte ihre Innungsversammlung einen nur aus sogenannten T-Mitgliedern bestehenden Ausschuss zu schaffen, dem sämtliche tarifpolitische Entscheidungen übertragen würden. Eine solche umfassende Verlagerung einer gesamten in § 54 HwO genannten Aufgabe von der Innungsversammlung auf einen Ausschuss käme einer Umgehung des für die Innung wesensprägenden Grundsatzes gleicher Mitwirkung aller Mitglieder in der Innungsversammlung als Hauptorgan gleich. Die Innungsversammlung steht an erster Stelle in der Aufzählung der Organe der Innung (§ 60 HwO) und beschließt bei gleichem Stimmrecht aller Mitglieder (§ 63 Satz 1 HwO) über alle Angelegenheiten der Handwerksinnung, soweit diese nicht vom Vorstand oder in den Ausschüssen wahrzunehmen sind (§ 61 Abs. 1 Satz 1 HwO). Die nicht abschließende ("im besonderen") Aufzählung der ihr vorbehaltenen Entscheidungen in § 61 Abs. 2 HwO verdeutlicht, dass die In-
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nungsversammlung für alle wesentlichen Entscheidungen Verantwortung tragen und sich bei der Willensbildung und Beschlussfassung auf die in §§ 62 und 63 HwO vorgesehene Mitwirkung sämtlicher Mitglieder stützen soll.
Zwar darf die Innungsversammlung besondere Ausschüsse zur Vorbereitung einzelner Angelegenheiten einsetzen (§ 61 Abs. 2 Nr. 5 HwO) und darüber hinaus fakultative Ausschüsse zur Wahrnehmung, d.h. vollständigen Erledigung einzelner Angelegenheiten bilden (§ 67 Abs. 1 HwO). Eine Übertragung einer gesetzlichen Aufgabe von nicht lediglich untergeordneter Bedeutung auf einen solchen Ausschuss überschreitet jedoch den in § 67 Abs. 1 HwO gezogenen Rahmen einer "einzelnen Angelegenheit". Durch die Befugnis, zur Erledigung einzelner Angelegenheiten einen Ausschuss einzusetzen, soll die Innungsversammlung von Einzelfallentscheidungen entlastet werden können, welche die Grundlinien der Aufgabenerfüllung der Innung nicht berühren und deshalb nicht die Mitwirkung aller Mitglieder erfordern. Die Innungsversammlung trägt als Hauptorgan die wesentliche Verantwortung für die Wahrnehmung der Pflicht-, Soll- und Kann-Aufgaben der Innung. Die Zuständigkeit eines fakultativ eingerichteten Ausschusses muss sich daher auf Einzelentscheidungen von untergeordneter Bedeutung gegenüber den Grundlinien der Innungstätigkeit beschränken.
Danach ist eine Verlagerung tarifpolitischer Entscheidungen im Ganzen auf einen Ausschuss, dem zudem nur bestimmte (nämlich tarifgebundene) Mitglieder angehören dürfen, nicht zulässig. Auch wenn die Innung nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO über den Gebrauch ihrer Tarifbefugnis disponieren darf, hat der Abschluss von Tarifverträgen nicht lediglich untergeordnete Bedeutung für die Innungsmitglieder. Das folgt schon daraus, dass er die Innung im Außenverhältnis zum jeweiligen Tarifpartner rechtlich bindet. Die in der Handwerksordnung vorgesehene Organisation der Willensbildung in einer Innung schließt es somit aus, tarifpolitische Angelegenheiten insgesamt der Mitwirkung der Innungsmitglieder in der Innungsversammlung zu entziehen und lediglich einer bestimmten Gruppe von Vollmitgliedern vorzubehalten.
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d) Darüber hinaus verstößt die in § 37 Abs. 4 der Satzung der Klägerin vorgesehene Befugnis des sozialpolitischen Ausschusses, Rücklagen für sozialpolitische Maßnahmen zu organisieren und über etwaige Streik- und/oder Aussperrungsfonds zu verfügen, gegen die in § 61 Abs. 2 Nr. 1 HwO festgelegte Haushaltsbefugnis der Innungsversammlung.
Mit der Zuständigkeit der Innungsversammlung für die Feststellung des Haushaltsplans und die Bewilligung von Ausgaben, die im Haushaltsplan nicht vor-gesehen sind, kommt ihr eine umfassende Verantwortung für die Einnahmen-und Ausgabenbewilligung in der Innung zu. Die Innung unterliegt als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Grundsätzen einer geordneten Haushaltsführung (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - juris Rn. 16 zur Haushaltsführung von Industrie- und Handelskammern) und damit insbesondere dem Grundsatz der Vollständigkeit und Einheit des Haushalts des jeweiligen Aufgabenträgers (vgl. § 11 BHO und die entsprechenden Regelungen in den Landeshaushaltsordnungen, z.B. § 11 Niedersächsische LHO i.d.F. vom 30. April 2001 <Nds. GVBl. 2001 S. 276>). Dieser Grundsatz schließt die Führung von Nebenhaushalten aus, die nicht vom zentralen Beschlussorgan für die Einnahmen und Ausgaben des betreffenden Rechtsträgers angenommen worden sind und der für diesen Träger gesetzlich vorgesehenen rechtlichen und wirtschaftlichen Prüfung unterliegen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30. September 2009 - 8 C 5.09 - BVerwGE 135, 100 Rn. 16). Deshalb fällt auch die Veranschlagung und Verfügung über die für tarifpolitische Maßnahmen vorgesehenen finanziellen Mittel der Innung in die Zuständigkeit der Innungsversammlung, in der alle Vollmitglieder mitwirken. Die in §§ 61 und 63 HwO vorgegebene Organisationsstruktur der Innung schließt es aus, solche Entscheidungen einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern vorzubehalten.
3. Einem Genehmigungsanspruch der Klägerin steht zudem entgegen, dass ihre Satzung keinen ausreichenden Schutz der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie gewährleistet, weil sie eine unmittelbare Einflussnahme tarifungebundener Mitglieder auf tarifpolitische Entscheidungen der Innung nicht vollständig ausschließt. Zu den von der Beklagten bei der Genehmigung der Satzungsänderung der Innung nach § 61 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 8 und § 56 Abs. 2
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Nr. 1 HwO zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften gehören über die in der Handwerksordnung enthaltenen Regelungen hinaus alle rechtlichen Anforderungen an die Aufgabenwahrnehmung der Innung. Dazu zählen auch die verfassungs- und arbeitsrechtlichen Anforderungen an die in der Innungssatzung vorgesehenen Erklärungen von Innungsmitgliedern hinsichtlich ihrer Tarifgebundenheit.
Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 der Satzung der Klägerin wird der unter anderem mit der Führung von Tarifverhandlungen betraute sozialpolitische Ausschuss von der Innungsversammlung errichtet. Damit sind auch die tarifungebundenen Innungsmitglieder in der Innungsversammlung an der Auswahl der drei Mitglieder beteiligt, aus denen der sozialpolitische Ausschuss nach Satz 2 dieser Regelung besteht. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie müssen jedoch die Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifgebundenheit klar und eindeutig voneinander getrennt werden. Jegliche nach der Satzung auch nur möglichen unmittelbaren Einflussnahmen von OT-Mit-gliedern auf tarifpolitische Entscheidungen des Verbandes müssen ausgeschlossen werden, um einen Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen zu gewährleisten (vgl. BAG, Urteile vom 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07 - BAGE 127, 27 Rn. 37 ff., vom 22. April 2009 - 4 AZR 111/08 - BAGE 130, 264 Rn. 28 f., vom 21. November 2012 - 4 AZR 27/11 - NZA-RR 2014, 545 Rn. 14 und vom 21. Januar 2015 - 4 AZR 797/13 - BAGE 150, 304 Rn. 18 ff.). Das Bundesarbeitsgericht hat für Arbeitgeberverbände entschieden, dass die nicht tarifgebundenen Mitglieder deshalb auf die Auswahlentscheidung für die konkrete Besetzung eines tarifpolitischen Gremiums durch ein anderes Organ des jeweiligen Verbandes keinen Einfluss haben dürfen und nicht nur das passive, sondern auch das aktive Wahlrecht insoweit den tarifgebundenen Mitgliedern vorzubehalten ist, weil nur sie von den Tarifverträgen ihres Verbandes betroffen sind (vgl. BAG, Urteil vom 21. Januar 2015 - 4 AZR 797/13 - BAGE 150, 304 Rn. 20).
Dieser Anforderung wird die von der Klägerin beschlossene Satzungsänderung nicht gerecht. Eine Beschränkung des aktiven Wahlrechts tarifungebundener Mitglieder bei der Konstituierung des Ausschusses lässt sich namentlich nicht
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aus § 6a Abs. 3 der Satzung ableiten. Hiernach ist lediglich die Teilnahme von OT-Mitgliedern an Willens- und Entscheidungsbildungen der Innung über Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des sozialpolitischen Ausschusses ausgeschlossen, nicht aber ihre Mitwirkung an der Errichtung des Ausschusses. Im Übrigen ließe es die in § 63 Satz 1 HwO niedergelegte gleiche Stimmberechtigung aller Innungsmitglieder in der Innungsversammlung auch nicht zu, nur tarifgebundene Mitglieder an der Auswahl der Ausschussmitglieder zu beteiligen. Dafür ist unerheblich, ob die Innungsversammlung selbst eine Auswahl der Mitglieder des tarifpolitischen Gremiums träfe oder ob zunächst sämtliche tarifgebundenen Mitglieder der Innung zu Mitgliedern eines solchen Gremiums bestimmt würden und diesen in einem zweiten Schritt die Auswahl eines kleineren, verhandlungsführenden Gremiums obläge. Denn in einer solchen Ausgestaltung läge eine unzulässige Umgehung der Befugnisse der Innungsversammlung und der für die Innung wesentlichen Gleichheit der Mitwirkungsbefugnis aller Mitglieder.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Held-Daab
Dr. Häußler
Dr. Rublack
Dr. Seegmüller
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Held-Daab
Dr. Häußler
Dr. Rublack
Dr. Seegmüller
Quelle: http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidungen.php
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