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LAG Hamm, Urteil vom 29.01.2001, 19 Sa 257/00
Schlagworte: | Nachtarbeit, Nachtarbeit: Ausgleich | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Hamm | |
Aktenzeichen: | 19 Sa 257/00 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 29.01.2001 | |
Leitsätze: | 1. Bei der Gewährung bezahlter freier Tage oder eines Entgeltzuschlags für geleistete Nachtarbeit nach § 6 Abs 5 ArbZG handelt es sich um eine Wahlschuld im Sinne der §§ 262ff BGB. 2. Sofern sich im Einzelfall nichts anderes ergibt, sind bei der Bemessung des entgeltlichen Nachtarbeitszuschlags nach § 6 Abs 5 ArbZG die Tarifsätze des jeweiligen Branchentarifvertrages zugrunde zu legen. 3. Es hält sich in jedem Fall im Rahmen einer angemessenen Zahl zu gewährleistender bezahlter freier Tage, wenn für jeweils 90 geleistete Nachtarbeitsstunden ein bezahlter freier Tag verlangt wird. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Paderborn, Urteil vom 27.01.2000, 1 Ca 1421/99 | |
19 Sa 257/00
1 Ca 1421/99 ArbG Paderborn
5 AZR 202/01 Revision zurückgewiesen 05.09.2002
Verkündet am:
29.01.2001
gez.
Neugebauer Regierungsangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht Hamm
Im Namen des Volkes
Urteil
hat die 19. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
auf die mündliche Verhandlung vom 29.01.2001
durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Müller als Vorsitzenden,
den ehrenamtlichen Richter Menne sowie die ehrenamtliche Richterin Krause
f ü r R e c h t e r k a n n t:
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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27.01.2000 - 1 Ca 1421/99 - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, nach ihrer Wahl dem Kläger 51 bezahlte freie Arbeitstage zu gewähren oder an den Kläger 42.435,00 DM brutto nebst 41 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 09. 11.1999 zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten um die Gewährung gesetzlicher Nachtarbeitszuschläge.
Der am 06.12.1960 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1995 als Maschinenbediener bei der Beklagten, einem Betrieb der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, beschäftigt. Nach der Anlage zu den schriftlichen Arbeitsverträgen vom 04.09.1995 (BI. 88 ff. d.A.) und 01.03.1997 (BI. 10 ff. d.A) ist er für die Inbetriebnahme, Bedienung und Wartung von Tetra-Abfüllmaschinen, der dazu gehörenden Packautomaten, der Erhitzungsanlagen sowie des angeschlossenen Palettierers verantwortlich. Er arbeitet ausschließlich in der Nachtschicht, und zwar von Montag bis Donnerstag jeweils in der Zeit von 22.30 Uhr bis 6.00 Uhr und freitags von 22.30 Uhr bis 8.30 Uhr. Bei einer täglichen Pause von 45 Minuten kommt er so auf 36,25 Stunden pro Woche, während in allen anderen Schichten 37,5 Wochenstunden gearbeitet wird. Der Kläger erhält dafür gemäß § 3 des Arbeitsvertrages vom 01.03.1997 eine Bruttostundenvergütung in Höhe von 18,40 DM. Nach § 1 Satz 4 des Vertrages finden mangels Tarifgebundenheit der Beklagten keine Tarifverträge Anwendung.
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Erstmals mit Schreiben vom 04.10.1999 (BI. 4 d.A.) hat der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen in Höhe von 50 % seines Stundenlohnes für die Zeit ab 01.01.1997 geltend gemacht.
Nach einer im Laufe des Rechtsstreits teilweise korrigierten Berechnung verlangt der Kläger nunmehr für insgesamt 738 Tage im Zeitraum ab 01.01.1997 bis zum 31.10.1999 bei täglich 6,25 Stunden Nachtarbeit und einem Zuschlag von 50 % in erster Linie die Zahlung von 42.435,00 DM brutto.
Er hat die Auffassung vertreten, dass bei der Bestimmung der Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlags im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG mangels Einigung mit der Beklagten auf die entsprechende Branchenregelung im Manteltarifvertrag für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie (im Folgenden kurz: MTV) zurückzugreifen sei; in dessen § 5 Ziffer 2 b) hätten die Tarifvertragsparteien für Nachtarbeit einen 50%igen Zuschlag festgelegt. Der nach der gesetzlichen Vorschrift auch mögliche Freizeitausgleich scheide hier aus, da dieser nur bei zeitnaher Gewährung den erstrebten Erholungseffekt habe.
Der Kläger, dessen Klage der Beklagten am 09. 11.1999 zugestellt wurde, hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 42.435,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Meinung vertreten, mit der Zahlung einer Stundenvergütung in Höhe von 18,40 DM habe man zumindest konkludent Zuschläge für Nachtarbeit abbedungen. Im übrigen sei der Vortrag des Klägers unsubstanziiert, weil er bei den insgesamt 738 Tagen nicht unterscheide zwischen Werk-, Sonn- und Feiertagen sowie Urlaubs- und Krankheitszeiten. In jedem Fall seien die geltend gemachten 50 % Nachtarbeitszuschlag unangemessen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.01.2000 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger mangels Tarifbindung von der Beklagten gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG einen ,,angemessenen" Zuschlag für die von ihm verrichtete Nachtarbeit verlangen könne. Die Angemessenheit ergebe sich hier aus § 5 MTV; die darin festgelegten 50 % habe die Beklagte als gesetzlichen Nachtarbeitszuschlag zu zahlen.
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In dem Zusammenhang könne von den kalendermäßig sich ergebenden insgesamt 738 Tagen ausgegangen werden, weil die Beklagte nicht im einzelnen die Arbeitstage angegeben habe, für die dem Kläger keine Vergütung zugestanden hätte.
Gegen dieses ihr am 07.02.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.02.2000 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.04.2000 - am 14.04.2000 begründet.
Sie ist der Auffassung, allein die Behauptung des Klägers, im streitbefangenen Zeitraum 738 Tage gearbeitet zu haben, reiche für ein schlüssiges Vorbringen nicht aus.
Abgesehen davon komme im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG eine wertmäßige Übertragung tariflicher Einzelregelungen, hier zum Nachtarbeitszuschlag, nicht in Betracht; denn bei Tarifvertragsverhandlungen stehe regelmäßig ein Gesamtpaket zur Verabschiedung an, so dass zum Beispiel Zugeständnisse der Arbeitgeberseite bei den Nachtarbeitszuschlägen kompensiert würden durch Vorteile bei anderen Regelungen.
Im übrigen sei ein angemessener Ausgleich schon dadurch herbeigeführt worden, dass der Kläger nur 36,25 statt der üblichen 37,5 Stunden gearbeitet habe.
Davon abgesehen komme allenfalls (noch) eine Zulage in Höhe von 25 % in Betracht. Letztlich könne der Kläger auch nicht die unbedingte Abgeltung durch Zahlung eines Zuschlages verlangen; vielmehr sei nach wie vor auch ein Ausgleich in Freizeit denkbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27.01.2000 - 1 Ca 1421/99 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte verurteilt wird, nach ihrer Wahl an den Kläger 42.435,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 09.11.1999 zu zahlen oder dem Kläger 51 bezahlte freie Arbeitstage zu gewähren.
Er ist der Meinung, dass statt der in § 6 Abs. 5 ArbZG auch vorgesehenen freien Tage vorliegend nur noch die Zahlung von Zuschlägen in Betracht komme, weil der vom Gesetzgeber erstrebte Erholungseffekt wegen der fehlenden zeitlichen Nähe zur geleisteten Nachtarbeit nicht mehr erzielt werden könne. Hilfsweise werde aber der Ausgleich in Form bezahlter
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freier Tage geltend gemacht. Insoweit werde angeknüpft an den ursprünglichen Referentenentwurf im Gesetzgebungsverfahren, der für 90 während der Nachtarbeit geleistete Stunden einen Freizeitausgleich von einem Tag vorgesehen habe; daraus errechneten sich hier abgerundet 51 Arbeitstage.
Im übrigen könne nur wiederholt werden, dass eine zwischen den Tarifvertragsparteien betroffene Regelung in aller Regel auch den Maßstab bilden könne zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit.
Mögliche unbezahlte freie Stunden für ihn, den Kläger, der immer nur 36,25 statt 37,5 Stunden gearbeitet habe, könnten keinen Ausgleich im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG herbeiführen.
Was schließlich die Zahl der Tage angehe, seien diese kalendermäßig bestimmbar. Es habe in dem gesamten Zeitraum keine unvergütet gebliebenen Ausfallzeiten gegeben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG) und nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässig. Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 ArbGG, §§ 518 Abs. 1, Abs. 2, 519 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO).
In der Sache ist die Berufung aber "nur" insoweit erfolgreich, als sich die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel gegen die unbedingte Verurteilung zur Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen gewandt hat; im übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
I.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten für insgesamt 738 Tage im Zeitraum ab 01.01.1997 bis einschließlich 31.10.1999 keinen ausschließlich auf die Vergütung von Nachtarbeitszuschlägen in Höhe von 42.135,00 DM gerichteten Anspruch; vielmehr kann er gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG die Zahlung nur wahlweise neben der Gewährung der beantragten 51 bezahlten freien Tage verlangen.
Denn zutreffend wird in der Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 26.08.1997 - 1 ABR 16/97 - AP Nr. 74 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, BI. 4 R; Urt. v. 24.02.1999 - 4 AZR 62/98 - AP Nr.
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17 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, BI. 4 f.; LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 21.01.1997 - 1 Sa 467/96 - LAGE Nr. 1 zu § 6 ArbZG, S. 5) und Literatur (z.B. Buschmann/Ulber, ArbZG, 3. Aufl., § 6 Rn. 27; Roggendorff, ArbZG, § 6 Rn. 41; Schliemann, ArbZG, § 6 Rn. 86; ders. in: Schliemann/Förster/Meyer, Arbeitszeitrecht, Rn. 476; Zmarzlik/Anzinger, Kommentar zum ArbZG, § 6 Rn. 58) davon ausgegangen, dass es sich bei dem in § 6 Abs. 5 ArbZG vorgeschriebenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit um eine Wahlschuld im Sinne der §§ 262 ff. BGB handelt. Folglich kann der Arbeitgeber als Schuldner nach § 262 BGB im Zweifel wählen, ob er seine Verpflichtung durch Gewährung bezahlter freier Tage, durch einen Entgeltzuschlag oder durch eine Kombination aus beidem erfüllt; bei dessen Ausübung hat er dann allerdings die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 und 10 BetrVG zu beachten (BAG, Urt. v. 26.08.1997 - 1 ABR 16/97 - AP Nr. 74 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, BI. 4 R ff.).
Dieses Wahlrecht bleibt auch dann bestehen, wenn, wie vorliegend, die auszugleichende Nachtarbeit bis zu mehr als vier Jahre zurückliegt. Denn die in § 1 Nr. 1 ArbZG ausdrücklich niedergelegte vorrangige Intention des Gesetzgebers war und ist es, bei der Arbeitszeitgestaltung den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer möglichst weitgehend zu gewährleisten. Was in dem Zusammenhang speziell die Nachtarbeit angeht, ist sie grundsätzlich für jeden Menschen gesundheitlich schädlich, weil sie zur Schlaf- und Appetitlosigkeit, zu Störungen des Magen-Darmtraktes, erhöhter Nervosität sowie zu einer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit führen kann (BVerfG, Urt. v. 28.01.1992 - 1 BVR 1025/82, 1 BVL 16/83 und 10/91 - BVerfGE 85, 191, 208 m.w.N.). Dem trägt die Kompensation in Form der Gewährung von Freizeit weit mehr Rechnung als die Zahlung von Zuschlägen (BAG, Urt. v. 26.08.1997 - 1 ABR 16/97 - AP Nr. 74 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitzeit, BI. 4 R; Anzinger, RdA 1994, 11, 17; Schliemann, ArbZG, § 6 Rn. 86; Zmarzlik/Anzinger, a.a.O).
Dies hat im Schrifttum (Buschmann/Ulber, a.a.O., § 6 Rn. 28; Ulmer, AuR 1998, 339, 340) im Anschluss an eine entsprechende Äußerung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drucksache 12/5888, S. 52) dazu geführt, sogar einen Vorrang des Freizeitausgleichs anzunehmen.
Selbst wenn man dem nicht folgt und beide Arten des Ausgleichs als gleichrangig ansieht (BAG, a.a.O.), widerspricht es aber in jedem Fall dem aufgezeigten Gesetzeszweck, wenn man mit dem Kläger davon ausgehen würde, dass sich nach einem von ihm nicht näher spezifizierten Zeitablauf der Ausgleichsanspruch auf eine Zahlung reduzieren würde. Denn auch noch nach Jahren kann ein bezahlter Freizeitausgleich der Erholung des Klägers dienen und - anders als der bloße Ausgleich in Geld - wenigstens in gewissem Umfang noch die mit der geleisteten Nachtarbeit verbundenen gesundheitlichen Belastungen kompensieren.
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Nach alledem war die Beklagte nur zur Erfüllung einer Wahlschuld zu verurteilen.
II.
Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass ihm für den Zeitraum ab 01.01.1997 bis zum 31.10.1999 Ausgleichsansprüche für insgesamt 738 Tage zustehen. So ist ohne weiteres kalendermäßig ermittelbar, dass in den Jahren 1997 und 1998 jeweils 261 und im Jahr 1999 bis zum Ende des Monats Oktober 216, insgesamt also 738 potentielle Arbeitstage angefallen sind. Berücksichtigt man weiterhin den unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers, es habe bei ihm keine Ausfalltage ohne Vergütungspflicht der Beklagten gegeben, dann wäre es deren Aufgabe gewesen, dem anhand der ihr als Arbeitgeberin zur Verfügung stehenden Unterlagen substanziiert entgegen zu treten (§ 138 Abs. 2 ZPO). So konnte zu Gunsten des Klägers von den 738 Tagen ausgegangen werden, wobei es keinen Unterschied macht, inwieweit er tatsächlich gearbeitet hat oder ihm zum Beispiel Erholungsurlaub gewährt worden, die Arbeit wegen eines gesetzlichen Feiertages ausgefallen bzw. er krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen ist; denn auch im Rahmen des § 11 Abs. 1 BUrlG und der §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG sind regelmäßig anfallende Nachtarbeitszuschläge zu berücksichtigen.
III.
Was die Höhe der Zuschläge angeht, kann der Kläger, gestützt auf § 6 Abs. 5 ArbZG, die beantragten 51 Arbeitstage und alternativ einen Betrag in Höhe von 42.435,00 DM verlangen.
1) Bei der Bemessung des Entgeltzuschlags in Höhe von 50 % der Bruttostundenvergütung, also 9,20 DM pro geleisteter Stunde im Zeitraum von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr (§ 2 Abs. 3 ArbZG), ist der Kläger zu Recht von der Bestimmung in § 5 Ziffer 2 b) MTV für die Branche der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie ausgegangen, in der die Beklagte tätig ist. a) Allerdings findet dieser nicht allgemeinverbindliche Tarifvertrag nach § 1 Satz 4 des Arbeitsvertrages vom 01.03.1997 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mangels Tarifgebundenheit der Beklagten keine Anwendung (§ 3 Abs. 1 TVG).
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b) So hätte diese, als sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 04.09.1995 begründete und später unbefristet fortsetzte, dem bereits seit dem 01.07.1994 geltenden § 6 Abs. 5 ArbZG durch eine entsprechende Gestaltung der materiellen Arbeitsvertragsbedingungen Rechnung tragen können. Tatsächlich lässt sich dies aber nicht feststellen. Nimmt man nämlich einen Vergleich mit den jeweils einschlägig gewesenen tariflichen Stundensätzen vor, ist die dem Kläger gewährte Grundvergütung in Höhe von 18,40 DM pro Stunde nicht so viel höher ausgefallen, dass damit auch eine Kompensation bestehender Nachtarbeitsausgleichsansprüche verbunden war. Die Tätigkeit des Klägers unterfällt nämlich - je nach erforderlicher Einarbeitungs- bzw. Anlernzeit - der Bewertungsgruppe 3 oder 4 des § 5 des Tarifvertrages über die Grundlagen der Arbeitsentgeltregelung ETV für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie. In der Bewertungsgruppe 3 hätten ihm bis zum 31.03.1997 DM 16,35, bis zum 31.03.1998 DM 16,64, bis zum 30.04.1999 DM 16,99 und ab 01.05.1999 DM 17,50 zugestanden; bei Bewertungsgruppe 4 hätten sich Stundensätze in Höhe von 18,25 DM, 18,54 DM, 18,93 DM und 19,50 DM ergeben (s. § 3 der Entgelttarifverträge vorn 11.06.1996, 07.04.1997, 27.03.1998 und 14.06.1999).
Wie vor diesem Hintergrund die Beklagte durch die von ihr gezahlten 18,40 DM einen angemessenen Ausgleich auch für die vom Kläger arbeitstäglich abgeleisteten 6,25 Nachtarbeitsstunden herbeigeführt haben will, ist nicht ersichtlich und hätte deshalb im einzelnen erläutert werden müssen. Allein der Hinweis darauf, dass der Kläger 1 Stunde und 15 Minuten pro Woche weniger zu arbeiten hatte, gemessen an der regelmäßigen Arbeitszeit im Betrieb, ändert daran nichts; denn hierbei handelte es sich zwar um eine zusätzliche freie Zeit, die aber entgegen der Regelung in § 6 Abs. 5 ArbZG vom Arbeitgeber auch nicht vergütet worden ist.
Auch im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits konnten sich die Parteien trotz der in der ersten mündlichen Verhandlung am 04.09.2000 gegebenen Hinweise zu einer vergleichsweisen Regelung nicht auf eine für ihr Vertragsverhältnis angemessene Vergütung der dauerhaft anfallenden Nachtarbeit verständigen. So hat die Beklagte bezeichnenderweise bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung daran festgehalten, dass gar kein Anspruch bestehe. Die danach erforderliche gerichtliche Entscheidung über die Angemessenheit im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG führt zu einem 50%igen Nachtarbeitszuschlag auf das mit dem Kläger vereinbarte Bruttostundenentgelt in Höhe von 18,40 DM.
Bei dem Kriterium der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einen Beurteilungsspielraum eröffnet, innerhalb dessen mehrere Lösungen denkbar sind. Es besteht also eine gewisse Offenheit für die Arbeitsvertragsparteien, wobei nach dem Gesetzeszweck abzuwägen ist zwischen den Belangen des betroffenen Arbeitnehmers, namentlich dem Umfang und der Intensität der Belastung durch Nachtarbeit, und den be-
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trieblichen Notwendigkeiten sowie den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers (BAG, Urt. v. 26.08.1997 - 1 ABR 16/97 - AP Nr. 74 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, BI. 5 R). In diesem Rahmen ist ein Ausgleich nicht erst dann angemessen, wenn er Tarifniveau erreicht; es bestehen unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles auch andere Kompensationsmöglichkeiten, zum Beispiel durch eine Aufstockung der Grundvergütung (BAG. Urt. v. 24.02.1999 - 4 AZR 62198 - AP Nr. 17 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, BI. 4 R; vgl. auch BT-Drucksache 12/6990, S. 43).
Gibt es dafür vorliegend -wie bereits ausgeführt- keine Anhaltspunkte und haben auch die Vertragsparteien den ihnen eingeräumten Spielraum nicht ausgefüllt, ist es aus Sicht der Kammer sachgerecht, auf die entsprechende Regelung im einschlägigen Branchentarifvertrag zurückzugreifen (vgl. Buschmann/Ulber, a.a.O., § 6 Rn. 30; ErfK/Wank, 2. Aufl. 2001, § 6 ArbZG Rn. 25; Roggendorff, a.a.O., § 6 Rn. 43; Zachert, RdA 2000, 107, 109). Denn man kann davon ausgehen, dass die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der spezifischen Besonderheiten ihres Industriezweiges einerseits die Belange der von Nachtarbeit betroffenen Arbeitnehmer und andererseits die betrieblichen Notwendigkeiten beachtet und bei der Festsetzung der Höhe des Nacharbeitszuschlages gerade auch die wirtschaftlichen Belastungen für die Arbeitgeber berücksichtigt haben.
Deshalb verfährt das Bundesarbeitsgericht auch bei der Konkretisierung des vergleichbaren Begriffs der angemessenen Vergütung in § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG entsprechend; es führt in dem Zusammenhang zutreffend aus, mangels anderer Anhaltspunkte sei auf die einschlägigen Tarifverträge zurückzugreifen, weil in den Tarifbestimmungen die Belange beider Seiten eingeflossen und berücksichtigt worden seien (z.B. BAG, Urt. v. 10.04.1991 - 5 AZR 226/90 - AP Nr. 3 zu § 10 BBiG, BI. 2 R f.; Urt. v. 07.03.1990 - 5 AZR 217/89 - AP Nr. 28 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis, BI. 3 R; Urt. v. 18.06.1980 - 4 AZR 545/78 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis, BI. 3).
Aufgrund der wiedergegebenen Erwägungen kann der in § 5 Ziffer 2 b) MTV festgelegte Nachtarbeitszuschlag von 50 % pro Stunde im Rahmen des § 6 Abs. 5 ArbZG als angemessen angesehen werden. Dieser Prozentsatz hält sich auch durchaus im Rahmen des allgemeinen Tarifniveaus zum 31.12.1999 (siehe WSI - Tarifhandbuch 2000, hrsg. vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung - im Folgenden kurz: WSI). So werden in der Eisen- und Stahlindustrie NW, im Fleischerhandwerk NW, im Friseurhandwerk NW, im Großhandel NW, im Bereich der privaten Reisebürobetriebe sowie in der Textilindustrie auch 50 % Zuschlag gewährt (WSI, S. 167, 173, 175, 181, 209, 217 f.) und in der Druckindustrie bis zu 52 % (WSI, S. 163), im Kfz - Gewerbe NW his zu 55 % (WSI, S. 187), im Einzelhandel NW 55 % (WSI, S. 165) und in der Wohnungswirtschaft so¬gar 100 % (WSI, S. 225).
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Folglich kann der Kläger für insgesamt 738 Tage mit jeweils 6,25 Stunden Nachtarbeit bei 9,20 DM pro Stunde von der Beklagten die Zahlung von 42.435,00 DM brutto verlangen.
Der Zinsanspruch in Höhe von 4 % auf den Nettobetrag seit Rechtshängigkeit folgt aus § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
2) Der Kläger hat im Rahmen der festgestellten Wahlschuld gegenüber der Beklagten auch einen Anspruch auf Gewährung der beantragten 51 bezahlten freien Arbeitstage. Denn hierbei handelt es sich in jedem Fall um eine nach § 6 Abs. 5 ArbZG geschuldete angemessene Zahl freier Tage.
a) Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in diesem Zusammenhang ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass nach § 12 des Entwurfs unter anderem der SPD-Fraktion vom 28.06.1993 (BT-Drucksache 12/5282, S. 5) für jeweils 20 Tage Nachtarbeitszeit mit täglich mehr als drei Stunden ein arbeitsfreier Tag gewährt werden sollte. Diese Regelung nahm der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung unter Punkt 21 wieder auf (BT-Drucksache 12/5888, S. 41). In der Gegenäußerung dazu lehnte dies die Bundesregierung aber ab unter Hinweis darauf, man wolle weder zur Art noch zum Umfang des Ausgleichs Vorgaben machen (BT-Drucksache 12/5888 S. 52; siehe auch S. 26). Demnach hat es der Gesetzgeber den Rechtsanwendern überlassen, den Begriff der Angemessenheit zu bestimmen.
b) Anknüpfend an § 4 Abs. 6 des ursprünglichen Referentenentwurfes, gehen die zum damaligen Zeitpunkt beide im Arbeitsministerium tätig gewesenen Ministerialräte Zmarzlik und Anzinger in ihrem Kommentar zum Arbeitszeitgesetz davon aus, es sei angemessen, für etwa 90 während der Nachtzeit geleistete Arbeitsstunden einen bezahlten freien Tag zu gewähren (Zmarzlik/Anzinger, a.a.O., § 6 Rn 58; ihnen folgend Schliemann in: Schliemann/Förster/Meyer, a.a.O.; vgl. auch Buschmann/Ulber, a.a.O., § 6 Rn. 29).
c) Im Zusammenhang mit der verwandten Frage der Abgeltung von Mehrarbeitszuschlägen in Freizeit hat das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 26. 10. 1961 - 5 AZR 370/60 - AP Nr. 11 zu § 15 AZO, BI. 4 R; Urt. v. 03.10.1969 - 3 AZR 400/68 - AP Nr. 12 zu § 15 AZO, BI. 5 R; zu-stimmend Schmid, BB 1966, 1314; vgl. auch LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.03.1957 - 2 Sa 28/57 - BB 1957, 613 mit zustimmender Anmerkung Gumpert) es für sachgerecht gehalten, bei 25 % Entgeltzuschlag auch einen entsprechenden ,,Freizeitzuschlag" zu gewähren. Eine
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dazu passende Regelung findet sich in § 5 Abs. 4 Satz 2 des MTV Einzelhandel NW, wonach die Abgeltung von Mehrarbeitsstunden durch Freizeit "mit den entsprechenden Zeitzuschlägen" erfolgen kann (vgl. dazu BAG, Urt. v. 07.02.1995 - 3 AZR 483/94 - AP Nr. 54 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, BI. 4). So halten es Buschmann/Ulber (a.a.O., § 6 Rn. 29) für angemessen, auch bei der Bemessung des Zeitausgleichs für Nachtarbeit den entsprechenden Entgeltzuschlag in Ansatz zu bringen. Dies würde im vorliegenden Fall zu einem Freizeitausgleich von über 318 Tagen führen (738 Tage x 6,25 Nachtarbeitsstunden pro Tag, davon 50 % = 2.306,25 Stunden : 7,25 Arbeitsstunden täglich).
d) Aus Sicht der Kammer ist zur Lösung der Frage vom Ziel des Gesetzgebers auszugehen, nämlich durch eine finanzielle Abgeltung oder eine Freizeitgewährung für einen gleichgewichtigen Nachtarbeitsausgleich zu sorgen. Dem kommt man am nächsten, wenn von der finanziellen Belastung des Arbeitgebers bei der Gewährung eines Zuschlags zum Bruttoarbeitsentgelt ausgegangen und daraus eine entsprechende Anzahl freier Tage hergeleitet wird.
Insoweit ergibt sich vorliegend, dass die Beklagte, sollte sie sich allein für den finanziellen Ausgleich entscheiden, 42.435,00 DM brutto zuzüglich eines ca. 20%igen Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung zu zahlen hätte, insgesamt also mit einem Betrag in Höhe von knapp 51.000,00 DM belastet würde; daneben hätte sie dem fortbeschäftigten Kläger die Vergütung zuzüglich des weiterhin anfallenden Nachtarbeitszuschlags zu zahlen. Sollte sie hingegen dem Kläger Freizeitausgleich gewähren, hätte dieser für die Zeit einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Stundensatzes ohne weitere Zuschläge. Daneben rnüsste allerdings ein anderer Arbeitnehmer die Nachtarbeit übernehmen und erhielte dafür von der Beklagten ein vergleichbares Entgelt nebst den in jedem Fall zu gewährenden Zuschlägen gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG. Bei dieser Konstellation fielen als zusätzliche Kosten die Grundvergütung für den Ersatzmann in Höhe von 6.803,40 DM brutto (51 Tage x 7,25 Stunden x 18,40 DM) zuzüglich der darauf entfallenden Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von ca. 20 %, also rund 8.164,00 DM an.
Aus dem Zahlenwerk wird deutlich, dass bei dem vorliegend verlangten Freizeitausgleich im Umfang von "lediglich" 51 Arbeitstagen, woran die Kammer nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO gebunden war, der Arbeitgeber in keinem Fall unangemessen im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG belastet wird, so dass auch insoweit dem Klagebegehren zu entsprechen war.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wobei dem Kläger wegen seines Unterliegens mit dem in erster Linie gestellten reinen Zahlungsantrag 1/4 der Kosten aufzuerlegen waren, während die Beklagte als im übrigen unterlegene Partei die restlichen Kosten zu tragen hat.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, weil die Rechtssache angesichts der bislang nicht geklärten Fragen zur Auslegung des § 6 Abs. 5 ArbZG grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann innerhalb einer Frist von einem Monat nach seiner Zustellung beim Bundesarbeitsgericht (Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt.) schriftlich Revision eingelegt werden.
Die Revision ist gleichzeitig oder innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich zu begründen.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
gez.
Dr. Müller
Menne
Krause
/N.
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